Von Mohammed zu Anders Breivik: Das Schweigen der Dänen
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Dänemark ist traumatisiert. Seit den Mohammed-Karikaturen, die das kleine skandinavische Land 2005 in Weltrampenlicht rückten, sind die Dänen das Negativimage leid – und schweigen lieber. Meinungsfreiheit ade? Erst die geplante Inszenierung des Anders Breivik-Manifests in Kopenhagen 2012 bringt die Multikulti-Debatte erneut auf den Tisch.
Die Idee wurde erst zum Thema, als die Antwort der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten in meiner Mailbox landete: Dear colleague, vielen Dank für Ihre Mail. Sorry, aber wir haben Kommentare 'about the Mohammed-thing' komplett eingestellt. Best regards, Tage Clausen, Informationschef.
Tyrannei des Schweigens
Wer erinnert sich nicht an die Mohammed-Karikaturen aus dem Jahr 2005, die einen weltweiten Eklat ausgelöst und Dänemark in einen bisher ungekannten Fokus um Pressefreiheit und Provokation muslimischer Minderheiten in Europa gerückt hatten? 7 Jahre später schweigt man in Kopenhagen lieber zum Thema. Es scheint abgedroschen, die Affäre immer wieder aufzurollen. Flemming Rose, Kultur-Ressortleiter beim JP, der 2005 die Veröffentlichung der 12 Karikaturen veranlasste, hat das Buch Die Tyrannei des Schweigens (2010) veröffentlicht, um mit der Sache abzuschließen. Schluss aus. No comment!
Hinter mir schiebt sich die Glastür zu. Auf der anderen Seite wird ein Code getippt, erst dann öffnet sich die zweite Glastür vor meiner Nase. Tarek Omar winkt mich durch die Sicherheitsschleuse. Politiken, die Tageszeitung, für die der Redakteur arbeitet, befindet sich im gleichen Gebäude am Rådhuspladsen in Kopenhagen wie der Jyllands-Posten. Seit mehreren Jahren ist die Redaktion sicherer als jede Bank – wird Tag und Nacht bewacht. „Waren es die Cartoons wirklich wert, das nun jeden Tag zu erleben? Mein Baby ist ein Jahr alt. Als ich es neulich mit in die Redaktion brachte, brauchte selbst sie einen Badge.“ Trotzdem versteht der 34-Jährige nicht, warum beim JP niemand über Pressefreiheit Auskunft geben will. „Das ist unser Beruf!“
Die Trennlinie zwischen Meinungsfreiheit und Verletzung religiöser Gefühle ist in Europa hauchdünn geworden; das zeigt nicht nur der kürzliche Anschlag auf das Satireblatt Charlie Hebdo in Frankreich, sondern eine zunehmende Tendenz zur Zensur für Islam-Kritik generell. Eine Studie von Kaas & Mulvad befragte 2010 654 Mitglieder kultureller Organisationen in Dänemark, die Hälfte davon anonym. Fast 50% der Befragten befanden, dass die Meinungsfreiheit in Dänemark in Gefahr sei. Ist es in Dänemark verpönt den Islam zu thematisieren, ihn genau wie andere Religionen verspotten zu dürfen? „Ich denke schon, dass Redakteure heute eher darüber nachdenken, wen sie provozieren“, sagt eine Redaktionspraktikantin. Auch sie möchte anonym bleiben.
MuhameDaneren vs. Dansk Folkeparti
Tarek Omar stammt aus dem Libanon, auch wenn er es nicht mag über seine ethnische Zugehörigkeit definiert zu werden. „Ich sehe mich als Däne, als Araber, aber vor allem als Vater“, sagt der ehemalige Brüssel-Korrespondent in akzentfreiem Englisch. 2011 hat der 34-Jährige ein Buch namens MuhameDaneren veröffentlicht. Omars Charaktere – die 'neuen Dänen' - verlieren sich zwischen ihren Identitäten. Stress habe es allerdings nie gegeben, sagt er. Selbst der pornosüchtige Imam, von dem eine Geschichte handelt, wurde von religiösen Kreisen akzeptiert. Nur weil er selbst Muslim ist? „Nein, sie haben die Schönheit erkannt. Es müssen nicht immer gleich Flaggen brennen. Es liegt an der Einstellung. Wenn sie pure Provokation ist, dann ist sie wertlos.“
Was für Omar Provokation ist, nennt Helle Merete Brix schlicht und einfach Meinungsfreiheit. Multikulti-Erfolgsstories seien zu einfach zu erzählen, behauptet die Journalistin. Sie habe ein „klares Profil“ in Dänemark, warnt sie vor. Oft stecke man sie in die Ecke der Islamophobie. Zu Recht? In Brix‘ Wohnung hängt die Karikatur von Kurt Westergaard aus dem Jyllands-Posten, die vor 7 Jahren um die ganze Welt ging, neben buddhistischen Bildern. Brix selbst ist Buddhistin. Aber sie glaubt an eine 'europäische Leitkultur', die auf den Werten des Christentums basiert, an strenge Grenzkontrollen und an die Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie. Jahrelang arbeitete die Autorin von Mod Mørket: Det Muslimske Broderskab i Europa [Gegen die Dunkelheit: Die Muslimische Brüderschaft in Europa] für die dänische Free Press Society. Doch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten beendete sie die Zusammenarbeit. „Das ist wie in der Ehe, Leute lassen sich manchmal scheiden.“
Die dänischen Rechtspopulisten der Dansk Folkeparti, die die allgemeine Verunsicherung seit 9/11 Schritt für Schritt in restriktive Gesetzestexte gegen Ausländer goss, seien eine notwendige Stimme gegenüber dem wachsenden Einfluss des Islam, so Brix. In den letzten 10 Jahren hatten die dänischen Rechtsliberalen in ihrem Bündnis mit den Rechtspopulisten in puncto Immigration immer wieder Zugeständnisse an letztere gemacht. Kein anderer Politiker traue sich das Thema öffentlich in Angriff zu nehmen. Die Instrumentalisierung von Meinungsfreiheit seitens der Rechtspopulisten hat auch in Dänemark längst Einzug gehalten.
Anders Breivik und der Terror der Christen
Im CaféTeatret in Kopenhagen folgen wir mit Dänemarks momentan umstrittenstem Theaterregisseur und Dramatiker, Christian Lollike, einer roten Linie auf dem Boden. Sie führt durch chaotische Hinterräume, Stuhlreihen, Treppen hinauf, Treppen hinab oder in Keller des Performance-Theaters. Es ist der Theaterpfad durch das kuriose Gebäude, den später auch die Zuschauer nehmen werden. Aktuell ist das Enfant Terrible des dänischen Theaters in aller Munde. Lollike will das Manifest des Oslo-Terroristen Anders Breivik2083 – A European Declaration of Independence inszenieren. 2011 hatte Breivik 77 Menschen, darunter zahlreiche Kinder, bei seinem Amoklauf auf der norwegischen Insel Utoya getötet. „In Skandinavien haben wir einen bestimmten Ton legitimiert, wie wir über Ausländer und insbesondere Muslime sprechen. Ein oft rassistischer Ton, der auch zu Extremismen wie diesen führen kann“, sagt er.
Dass die Islam-Debatte seit den Mohammed-Karikaturen abgeklungen ist, sei laut Lollike Fakt. Aber er möchte die Grausamkeit des bekennenden Christen nicht unter den Teppich kehren. Die Ereignisse von Utøya und das Manifest, das im Internet immer in Umlauf sein wird, dürften nicht unkommentiert bleiben. Die Rechtspopulisten versuchen den Regisseur immer wieder mundtot zu machen, stigmatisieren ihn für sein fehlendes Mitgefühl. Sein Projekt passt nicht zu den typischen Feindbildern. Der Respekt der Meinungsfreiheit, der für die JP-Karikaturen gefordert wurde, ist bei Politikern und in der Öffentlichkeit in diesem Fall plötzlich nebensächlich.
„Seht ihr, was auf dem Oberarm von Breivik steht, wenn man ganz genau hinsieht?“, fragt Lollike und zeigt auf ein Foto, das an seiner Pinnwand voller Schnipsel und Zeitungsartikel für das Theaterstück hängt: „Multicultural traitor hunting permit”. All diese üblen Gedanken über Muslime würden ihn ganz krank machen, sagt er. Lollike ist der Medienrummel um die geplante Inszenierung sehr nahe gegangen. Besonders als ihn das dänische Fernsehen, trotz vorheriger Absprache, mit Eltern von Opfern konfrontierte. Doch so leicht lässt sich der notorische Störenfried nicht abwickeln. Das könne wieder passieren, verteidigt er sein Projekt. “Ich denke, wir haben eine Verantwortung gegenüber unserer muslimischen Mitbevölkerung. Wenn al-Quaida die Twin Towers attackiert, dann ist das Teil eines religiösen und kulturellen Kriegs. Aber wenn es sich um einen kranken und verrückten Menschen wie Anders Breivik handelt, dann hat das mit unserer Gesellschaft nichts zu tun. Diesen Unterschied finde ich heuchlerisch und eine Bedrohung für unsere Demokratie.“
Der Artikel ist Teil unserer Reportagereihe 2012 MULTIKULTI on the ground. Vielen Dank an das cafebabel.com Localteam in Kopenhagen.
Illustrationen: Homepage (cc)FotoRita/flickr; Tarek Omar ©tarekomar.dk; Karikaturen ©Wulffmorgenthaler; Christian Lollike ©Nicola Zolin