Vulkanische Musik aus Neapel
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Benjamin WolfJunge Neapolitaner haben ihre eigene Antwort auf die hohe Arbeitslosigkeit gefunden: Sie machen sich selbstständig. Besonders im Musikgeschäft ist dieser Drang zur Unabhängigkeit ausgeprägt. Alternative und unabhängige Musikfirmen sprießen in Neapel nur so aus dem Boden und ermöglichen jungen Neapolitanern, ihre Karriere in die eigenen Hände zu nehmen.
„Seit den 90ern hat sich viel verändert“, erzählt Carlo Doino, Vorsitzender und künstlerischer Direktor von Ikebana Records. Die Band wurde 2008 von drei Freunden gegründet. Heute haben die Drei ein Studio, organisieren Musikstunden für Interessierte und betreiben sogar einen Verlag. „Der Markt ist sehr fordernd“, sagt der 20-Jährige. „Musik ist kein Geschäft wie etwa Schuhe zu verkaufen – du kannst das nicht nur kommerziell angehen. Das was wir tun, machen wir aus Leidenschaft und aus Liebe zur Musik. Wir bemühen uns nicht darum, viel zu verdienen, dieses Geschäft ist keine Goldmine. Aber wir glauben, dass wir eines Tages einen ungeschliffenen Diamanten finden werden und wir wissen, dass wir davor einfach viel investieren müssen.“
Die Freiheit, unfrei zu sein
Wie viel? Carlo macht eine schnelle Überschlagsrechnung – CDs produzieren, das Projekt durchführen, Werbematerial drucken und Werbung schalten, Videoclips gestalten – insgesamt kann das auf über 5000 Euro kommen. „Natürlich geben uns das Internet und Social Media verschiedene Möglichkeiten, unsere Arbeit zu bewerben“, sagt Carlo. „Aber wir wollen ein hochqualitatives Produkt erstellen und deshalb können wir auch nicht an der Produktion von echten CDs sparen.“
The Jungs von Ikebana betonen, dass immer mehr Menschen gute Musik hören wollen und auch bereit sind, dafür zu bezahlen. Darüberhinaus organisieren die Drei auch Konzerte – die Haupteinnahmequelle für Künstler. „Normalerweise verdient ein Label hauptsächlich an den CDs, die es produziert und in deren Künstler es investiert hat“, erklärt Valerio Merolla, der Hauptverantwortliche für die Webseite, Buchungen und Organisation. „Die Bands wiederum verdienen ihr Geld durch Gigs und Konzerte. Einige sagen, dass wir nicht richtig unabhängig, nicht richtig independent sind, weil wir unseren Künstlern soviel Freiraum geben, dass wir letztendlich von ihnen abhängig werden. Aber viele Entscheidungen treffen wir gemeinsam. Wir behandeln die Künstler so, wie wir selbst an ihrer Stelle auch gern behandelt werden würden.“
Zufällig treffen wir auf die Künstler des Orchestra Multietnica Mediterranea (das „multiethnische Mittelmeer-Orchester“), die von Zeit zu Zeit ein Studio bei Ikebana Records mieten. Die Gruppe hat einen völlig anderen Zugang zu Musik als viele andere Bands. Das Orchester hat circa 18 Mitglieder, hauptsächlich Migranten aus Rumänien, Bulgarien, Afrika, Sri Lanka und Kolumbien. „Jeder Orchestermusiker hat seinen eigenen, besonderen Musikstil und dadurch kreieren wir etwas Brandneues“, erzählt Giovanni Guarerra, der Frontman der Gruppe. „Neapel war nie ein freundlicher Ort für Konzerte, für uns schon gar nicht. Deshalb schätzen wir unser Glück hier umso mehr.“
Ikebana Records hält die Band I Sula Ventrebianco für ihren ungeschliffenen Diamanten. Die Gründer des Labels glauben fest daran, dass sie eines Tages dank ihrer Jobs nicht nur überleben können, sondern wirklich damit Geld verdienen werden.
EIN NEAPOLITANISCHER FRÜHLING
Auch viele andere junge, begabte Neapolitaner entschließen sich dazu, ihre Karriere in die eigenen Hände zu nehmen. Giovanni Truppi ist vor zehn Jahren von Neapel nach Rom gezogen. Wir treffen ihn in Lanifice, einem heißen Ausgehtipp der Stadt. In der Fabrikshalle wurde früher Wolle verarbeitet und gefärbt, nun beherbergt das Gebäude einen Klub mit Gallerie. Gegründet hat das Kunstlokal ein Chirurg, der damit zur Stadtentwicklung beitragen wollte. Nach Lanifice wurde Giovanni Truppi von BulbArtWorks eingeladen – einem Label, das Konzerte, Veranstaltung und Musikfestival organisiert. Das bekannteste Festival heißt „La Nostra Primavera“ („Unser Frühling“) und zieht alternative Künstler aus ganz Europa an.
BulbArtWorks arbeitet auch als Agentur, 80 Bands werden von dem Team vertreten. „In erster Linie sind wir eine Gruppe Freunde, die gern gemeinsam auf Konzerte geht“, sagt Andrea Salada. „Wir teilen die gleiche Liebe für Musik und dachten uns, dass es doch cool wäre, gemeinsam was auf die Beine zu stellen. Aber selbst sechs Jahre harter und steter Arbeit sichert dir in diesem Geschäft kein einfaches Leben. Die Leute können sich die Konzerttickets nicht mehr leisten, weil in Krisenzeiten in diesem Bereich als erstes gespart wird. Mit 30 einen Job in Neapel zu finden ist heutzutage fast ein Wunder. Aber auch wenn es schwer ist, wir wollen nicht aufgeben. Geld zu verdienen ist hierbei nicht das vorrangige Ziel. Was wir tun ist ein toller Zweitjob.“ Andrea arbeitet hauptberuflich an der Universität. Sein Traum ist es, Professor für Politikwissenschaft zu werden. Er war einer der Mitgründer des Labels und ist nun der Tausendsassa von BulbArtWorks. „Ich weiß, wie man eine Bühne aufbaut und ich kann auch als Tontechniker arbeiten“, erzählt er. „In unserer Firma macht jeder alles. Es kann nur so funktionieren.“
Vulkanische Musik
Zurück bei Ikebana erzählt uns das Team, dass sie anderen Musikfirmen gegenüber positiv eingestellt sind. Dieses Fehlen scharfen Konkurrenzdenkens passt zur neapolitanischen Mentalität. „Es macht keinen Sinn, um einen so kleinen Kuchen zu kämpfen“, lacht Andrea. „Neapel ist eine große Stadt, aber es gibt nicht viele Menschen, die diese Art Veranstaltung mögen. Deshalb ist es klüger gemeinsam etwas Cooles auf die Beine zu stellen und auf den Erfolg und die weitere Bekanntheit aller Beteiligten zu zählen.“ Giovanni Truppi ist sein eigener Manager und kann dadurch seine eigene Musik produzieren und vermarkten. Er brauchte 15 Jahre um dahin zu kommen, aber er ist glücklich. „Es war nie leicht“, bestätigt er. „Aber zumindest arbeite ich selbstständig und nicht für einen großen Konzern.“
Von der Stadt führt eine lange Brücke zum Vesuv, dem berühmtesten von Europas schlafenden Vulkanen. An seinem Fuß befinden sich auch Wohngegenden, eine davon ist das Heimatdorf von Casa Lavica („Haus der Lava“). Casa Lavica ist eine der besten Indepedent-Musiklabels in Neapel und das Team besteht darauf, dass „Independent“ nicht „Amateur“ heiße. Mit nur drei Mitarbeitern betreibt die Firma professionelle Aufnahmestudios, überträgt Konzerte live im Internet und veröffentlicht Videoclips. Von der Beleuchtung über die Aufnahmen bis zur Nachbearbeitung ist alles auf höchstem Qualitätslevel.
Auch wenn das Label sich hauptsächlich auf junge Musiker konzentriert und diese fördert, sind auch berühmte Musiker wie Gionata Mirai von der Professionalität begeistert und wollen mit dem Team zusammenarbeiten. „Indem wir Künstlern Freiheit geben, schaffen wir ihnen eine Wohlfühlzone, in der sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können“, erklärt einer der Mitgründer von Casa Lavica. „Wir versuchen jeden einzelnen Künstler bestmöglich zu fördern. Manchmal machen wir Projekte gratis, weil wir das künstlerische Potential in einer Person sehen. Wir bringen auch oft Musiker zusammen, wenn wir denken sie könnten gemeinsam gut klingen.“ Dank dieser Bemühungen konnte Casa Lavica schon originelle Projekte herausbringen, zum Beispiel ein Mix aus Drum’n’Bass and Didjeridoo-Musik namens Triad Vibration. „Wir wollen, dass Qualität unser Kennzeichen ist. Unser Ziel ist nicht bloß, zu verkaufen – auch wenn das natürlich sehr wichtig ist. Das Wichtigste für uns ist, dass die Qualität das wichtigste Kennzeichen unserer Arbeit bleibt. “
Ein großes Dankeschön an Eliana de Leo von cafebabel Neapel und Angelo Santonicola.
Dieser Artikel ist Teil der Reportagereihe EUtopia on the ground, die jeden Monat die Frage nach der Zukunft Europas aufwerfen soll. Dieses cafébabel Projekt wird von der Europäischen Kommission im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem französischen Außenministerium, der Fondation Hippocrène sowie der Charles Léopold Mayer-Stiftung unterstützt.
Translated from neapol: niezależne wytwórnie muzyczne