Von welchem Minarett es sich am schönsten ruft
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Von Stefanie Stahlhofen Fünf Mal am Tag ruft der Muezzin vom Minarett. Er kündigt den gläubigen Muslimen an, dass Gebetszeit ist. Der Muezzin der Madni Jamia Moschee in Bradford (England) hat übrigens einen ganz besonderen Standplatz: Er ruft jetzt offiziell vom schönsten Minarett Europas. Am 20.04.
2010 wurde der Turm der Moschee im Europaparlament in Straßburg zum Sieger des Wettbewerbs "Das schönste Minarett Europas" gekürt. Damit setzte sich Bradford (Foto links) gegen weitere 52 teilnehmende Gebetshäuser durch. Die Bewerbung der Moscheen erfolgte per Foto; insgesamt gingen Bilder aus 13 verschiedenen Ländern beim Initiator, dem Conseil de la Jeunnesse Pluriculturelle (COJEP), ein.
Die Wahl zum schönsten Minarett war äußerst knapp: Die Stockholms Moskén (Foto ganz unten) machte mit nur einem Punkt Rückstand den zweiten Platz. Interessant ist dabei auch, dass es sich hier um zwei völlig unterschiedlich konstruierte Moscheen handelt. Die Ränge drei bis fünf belegten Gebetshäuser aus Rom, Granada und Oslo. Die Entscheidung traf eine insgesamt 18-köpfige Jury aus Architekten, Vertretern internationaler Organisationen unterschiedlicher Konfession und Fotografen. Vorschläge einreichen konnte jeder.
Der Rat der plurikulturellen Jugend (dt. Übersetzung von COJEP) wurde bei der Ausschreibung des Wettbewebs unter anderem von der Islamic Educational, Scientific and Cultural Organisation (ISESCO), dem Europarat und den Organisatoren der Islamkonferenz unterstützt. Die Idee der „Minarett-Schönheits-Konkurrenz“ hatte COJEP 2009 während der UNO-Menschenrechtskonferenz in Genf – als Antwort auf die damalige Volksabstimmung zum Bauverbot für Minarette in der Schweiz. Deshalb standen auch nicht die Moscheen an sich, sondern explizit deren Gebetstürme im Mittelpunkt. „Der Wettbewerb soll darauf aufmerksam machen, dass Minarette auch ein Zeichen erfolgreicher Integration sein können und ein friedliches Miteinander von Islam und anderen Religionen möglich ist“, erklärt COJEP-Vize-Präsident Veysel Filiz. Aus diesem Grund waren zum Wettstreit nur Minarette zugelassen, die in den letzten 50 Jahren erbaut wurden und zeigen, dass beim Neubau von Moscheen und Minaretten Wert auf ein harmonisches Zusammenspiel der Architektur mit ihrer Umgebung gelegt wird und diese durch sie positiv bereichert werden kann. Dies wird beispielsweise bei der Stockholms Moskén deutlich, die architektonische Elemente aus ihrem Umkreis aufgreift. Nicht zuletzt soll die bauliche Eingliederung der Moscheen auch Zeichen der gesellschaftlichen Integration sein. Es geht darum, „die Moscheen aus den Kellern zu holen, denn Sichtbarkeit ist nötig für ein funktionierendes Europa“, betont Filiz. „Wenn etwas im Keller ist, weiß man nicht, was da passiert. Innerhalb der EU müssen alle Religionen gleich gestellt sein – das ist eine ganz wichtige Frage im europäischen Aufbau.“
Der „Schönstes Minarett Europas"-Contest soll Vorurteile und unbegründete Ängste gegenüber Muslimen und dem Islam abbauen. Allerdings ruft er auch wieder Extremisten auf den Plan. Sie sandten beispielsweise Fotos von zerstörten Moscheen ein. Filiz sieht in dieser Reaktion den Beleg dafür, dass die Aktion Islamgegnern ein Dorn im Auge ist. Somit kann er sogar diesen geschmacklosen Einsendungen noch etwas Positives abgewinnen. Dennoch ist dieser Wettbewerb wohl zwangsläufig ein zweischneidiges Schwert: Einerseits positive Gegenreaktion auf das Minarett-Verbot in der Schweiz, gießt er andererseits zugleich Öl ins Feuer der Extremisten – Sie sehen hier ein weiteres Argument für die ihrer Ansicht nach bestehende Bedrohung durch den Islam, der angeblich westliche Werte und Kultur unterwandere.
Was bedeutet das alles für die Moschee in Bradford? Sicher ist, dass sie durch ihr schönes Minarett bekannter geworden ist und gemeinsam mit den anderen Moscheen hinterher in einem Bildband und bei einer Ausstellung im Europarat zu bewundern sein wird. Außerdem darf sie sich mit einer Plakette schmücken, welche die Aufschrift „schönstes Minarett Europas“ trägt. Ob es sich hier wirklich um das schönste Minarett Europas handelt, bleibt bei nur einem Punkt Unterschied zur Stockholms Moskén allerdings fraglich. Das ist letztlich jedoch gar nicht so wichtig. Denn selbst wenn die Schönheitskonkurrenz nicht eindeutig geklärt hat, welches Minarett in Europa nun das schönste ist, zeigt sie, welchen viel wichtigeren Preis es in diesem Wettbewerb zu gewinnen galt: Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen sowie weltanschaulichen Bekenntnisses, die unverletzlich ist. (Vgl. Art. 4,1 GG)