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Wahlen in Tunesien 2011: Die Geburtsstunde der Demokratie
Published on October 22, 2011
Politik
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Instinkt und Projekt. Der Instinkt war vor neun Monaten spürbar, als ein ganzes Land sich gegen ein unstetes und veraltetes System auflehnte, um einen Frühling einzuberufen. Das Projekt aber startet erst am morgigen 23. Oktober, wenn Tunesien - neun Monate nach dem Sturz von Ben Ali - kurz davor steht, seinen ersten demokratischen Test mit der Wahl der Verfassunggebenden Versammlung zu bestehen. Zwischen Instinkt und Projekt liegen also genau neun Monate. Eine Zeit der Geburtsvorbereitungen, des Reifeprozesses, des Gebärens - der Demokratie! Der argentinische Fotograf Ezequiel Sacgnetti war vor Ort und veranschaulicht die Aufregung und Spannungen zwischen Religiösen und Demokratieanwärtern kurz vor einem großen Wahlmoment
Der Karikaturist Nidal Garyani zeichnet, um Menschen zum Wählen zu bewegen. Ein Gruppe von Cartoonisten wurde während der Revolution von der Instance Supérieure Indépendante pour les Eléctions (ISIE – „hohe unabhängige Instanz für
die Wahlen“) eingeladen, um an einer Mauer zu arbeiten, die zu mehr Wahlbeteiligung auffordern soll.
(Foto : ©Ezequiel
Scagnetti )
Monia Ayari , Mitglied der Gruppe « Le pôle moderne démocratique »
(Moderner demokratischer Pol) verteilt Flyer und die Leitlinien ihrer Partei.
(Foto : ©Ezequiel
Scagnetti )
"Entschuldigung, hier soll es eine Demo gegen Islamisten geben…", frage ich
unschuldig, in der linken Hand mein Sandwich und mit zwei
Fotoapparaten um den Hals. « Die Demo richtet sich nicht gegen diese
Bewegung, wir sind für den Frieden, für Meinungsfreiheit und
einen laizistischen Staat", hebt Mohammed Slim, ein 22-jähriger Student der Politikwissenschaften, hervor.
(Foto :©Ezequiel
Scagnetti )
Am 16. Oktober, also eine Woche vor den Wahlen, hat ein Straßenzug in Tunis, im Rahmen einer "Generalprobe" der
Wahlen, stattgefunden. Die Autoritäten versichern einen "guten Verlauf". Eine der
wichtigsten Herausforderungen: die Meinungsfreiheit.
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Die Wochen vor den Wahlen waren von einer gewissen Aufregung geprägt: So
gab es eine Demo gegen den TV-Sender Nessma, der von Salafisten angegriffen
wurde, nachdem der Film Persepolis der Iranerin Marjane Satrapi und des Franzosen Vincent Paronnaud ausgestrahlt worden war.
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
« Allah akbar ! » schreit ein Anhänger von Ennhadha (die islamistische
Partei) inmitten einer staunenden Menge. Eine Sekunde später liegt er am
Boden und es hämmern Schläge. Zwei Sekunden später kommen Polizisten in
Zivil dazu, die ihn mit Hilfe von etwas toleranteren Demonstranten in
Gehorsam nehmen und ihn in "die guten Hände" der Polizei von Tunis
übergeben, die ihn weit weg mitnehmen… weit weit weg. "Im heutigen
Tunesien muss man seine Seite wählen, es herrscht Krieg. "Wir oder die",
sagt mir ein Mädchen, die knapp über 20 ist, mit Videokamera, Zigarette
im Mundwinkel und weit hoch gehobener Faust.
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Die Tatsache, dass junge Leute sich dermaßen in dem neuen
Demokratieprozess engagieren, unterstreicht auf welche moderne Art und
Weise diese Wahlen abgehalten werden sollen. Es waren mehrheitlich junge Menschen, die
"Zaba" (Spitzname von Ben-Ali) gestürzt haben, nun gilt es ein Land wieder
aufzubauen, das einen der stärksten Bevölkerungsanteile junger Menschen zählt.
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Die Einflüsse haben sich wahrlich verändert. Seit dem Arabischen Frühling
sieht man auf Mauern eher das Porträt von Che Guevera als das von Ben Ali . Daran mag man erkennen, dass die Demonstranten die Säkularisierung
Ihres Landes festigen wollen.
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Im Straßenzug sind viele Frauen anwesend. Der Beweis einer neuen
Offenheit?
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Eine Anekdote: Ein Taxifahrer aus Brüssel würde gerne in sein Land
zurück. Seit der Machtübernahme von Ben Ali im Jahr 1987, wurde er von
dort sozusagen vertrieben. Seit die Trabelsis (die Gattin des ehemaligen Alleinherrschers Zine el Abidine Ben Ali Leila Trabelsi und ihr Familienclan) weg sind, ist der Weg
frei. "Damals musste man sich mit den Trabelsis arrangieren, egal um
welche Art von Geschäft es sich handelte. Jetzt gibt es den freien
Markt, den wahren! Aber Vorsicht, niemand wird einen einzigen Dinar
investieren, solange keine Regierung gebildet wurde. Alles steht und
fällt mit den Wahlen der Verfassunggebenden Versammlung. Sollten die
Islamisten gewinnen..."
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Wahlplakate schmücken alle Hauswände in Tunis. Die Wahlen am
23. Oktober sind ein wahres demokratisches Richtmaß, sie sind für viele auch
eine unerhoffte Möglichkeit sich in der Politik einzubringen.
Bis heute wurden mehr als hundert Parteien registriert.
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Viele Fragen, die vor neun Monaten aufgeworfen wurden, sind immer noch
nicht beantwortet worden. Auch wenn der Augenblick zu Euphorie
verleitet, wundern sich viele über die Zeit nach den Wahlen. Denn die
Blicke gehen bereits Richtung 2012. Im nächsten Jahr werden mehrere
Persönlichkeiten ihren Auftritt haben, wenn es um die Herausforderung
des Zusammenhalts geht, um die Wahl des Präsidenten.
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Da viel auf dem Spiel steht, wurde am 16. Oktober eine große
Generalprobe abgehalten, um sich zu vergewissern, dass die demokratische
Übung reibungslos abläuft. Neben hunderten von Freiwilligen, die in den
Prozess eingebunden sind, haben die Polizei und Armee den Ablauf des
Probewahlgangs überwacht
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Um Wahlmanipulation zu vermeiden, werden die Wähler einen Finger in
unlöschbare Tinte tunken müssen. Diese Methode der "demokratischen
Transparenz" wurde im Rahmen der Parlamentswahlen in Afghanistan am 18.
September 2011 benutzt.
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Auch wenn es nur eine Wahlsimulation war, die Bürgerteilnahme zeugt
bereits von einer hohen Beteiligung.
(Foto: ©Ezequiel
Scagnetti )
Translated from Les élections tunisiennes : après 9 mois, l’accouchement
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