Wahlen in Frankreich: Punchingball Europa
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Selina Glaap1 Minute und 30 Sekunden. Genau so lange brauchte Marine Le Pen, um die Europäische Union in Stücke zu reißen. Als Antwort? Zwei Folgen von Law and Order.
Am Montagabend brachte die Sendung Le Grand Débat die fünf französischen Präsidentschaftskandidaten zusammen, die in den Umfragen aktuell am besten abschneiden: Marine Le Pen (FN), Emmanuel Macron (En Marche), François Fillon (Républicains), Benoît Hamon (PS) und Jean-Luc Mélenchon (parteilos, linksaußen). Am nächsten Tag suchten viele einen Gewinner oder zumindest denjenigen, der von der Debatte am meisten profitiert hatte, denn die Franzosen lieben den Wettbewerb.
Allerdings interessieren sich nur die wenigsten für das Opfer, das während der Spielzeit einen riesigen Kinnhaken einstecken musste. Auf der Bahre herausgetragen, ist Europa in einer der größten französischen Politsendungen zur besten Sendezeit ziemlich schlecht weggekommen. In Zahlen waren es fast 10 Millionen Franzosen, die den zeitgenössischen Gimmick bestaunen konnten. Im Jahre 2017 ist Europa nicht mehr nur das Stiefkind der öffentlichen Debatten. Es hat sich zu einem regelrechten Punchingball entwickelt, auf den Rechtsaußen-Parteien mit großer Freude einschlagen.
Währenddessen alle anderen Kandidaten ihre Projekte für Frankreich darlegten, nutzte die Rechtsaußen-Kandidatin Marine Le Pen die 1 Minute und 30 Sekunden der Schlussfolgerungsrunde, um die EU in Stücke zu reißen. Die Präsidentin des Front National sprach Tacheles, indem sie alle Argumente herunterbetete, die die Populisten in Bezug auf Europa so vorzuweisen haben. Ein kurzes Best-Of: „Die Europäische Union legt uns in Ketten, verbietet, schikaniert uns - und immer, wenn wir eine sinnvolle Maßnahme einführen wollen (...), dürfen wir das nicht. Unabhängigkeit bedeutet nicht, sich den Technokraten in Brüssel zu unterwerfen. Unabhängigkeit heißt, selbst entscheiden zu dürfen.“ Die Antwort darauf? Gar keine. Die Debatte endete mit einigen Worten von Linksaußen-Kandidat Jean-Luc Mélenchon zur 'Tugend', der Macht des Geldes und den immer häufiger werdenden Kriegen.
Marine Le Pens Aussagen hallen bis heute im Studio nach, ohne dass andere Kandidaten oder Journalisten des Senders diese in Frage gestellt hätten. Die traurige Wahrheit ist: während der dreistündigen Debatte war die Chefin des FN die einzige, die Europa in ihren Diskurs einbaute. Der Brexit? „Super! Machen wir den Frexit“ Frankreich? „Vize-Kanzler von Frau Merkel.“ Die Europäische Union? „Sie verbietet alles.“ In einem besonders schwärmerischen Moment schwenkte Marine Le Pen sogar eine Grafik über den Euro, welche das Absinken der industriellen Produktion in Frankreich, Spanien und Italien seit Einführung der gemeinsamen Währung zeigte. Die Antwort der Runde? Betroffenes Schweigen der anderen Kandidaten und Moderatoren, die schnell einen Themenwechsel zum französischen Sozialsystem provozierten. Europa kommt danach nur noch in Marine Le Pens bereits erwähnten Schlussfolgerungen vor.
Warum ist es so schwierig Europa zu verteidigen? Warum fällt es den proeuropäischen Kandidaten so schwer, auf die Hirngespinste europhober Politiker zu antworten, abgesehen vielleicht von Emmanuel Macrons Gedankenblitz über den Brexit und François Fillons Bemerkung zum Euro? Warum immer dieses unangenehme Schweigen, wenn offensichtlich falsche Informationen und schlechte Karikaturen die Europäische Union verunglimpfen?
Eigentlich könnten die anti-europäischen Argumente des Front National in Frankreich, der UKIP in Großbritannien, der FPÖ in Österreich, der AfD in Deutschland, der Lega Nord in Italien und der PVV in den Niderlanden leicht demontiert werden. Jede Falschinformation braucht ein Fact Checking. Aber wie den 10 Millionen Fernsehzuschauern erklären, dass die französischen Kandidaten der Präsidentschaftswahlen einfach keine Gegenargumente finden? Zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge am 25. März, inmitten einer Krise der europäischen Idee und zu Zeiten, in denen Marine Le Pen nur einen Steinwurf von der Macht entfernt ist, könnten diese vielleicht den Unterschied machen.
Translated from Le Grand Débat et l’Europe : FN de non-recevoir