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Vom Kinderlauf zum Sandmarathon: Die neue Leidenschaft für Laufwettkämpfe

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Lifestyle

Man schwitzt, quält sich stundenlang und zahlt auch noch Geld dafür, mit Hunderten oder Tausenden anderen eine lange Runde in teuren Städten zu joggen.Warum Marathons und Halbmarathons, vor allem in Metropolen, trotzdem immer beliebter zu werden. Ein Artikel übers Laufen in zwei Kapiteln – Nummer 1: Faszination für Laufevents. 

Vom Elite- zum Breitensport

Die erste Welle des Laufens begann in den 1960ern in den USA und gewann rasch an Bedeutung. In seinen Anfangszügen war es ein Sport, der vor allem von einer vorwiegend männlichen, finanziell gut abgesicherten und ambitionierten Elite betrieben wurde. In dieser Zeit schossen viele der heute großen Städtemarathons aus dem Boden: unter anderem Budapest 1961, Prag 1963, New York 1970 und Berlin 1974.

Ende der 1990er Jahre folgte die zweite große Welle: Freizeitläufer beider Geschlechter, mit weitreichenden Unterschieden in puncto Ehrgeiz, Beweg- und Hintergründen. Diese Welle scheint bis heute nicht abzuflauen, sich eher sogar zu vergrößern.Laut dem niederländischen Forscher Jeroen Scheerder gehen derzeit etwa 50 Millionen Europäer regelmäßig laufen – und nehmen auch zunehmend an Laufveranstaltungen teil. 2015 nahmen zum Beispiel 64 000 Läufer am größten Halbmarathon der Welt in Göteborg in Schweden teil.

Aktuell scheint sich die Masse an Läufern also grob in zwei Parteien zu teilen: die „etablierte“ Laufcommunity, die eher auf Marathonniveau läuft und ein neuerer Strom von Freizeitsportlern, die sich tendenziell an kürzeren Distanzen orientiert.Für sie ist das Ziel bei Laufveranstaltungen eher den Lauf abzuschließen als ihn zu gewinnen. Laut den niederländischen Forschern Jeroen Scheerder und Paul Hover und dem Belgier Maarten van Bottenburg wurde die Wichtigkeit dieser Gruppe von den Veranstaltern von Laufevents wahrgenommen. Sie organisieren deshalb nicht nur einen Wettkampf, sondern auch eine „Lauferfahrung für Leute, die an einer Massenveranstaltung teilnehmen wollen“. Dies hat laut den Wissenschaftlern zufolge, dass oft das Zeitlimit für die Teilnehmer erweitert oder abgeschafft wurde. Außerdem kann man meist zwischen verschiedenen Distanzen wählen: Es werden neben Marathon und Halbmarathon häufig auch fünf und zehn Kilometer und manchmal noch kürzere Kinderläufe angeboten. 

Motivation zum Schwitzen

Jörg Königstorfer vom Lehrstuhl für Sport- und Gesundheitsmanagement an der Technischen Universität München erklärt den generellen Anstieg der Laufbegeisterung: „Es zieht immer mehr Menschen in die Städte und gleichzeitig gibt es ein steigendes Gesundheitsbewusstsein und auch in den Städten den Drang, zurück beziehungsweise nah an die Natur zu kommen.“

Die allgemeine Zunahme an Joggern und „Freizeitläufern“ erklärt allerdings noch nicht, warum sich so viele einen Marathon, also gute 42 Kilometer, antun. Königstorfer legt dar, dass es unter anderem Exklusivität bedeutet: „Wenn man einen Marathon in einer beliebten Marathonstadt machen will, muss man sich etwa ein Dreivierteljahr vorher entscheiden und es kann nicht so schnell nachgeahmt werden von Anderen im Freundeskreis.“

Der Slowake Tomas hebt drei andere Gründe hervor, warum er ab und zu an einem Marathon teilnimmt: „Erstens ist es ziemlich aufregend, zweitens kann man seinen Fortschritt messen, wenn man viel trainiert hat, und drittens ist es eine soziale Aktivität.“ 

Laufen und Reisen – die Kombination machts

Marie aus Schweden erzählt, dass sie sich derzeit hauptsächlich für Laufwettbewerbe anmelde, um sportlich am Ball zu bleiben: „Ich trainiere mehr, wenn ich für einen Lauf registriert bin als wenn nicht. Ich möchte natürlich gerne schneller und besser werden und dabei ist esentscheidend, ein Ziel vor Augen zu haben.“ Es gibt aber einen zweiten Grund für sie: „Das Reisen ist auch wichtig. Ich besuche gerne besondere Events, bei denen man in eine neue Stadt fährt. Es kommt auch drauf an, wo ich Freunde habe, die ich dabei besuchen kann. Gerade will ich mich für einen Marathon anmelden, aber ich will ihn in einer schönen Stadt laufen.“

Universitätsprofessor Königstorfer versichert, dass sich auch die „treue Marathon-Community“ (also, die ‚ernsten‘ Läufer)schöne Städte heraussuche und ihre persönlichen Ziele mit etwas Angenehmem verknüpfen wollen. Für ihn ist das Besondere dabei „die Verbindung des sportlichen Ehrgeizes mit dem Erlebnis, als Läufer die Stadt in einer Gruppe wahrzunehmen, die Emotionen aufzusaugen, die am Streckenrand zu spüren sind, die Sehenswürdigkeiten aus einem Blickwinkel zu betrachten, den man sonst nicht hat. Und jeder große Stadtmarathon hat in der Läufercommunity sein Image. In New York geht’s zum Beispiel darum, über die Brooklyn Bridge zu laufen und die Hochhäuser zu erleben.“

Königstorfer spricht bei den Großstädten sogar von einerzu großen Nachfrage, „sodass zum Teilgar nicht alle Läuferinnen und Läufer bedient werden können, gerade bei den Marathons. Und es ist eine Entwicklung, die sich sogar noch verstärken könnte, wenn noch mehr Menschen in die Städte und in die Ballungsräume kommen.“

Alternativen zum klassischen Stadtmarathon

Nicht nur die Menschenmassen, auch die steigenden Preise für solche Großveranstaltungen treibt manche Läufer dazu, an alternativen Laufveranstaltungen teilzunehmen: Die 100 Euro für den Berlin-Marathon sind dabei noch eine eher billige Option – für New York kann ein „Paket“ mit Unterkunft und Betreuung schon mal eine vierstellige Summe kosten.

Manchmal bedeutet die Alternative aber auch einfach die Suche nach einer noch größeren Herausforderung. Christian, der in München wohnt, sagt von sich, er laufe alle Distanzen ab 10 Kilometer und erwähnt einen „Bergultra“, den er einige Wochen zuvor gelaufen war: „Das waren 60 km rund um die Zugspitze – inklusive 3000 Höhenmeter.“ Der stark sehbehinderte französische Marathonexperte Patrick nahm dieses Jahr an einem der härtesten Laufwettkämpfe der Welt teil, dem „Marathon des Sables“ („Sandmarathon“) in Marokko. In einem siebentätigen Rennen legen die Teilnehmer nahezu 250 Kilometer zurück. Der 59-Jährige erzählt, dass lediglich Trinkwasser vom Veranstalter gestellt worden sei und „die Hitze hat mir außerdem ganz schön zu schaffen gemacht.“

Tomas aus der Slowakei sucht die Alternative weniger in extremen Distanzen oder klimatischen Bedingungen, sondern erforscht lieber Neues: „Ich nehme gern an Laufveranstaltungen an interessanten Orten wie kleinen Dörfern oder in den Bergen teil – Orte, die man sonst nie zu Gesicht bekommen würde.“

Die Tendenz ist also klar: Es wird immer weiter und immer mehr gelaufen. Es gibt nicht mehr DIE Läufer und DIE Nicht-Läufer, sondern eine immer größere Gruppe, die in ganz verschiedener Intensität trainiert und sich bei Wettkämpfen ganz unterschiedliche Ziele setzt. Eigentlich ein positiver Trend – wenn er nicht auf Dauer zu einer Trennung führt zwischen denjenigen, die sich die Startgelder und die Reisekosten leisten können und dem Rest, der seine Joggingrunden nur vor der Haustür drehen kann.