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Wahlen in Frankreich: Gallier toujours?

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Katha Kloss

PolitikWahnwitz-Wahljahr 2017

Ein französischer Präsident, der die Produkte seines Landes nicht kennt und schätzt, kann kein guter Präsident sein. Warum die Kandidaten vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich am 23. April und 7. Mai Käse, Kühe und Calvados beteuern. [KOMMENTAR]

Jean Lassalle zieht seine Baskenmütze über seine Kartoffelnase, während eine Drohne über saftig-grüne Landschaften hinwegfliegt. Über all dem schwebt im offiziellen Clip des Zentrumspolitikers ein fast Braveheart-artiger Soundtrack und ein übertrieben betontes „EGALITE für alle Franzosen auf dem Territorium”. Der schmetternde Akzent des Kandidaten aus den französischen Pyrenäen macht die Heimeligkeit perfekt.

Trotzdem hat Jean Lassalle aber vor allem eines - er hat die 500 Schirmherrschaften zusammen, die man für das höchste Amt in Frankreich benötigt. In der letzten Woche stand er genau wie Macron, Fillon oder Le Pen beim TV-Duell in Paris. Und auch wenn nur ein Bruchteil der 60 Millionen Franzosen an seinen Wahlsieg glaubt, so hat Lassalle doch DIE Zutat, die für den Einzug in den Elysée-Palast unabdinglich ist - ihr ahnt es schon. Nein, es ist nicht sein nackter Oberkörper hinter dem Rasenmäher (auch der ist in einem Clip zu sehen), sondern sein besonderer Hang zum terroir.

Präsidentschaftswahlen - Terror des Terroir

Was hat es damit auf sich? Alle fünf Jahre mischt sich in den französischen Wahlkampf dieses gewisse Etwas, das mich als Deutsche schmunzeln lässt. Alle Kandidaten geben sich dann urplötzlich als Biobauern und Mütter der Natur, von Jean Lassalle jetzt mal abgesehen. Der ist tatsächlich Sohn eines Schäfers.

Mit dem Begriff terroir beschreibt der Franzose die Verbundenheit mit dem heimischen Nährboden, dessen Produkten und geografisch-geschmackliche Identität. Das Konzept ist noch gar nicht so alt, zumindest stammt es nicht von den Galliern. Zum ersten Mal wurde es 1920 erwähnt und hält sich seitdem wacker als perfekte Marketingstrategie. Auch im Deutschen verwendet der Winzer seit den Neunzigern das Wort Terroir, um die besondere Herkunft eines Weines zu beschreiben.

Zum guten Ton eines französischen Politikers gehört es, proche du terroir zu sein - der Natur verbunden, dem guten Essen, seiner terre. Hier wächst und gedeiht, was dem Franzosen und der ganzen Welt schmeckt - und unter Umständen (mit den Rechtsaußen-Kandidaten Le Pen oder Dupont-Aignan) auch ein ungesunder Nationalstolz.

Müsste man einen französischen Meister des terroir küren, wäre das ohne zu zögern Jacques Chirac. De Gaulle vergötterte den heimatlichen Norden, Mitterrand die Charente, Pompidou und Giscard die Auvergne. Aber niemand schwärmte so liebevoll wie Chirac von einem petit Cidre, perfekten französischen Äpfeln und bovins (Rindern). Seine Rhetorik war tief mit terroir getränkt, was man auf der Webseite Chirac Machine nachhören kann, auf der die besten (oft) kulinarischen Zitate des heute als swag geltenden Präsidenten in kurzen Podcasts aufgelistet sind. Natürlich darf darunter auch die Corrèze nicht fehlen, die Region, in der Chirac als Gott gefeiert wird, obwohl er in Paris geboren ist. Ihr habt es also verstanden: Ein französischer Präsident, der die Produkte seines Landes nicht kennt und schätzt, kann kein guter Präsident sein.

Im Streichelzoo der Präsidenten

In Frankreich gehört es deshalb zum guten Ton, in Wahlkampfzeiten mindestens einmal bei der Landwirtschaftsmesse - dem Salon de l’Agriculture - aufzuschlagen. Dann heißt es wieder Calvados schlürfen hier, ein Charolais betätscheln da, ach, und hier nochmal ein Stück Chèvre probieren. Alle sind von der Partie - wenn im Streichelzoo der Präsidentschaftswahlen auf Wählerfang gegangen wird. Da werden Kandidaten nebst Kuh-Hinterteilen abgelichtet. Und gleich neben Fine, dem Star-Rind mit besonders großen Hörnern, wird das schönste Präsidentenlächeln aufgelegt. Frau Pen (FN) fuchtelt mit Bananen aus Übersee, Herr Hamon (PS) nimmt eine Nase Pastis und Herr Macron (En Marche) bepinselt im dunkelblauen Nadelstreifen ein Baguette. Im Hintergrund legt dann auch der Meister mit Baskenmütze und Bäckerkluft sein bestes Lächeln auf - alles schneeweiß und fleckenrein bien-sûr. Ein Schnappschuss, der im Portfolio eines zukünftigen Präsidenten auf keinen Fall fehlen sollte.

Dabei haben Fillon, Macron und Co. mit Rindern doch höchstens auf ihren Tellern in Pariser Nobelbistrots zu tun. Aber in Wahlzeiten ist das nebensächlich. Zum jährlichen Stelldichein mit den Wirten und Landwirten geben sich alle Kandidaten als Bewunderer der französischen Produkte des terroir.

(François Hollandes letztes Mal)

Macron stimmt in den heimatlichen Pyrenäen Gebirgsliedchen mit den Dorfbewohnern an, holt sich den Traktor-fahrenden Pferdezüchter und ganz nebenbei ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Bayrou ins Boot und erzählt dem Magazin Terre des Vins - “Der Wein ist die französische Seele.” Fillon rühmt sich zu jeder Gelegenheit als Mann des terroir, der ’Bauern des Westens’ und dreht dem Pariser Bling-Bling den Rücken, “er habe noch nie in einem Ort mit mehr als 2000 Einwohnern gelebt.” Die Handvoll Anzüge vom Nobeldesigner? Schwamm drüber, die habe der konservative Kandidat ja bereits zurückgegeben.

Nur einer hatte sich geweigert, bei der 'gewinnorientierten' Landwirtschaftsmesse vorzutanzen - der ‘Quinoa-Kandidat’ Jean-Luc Mélenchon (linsaußen, La France Insoumise). Der Liebhaber von Comté und gelbem Wein aus dem Jura, besucht lieber einen Biobauernhof abseits der gekünstelten Pariser Kuhhintern. In Marseille schwingt er dann aber doch demonstrativ ein Olivenzweigchen vor versammelter Mannschaft - das Symbol der Mittelmeerregion. Ganz ohne große terroir-Geste geht es eben doch nicht.

Essen wie Gott und der Präsident in Frankreich

Als Deutsche kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Angela Merkel dieses Jahr vor den Wahlen Federweißer verkostet oder Martin Schulz in seiner Heimatregion besten deutschen Spargel sticht, um bei der Wählerschaft zu punkten. Oder dass Unter den Linden in Berlin echter Rollrasen ausgelegt wird, wie vor einigen Jahren auf den Champs Elysées, damit die Pariser Schaulustigen Tiere streicheln und Produkte des terroir probieren konnten. Marie Antoinette hätte es gefallen.

Unsere französischen Nachbarn haben wir jedenfalls schon immer um ihre kulinarische Prolligkeit bewundert, mit welch wunderbar kitschigem Pathos sie ihr terroir verteidigen und exportieren. Laut Jean-Marc Quaranta, der das Buch Houellebecq aux fourneaux (dt. Houellebecq am Herd) geschrieben hat, sei der Begriff des terroir sowieso von Anfang an in Paris erfunden worden. Denn erst aus der Distanz der Hauptstadt können die Produkte der französischen Provinzen in neuem Glanz erscheinen. Und wer, wenn nicht der französische Präsident, könnte da ein besserer Botschafter sein?

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