Vorsicht, Reisbombe! Asien macht Kino
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Dieses Jahr hat die asiatische Reisbombe die Berlinale voll erwischt: drei chinesische und ein japanischer Film im Wettbewerb, zahllose Kurz-, Dokumentar- und Spielfilme, eine Retrospektive. Kaum eine Weltregion außer Europa war bei den 64. Internationalen Filmfestspielen in Berlin so präsent. Aber warum sind asiatische Filme so interessant?
„Einsteigen bitte! Es geht nach Tai Po!“ Türen krachen, laut dröhnt die Hupe, der Busfahrer spuckt genüsslich aus dem Fenster und dann schaltet die Ampel auf grün. Mit quietschenden Reifen manövriert sich der Minibus aus seiner Parklücke und fädelt sich unter nervtötendem Schlagergedudel in den schillernden Verkehr Hongkongs ein. Alles könnte so normal sein, wenn bei der Ankunft in Tai Po nicht plötzlich alle Straßen wie leergefegt wären. Wo sind nur all die Menschen hin? Das fragen sich nicht nur die Insassen des Minibusses. Was genau eigentlich passiert ist, wird in dem neuen Film The Midnight After (2013) des aus Hongkong stammenden Regisseurs Fruit Chan nicht erklärt: ein zweites Fukushima? Aliens? Ein globaler Killervirus? Böse Geister? Zombies? Oder doch David Bowie, der als Major Tom die Erde heimsucht?
Offizieller Kinotrailer von Fruit Chans The Midnight After (2013).
Alles ist möglich in diesem bunten, urkomischen Endzeitfilm von Fruit Chan. Während die Truppe aus dem Minibus versucht, sich vor unbekannten Mächten in Sicherheit zu bringen, muss genregemäß einer nach dem anderen daran glauben – doch der nächste Witz, die nächste schillernd schöne Wolkenkratzeransicht oder Karaoke-Einlage sind zum Glück nicht weit.
Mut zu wilden drehbüchern und erzähltechniken
Dieser Mut zu abgefahrenen, einer ganz eigenen Logik folgenden Drehbüchern lässt sich in vielen Filmen aus Asien bei der diesjährigen Berlinale entdecken. Irreale Elemente machen besonders den chinesischen Western Wu Ren Qu (No Man‘s Land, 2013) von Ning Hao zu einem Meisterwerk. Was wie eine chinesische Variation von Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod (1968) angelegt ist, wird immer wieder von absurden, unerwarteten und komischen Elementen durchbrochen. Die Straße durch die Wüste Gobi ist leer und weit und breit kein Auto zu sehen? Macht nichts, der schwarze Jeep des Oberbösen kann trotzdem plötzlich von links in das Polizeiauto krachen. Der Falkenjäger ist schon seit mehreren Stunden tot und seine Leiche beinahe eingeäschert worden? Egal, er kann trotzdem Blut spuckend und mit gezückter Pistole aus dem Auto purzeln.
Doch nicht jeder asiatische Film braucht Lärm, Explosionen und Verfolgungsjagden. Ein Motiv, das ebenso viele Filme prägt, ist tiefe Stille. So erzählt Lou Ye in Tui Na (Blind Massage, 2014) in poetischen Bildern vom Leben blinder Masseure in Nanjing. Natürlich verliebt sich der blinde Xiao Ma in eine Kollegin, beginnt sie zu umwerben, träumt von körperlicher Nähe: „Die Dinge, die wirklich existieren, kann man nicht sehen,“ erklärt ihm ein Freund. Warum sollte man da als Nichtsehender in der Liebe im Nachteil sein? Eine große Überraschung und ein wunderbarer Erstlingsfilm ist Zhou Haos Ye (The Night, 2014), in dem der junge Stricher Tuberose durch die Nacht treibt. Seine Freundschaft mit der Prostituierten Narzisse bringt etwas Glanz in sein Leben, bis ein junger Mann sich ernsthaft in ihn verliebt. Es ist bewegend zu sehen, wie sich Tuberose über viele dunkle Sequenzen hinweg selbst lieben lernt. „Für uns ist kein Platz in dieser Gesellschaft,“ meint sein junger Verehrer, doch Tuberose ist auf dem besten Weg, sich diesen zu erkämpfen.
stille aus japan und sehr kritische töne
Auch aus Japan kommen, wie gewohnt, eher leise Töne. Die Filme im Hauptprogramm bauen ebenfalls auf Schweigen: So wechseln die beiden Brüder Jiro und Soichi in dem Fukushima-Drama Ieji (Homeland, 2014) von Nao Kubota kaum ein Wort, sondern starren lieber auf die hellgrünen Reispflanzen, die so frisch wirken und doch so tödlich sind. Auch das Hausmädchen Taki, das sich in Chisaii Ouchi (The Little House, 2013) unter der Regie von Yoji Yamada in ihre Herrin verliebt, begnügt sich die meiste Zeit mit schweigendem Zusehen. Haru Kuroki ist für diese stille Meisterleistung mit dem Silbernen Bären als beste Schauspielerin ausgezeichnet worden.
Derartig feinsinnige, psychologische Studien gefallen dem Berlinale-Publikum, das sich von seelischen Untiefen ebenso wie von verrückten Minibusfahrten begeistern lässt. Liegt das aber nur an der Exotik chinesischer Städte, an grandiosen Slapstickeinlagen oder interessanten Neuinterpretationen bekannter Filmstoffe? Ein bisschen scheint es so, als seien asiatische Regisseure in ihrem Denken frischer und unverbrauchter als ihre europäischen und amerikanischen Kollegen. So ist auch Bai Ri Yan Huo (Black Coal, Thin Ice, 2014), mit dem der chinesische Regisseur Diao Yinan den diesjährigen Goldenen Bären gewonnen hat, voll von dunklen und zugleich wahnwitzigen Elementen. In der Geschichte um den Kriminalkommissar Zhang Zili führt das zu viel Situationskomik und einem höchst verworrenen Verbrechen.
Offizieller Kinotrailer von Bai Ri Yan Huo (2014) unter der Regie von Diao Yinan.
Während Kritik an politischen und sozialen Verhältnissen in Bai Ri Yan Huo nur sehr subtil angebracht wird, sehr viel deutlichere Töne aus Taiwan: In Bai Mi Zha Dan Ke (The Rice Bomber, 2014) erzählt Cho Li von dem jungen Soldaten Yang Rumen, der nicht mehr mit ansehen will, wie importierter Reis die taiwanesische Landwirtschaft zerstört. Statt zu demonstrieren, bastelt er lieber Reisbomben, die er über Monate hinweg in Taipei platziert und die ihn zum Volkshelden machen. Cho Li selbst träumt davon, dass die Wirkung seiner Filme nach dem Abspann nicht aufhört: „Ich hoffe immer noch, dass wir die Welt durch Filme verbessern können. Vielleicht braucht einfach jede untergehende Gesellschaft eine Reisbombe.“ Fast möchte man hinzufügen: auch jedes eingerostete Kino. Dem Film in Europa kann es nur gut tun, neue Impulse aus Asien zu bekommen, die auch gerne einmal verrückt sein können. Die asiatische Film-Reisbombe bei der diesjährigen Berlinale hat zumindest das Publikum sehr glücklich gemacht.
CAFEBABEL BERLIN BEI DER 64. BERLINALE
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