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Warum junge Kreative trotzdem in Sizilien bleiben

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Das Klima, klar. Und natürlich das Meer. Und das gute Essen. Freunde und Familie. Und trotzdem, Sizilien kann aufgrund der schlechten Wirtschaftslage seine jungen leute nicht halten. Vier Sizilianer, die zwischen Palermo und Catania leben, erzählen, warum sie trotzdem auf ihrer Heimatinsel bleiben wollen.

Der letzte Bericht über die Abwanderung innerhalb Italiens, der beim Wirtschaftstag Süditaliens veröffentlicht wurde, verdeutlicht immer wieder das gleiche Muster: Süditalien verliert jährlich 100.000 junge Menschen. Für Sizilien ist das so, als ob jedes Jahr eine Stadt mit 20.000 Einwohnern die Insel verlassen würde. Junge sizilianische Forscher, die im Ausland arbeiten, machten in einem Interview deutlich, dass die Bereitschaft, nach Sizilien zurückzukehren besteht - aber nur unter der Bedingung, dass die Regelungen für Universitäten, Wissenschaft und Auswahlverfahren geändert werden. Das heißt ganz einfach: Die durch ein Studium erworbenen Fähigkeiten und auch die geleistete Arbeit sollen tatsächlich anerkannt (und entsprechend entlohnt) werden, ohne dass man darum betteln muss.

Doch es tut sich was im Süden: Im letzten Quartal 2016 wurden 1.800 Unternehmen gegründet, darunter viele Start-ups. Außerdem darf man die letzten Erfolge der Stadt Palermo nicht vergessen, die direkt zur italienischen Hauptstadt der Jugend 2017 und zur Kulturhauptstadt Italiens 2018 gekürt wurde.

„Ich habe nie daran gedacht, Sizilien zu verlassen.“

Die 35-jährige Luana beispielsweise ist ganz vernarrt in ihre Heimatstadt Catania, die sie nach ihrem Hochschulabschluss in Wirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre vor Jahren hätte verlassen können. „Ich habe eine Zeitlang in Mailand verbracht, um als Praktikantin in einem Möbelhaus Praxiserfahrung zu sammeln. Vielleicht habe ich aus dieser Gelegenheit nicht wirklich viel gemacht, denn jeder Tag war ziemlich langweilig. Vielleicht hat sich auch die Tatsache, dass ich nicht viele andere Leute kannte, negativ auf meinen Aufenthalt ausgewirkt.“

Luana hätte auch gerne Erfahrung in London gesammelt, um ihr Englisch zu verbessern. Heute scheint sie jedoch weder Zeit noch Lust zu haben, Sizilien zu verlassen, denn sie hat gleich zwei Jobs: „Erst habe ich das Beratungsbüro meines Vaters geerbt, wofür ich mich glücklich schätze. Dann habe ich mir eine weitere Existenz aufgebaut, indem ich handgemachten Schmuck auf sozialen Netzwerken oder Pop-Up Märkten verkaufe“, erzählt Luana, die auch davon träumt, ein Bed & Breakfast zwischen dem Meer und dem Ätna zu eröffnen. „Ich bin in Catania verliebt“, fügt sie hinzu, „eine Stadt voller Leben, die sich ständig weiterentwickelt und nie stillsteht. Ich kritisiere keinen, der Sizilien verlässt, ganz im Gegenteil. Ob man es nun tut, um seine Träume zu verwirklichen oder aus Not... Wenn man etwas erreichen will, muss man zu neuen Ufern aufbrechen. Die jungen Sizilianer, die diesen großen Schritt wagen, verdienen meinen Respekt.“

„Ich spüre die Energie und den Enthusiasmus derer, die nicht aufgeben.“

Ein Bed & Breakfest, oder genauer gesagt eine neue Form, die sich „Bed and Book“ nennt, wird bereits von der 31-jährigen studierten Psychotherapeutin Alice in der Altstadt von Palermo betrieben. In ihrer Abschlussarbeit führte sie eine Studie über schwangere Migrantinnen durch. Und genau diese Arbeit öffnete ihr die Türen für ein Stipendium für weiterbildende Studien in Frankreich, wo ihr die Suche nach einer Wohnung, das Leben in ihrem Pariser Stadtviertel und das Studium sechs Monate keine ruhige Minute ließen. Auf die Frage, ob sie jemals in Erwägung gezogen habe, ganz nach Paris zu ziehen, erklärt Alice, dass sie vielleicht gerade deshalb ziemlich sorglos in Paris gelebt hat, weil sie wusste, dass ihre Zeit dort begrenzt war.

Denn Alice liebt alles an Palermo: "Die Farben, die Düfte, aber auch die verlassenen Gebäude, die Risse in den Mauern, die Trümmer - alles erinnert daran, dass die Stadt eine Vergangenheit und eine Geschichte zu erzählen hat.“ An Palermo liebe sie auch, dass die Stadt es schaffe, Schwierigkeiten zu überwinden, sagt Alice. „Ich sehe wunderbare Initiativen entstehen, ich spüre die Energie und den Enthusiasmus derer, die nicht aufgeben und Veränderungen sehen wollen. Auch ich glaube fest an diese Entwicklung."

Für Alice hat Sizilien aber auch seine Schattenseiten: „Es ist sehr schwer, sich hundertprozentig beruflich zu entfalten. Vor einigen Jahren nahm ich an einem Wettbewerb teil, dessen Preis ein Job war. Dieser wäre die Krönung meines Studiums und meiner Interessen gewesen. Doch leider wurde ich nur Zweite, und einige Jahre später wurde eine Untersuchung über die Korrektheit der Prüfungsverfahren eingeleitet. Dies hinterlässt bei mir einen bitteren Nachgeschmack. Denn trotz jahrelangem Studium ist es schwierig, genau das zu tun, worauf man sich vorbereitet hat.“

Alice bewundert den Mut derer, die Sizilien verlassen um neu anzufangen und etwas aufzubauen, auch wenn sie weiß, dass es für viele keine Wahl, sondern eine Notwenigkeit ist. Und genau das macht sie wütend. Alice ihrerseits bemüht sich tagtäglich ein Netz an Kontakten und Beziehungen zu denjenigen zu schaffen, die an einen Wandel glauben: sie unterstützt junge Fotografen, Schriftsteller, unabhängige Verlage, Papierkunsthandwerker und Leseclubs.

„Sizilien eine Weile zu verlassen ist unerlässlich.“

Mauro, 29 alt und Projektmanager bei einem gemeinnützigen Design-Dienstleister für soziale Innovation, ist der Meinung, dass es sehr wichtig sei, mindestens einmal im Leben über einen längeren Zeitraum im Ausland zu leben. Denn dies könne bei der beruflichen und persönlichen Entwicklung helfen. Er selbst hat Erfahrung in Spanien, der Dominikanischen Republik und Kanada gesammelt, wo er als Gastwissenschaftler an der Universität von Ottawa arbeitete. „Mein größter Ansporn war, die Möglichkeit zu haben, täglich internationale Austauschmöglichkeiten zu erleben und an großen kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Das Traurigste jedoch war, dass selbst auf der Dachterrasse des höchsten Gebäudes der Stadt keine Spur vom Meer am Horizont zu sehen war.“ Er glaubt, dass diejenigen, die in Sizilien geblieben sind, ohne wenigstens eine Auslandserfahrung gemacht zu haben, eine große Chance verpasst haben, an der sie hätten wachsen können.

„Es klingt seltsam, aber ich habe von Kanada aus Arbeit in Sizilien gefunden“

Laut Mauro ist das Leben in Palermo ein bisschen wie „ein Dasein am Rande der Welt, denn in Palermo geht alles etwas langsamer vonstatten“. Im Ausland erinnert er sich hingegen an eine ständige geistige Bereicherung, die man sogar in den Straßen spürt. „Es klingt seltsam, aber ich habe von Kanada aus Arbeit in Sizilien gefunden“ berichtet Mauro, als er die Möglichkeiten in Palermo beschreibt: „Diese Stadt bietet eine hohe Lebensqualität, bei beneidenswert niedrigen Lebenshaltungskosten und einer tollen Atmosphäre. Das kulturelle Angebot hat in den letzten Jahren einen erstaunlichen Boom erlebt, die jungen Leute haben Unternehmen gegründet und verzeichnen erste Erfolge. Auch die Schaffung von Fußgängerzonen hat das Leben im Zentrum wesentlich angenehmer gemacht.“

Zu seinen Lieblingsorten gehört Borgo Vecchio, ein vergessener Ort mit verstecktem Potenzial in unmittelbarer Nähe des historischen Stadtzentrums. Ein Ort, der nie aufhört, einen zu überraschen und zu erstaunen. „Mithilfe von Borgo Vecchio Factory hatten wir die Möglichkeit, die überaus erfolgreiche Wiederbelebung dieses einst kritischen Stadtviertels durch Kunst und informelle Bildungsprogramme mitzuerleben.“, so Mauro.

„Ich hätte nie gedacht in Palermo zu leben.“

Die 35-jährige Valentina wirkt an einigen der beliebtesten kulturellen Veranstaltungen Palermos mit, wie Una Marina di Libri und dem Festival delle Letterature Migranti. Außerdem arbeitet sie als Kommunikationsbeauftragte für den Verlag Navarra Editore. Für ein Masterjahr verschlug es sie nach Florenz. Dort gefielen ihr die Nähe zu anderen Städten, die Fahrradtouren entlang des Flusses Arno, das Panorama des Piazzale Michelangelo und die Kirchen. „Das Meer, mein damaliger Freund und mein Verein, in dem ich mich jahrelang engagiert hatte, fehlten mir so sehr, dass ich mich letztendlich dafür entschied, nach Hause zurückzukehren. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass mein Ex und ich uns kurz nach meiner Rückkehr trennten und dass ich auch bald nicht mehr in dem Verein aktiv war.“

Valentina ist sich nicht sicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat. Sie liebt ihre Insel, das Meer, das Foro Italico, die Strände von Ballestrate, die Gemeinde Capo San Vito und das Naturschutzgebiet Torre Salsa, wie auch die Gastfreundlichkeit, welche sich in den Augen der Kinder aus aller Welt widerspiegelt, während diese in den Gassen in Ballarò spielen. Sie bereut ihre Rückkehr, wenn sie mit Bürokratie, Ineffizienz, inakzeptablen Arbeitsbedingungen, schlecht bezahlten, befristeten Jobs und Rücksichtslosigkeit aus Profitgier zu kämpfen hat.

„Einmal ging ich zur Villa Nescemi, einer beliebten Location für Hochzeitsfeiern, um einen Saal zu mieten. Da empfahl mir der Amtsdiener, mich an einen Politiker auf Stimmensuche zu wenden, um mir den gewünschten Tag zu sichern.“ Wenn Valentina gefragt wird, ob sie Sizilien noch verlassen könne, antwortet sie: “Ich hätte nie gedacht in Palermo zu leben. Auch heute zweifle ich noch jeden Tag daran, obwohl meine Familie mir sehr wichtig ist. Aber ich werde nicht aufhören für das Potenzial derjenigen einzustehen, die hierbleiben. Damit es anerkannt wird und die Gesellschaft davon profitieren kann.“

Translated from "Resto al Sud perché...": i giovani creativi si raccontano