Viva la vulva: Auf Entdeckungsreise zur weiblichen Lust
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Pro Frau, pro Porno – so lässt sich die Position sexpositiver Feministinnen beschreiben. Sie setzen sich für Sexfilme ein, die auch das Begehren der Frauen in den Vordergrund stellen. In Berlin sind sie besonders aktiv: unter anderem mit zwei Pornofilmpreisen, Sexshops für Frauen und dem Sexclusivitäten-Salon. Eine Reportage ins Zentrum der weiblichen Lust.
Eine unscheinbare Nebenstrasse in Berlin-Kreuzberg, ein Klingelschild, das „Sexclusivitäten“ verspricht, eine nervöse Reporterin, die sich wie eine Agentin auf Undercover-Mission fühlt. Auf mein Klingeln ertönt eine sonore Stimme mit der Anweisung „5. Stock, die Wohnung gegenüber vom Fahrstuhl“. Ein Mann im langen Mantel schlüpft hinter mir ins Haus und betritt mit mir den mit samtig-roten BHs ausgeschmückten Fahrstuhl. Schiefes Lächeln und betretenes Schweigen während wir Stockwerk für Stockwerk nach oben fahren. Oben angekommen trennen sich unsere Wege: Er möchte in den Sexclusivitäten-Kaufladen mit Produkten aus „Dildonien“, wo es auch „Kugeliges“, „Lederliches“ „Sextras“ und „Cliteratur“ zu erwerben gibt. Ich bin zur interaktiven Lesung erotischer Literatur gekommen.
"Eine Gummipuppe für Lesben, die mit gespreizten Beinen auf ihre Penetration mit dem Strap-On-Dildo wartet."
Was in den Ankündigungen als Sexclusivitäten-Salon beschrieben wird, findet auf der einladenden Ledercouch in einem Wohnzimmer statt, darüber ein Bild mit zwei nackten, sich räkelnden Damen. Die, die eigentlich hier wohnt, heißt Laura Méritt – ausgewiesene Sexpertin, Kommunikationswissenschaftlerin und Lachforscherin. Heute führt ihre üppige Assistentin durch den Abend. Zehn Frauen sind gekommen, um Texte aus dem neuem Buch „Das lesbische Auge Nr. 11“ zu lesen, das einen Querschnitt durch alle Themen der lesbischen Sexualität offenbart.
Jede Frau sucht sich ihren Text aus und liest sich ein: Der erste lesbische Kuss und die Verwirrung, die er stiftet. Das erwachende Begehren, das ein Berliner Hinterhofzimmer in grellen Farben erleuchten lässt. Eine Gummipuppe für Lesben, die mit gespreizten Beinen, den Hintern in die Höhe gestreckt, auf ihre Penetration mit dem Strap-On-Dildo wartet.
Zärtlich zum Dauerorgasmus
Weil vorher nicht genug Zeit blieb, um den ausgesuchten Text bis zum Ende zu lesen, werden manche Frauen von ihrem Text überrascht. Die Stimme belegt sich, der Vorlesefluss stockt, die Wangen schimmern. Andere scheinen den passenden Text für sich gefunden zu haben. Die Sinne sprengende Erfahrung einer tantrischen Massage, die den weiblichen Körper sanft und zärtlich zum Dauerorgasmus bringt, wird von einer Sexarbeiterin mit rauchig-dunkler Stimme vorgetragen.
Eines wird mir klar: Die Frau als Sexobjekt entsteht nicht nur durch den männlichen, sondern auch durch den weiblichen Blick. Begehren, Lust, Eifersucht und Machtgefälle bestimmen die Beziehung zwischen Frauen genauso wie zwischen Männern und Frauen. Ein Gedicht, in dem weibliche Attribute aus lesbischer Literatur aufgelistet sind, bringt es auf den Punkt. „Kleine, feste Brüste“, „smaragdgrüne Augen“ und „feste, straffe Haut“ in einer lyrischen Dauerschleife – so sieht die idealisierte Geliebte für einen Teil lesbischer Frauen aus. Was macht also den Unterschied aus?
PorYes statt PorNo
Spätestens seit Alice Schwarzer 1987 ihre „PorNO“-Kampagne startete, hat die kollektive Moral Pornografie als frauenverachtend, diskriminierend und als patriarchales Mittel zur Unterdrückung der Frau abgespeichert. Aber statt Pornos insgesamt zu verteufeln, setzen sex-positive Feministinnen wie Laura Méritt darauf, ihn zu verändern. Unter dem Label „PorYes“ statt „PorNo“ wollen sie fairen und qualitativ hochwertigen Porno. Sie fordern die Darstellung weiblicher Lust, ohne dass sie ausschließlich dem männlichen Orgasmus dient. Personen verschiedenen Alters, Geschlechtes, sexueller Orientierung und ethnischen Hintergrundes sind die Akteure, die in einer emotionalen Beziehung zueinander dargestellt werden und deren Arbeitsbedingungen fair und sicher sein sollen. Und: Im feministischen Porno sind Frauen nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera aktiv. Für die besten feministischen Pornos wird im Herbst zum zweiten Mal der „PorYes! European Feminist Porn Award“ verliehen.
Auf der schwarzen Ledercouch sitzend frage ich mich: Verändert der Anspruch an Inhalt, Produktionsbedingungen und Darstellung die Pornografie? Sind Sexdienstleistungen automatisch fairer, wenn Frauen hinter der Kamera stehen und darauf achten, dass eine Wohlfühl-Atmosphäre am Set herrscht? Wenn die Filme vielfältigen Sex für alle Zielgruppen anbieten und wenigstens die mediale Darstellung weiblicher Lust differenziert dargestellt wird?
"Ich alte Romantikerin."
Ich bin an der Reihe. Ich lese einen Text, der von zwei verliebten Frauen erzählt. Wind weht durch die geöffneten Fenster, Vögel zwitschern im Baum vor dem Haus, die nackte Haut riecht nach Sommer. Dann bricht eine Krankheit aus und im Angesicht des Todes wird klar, dass niemand von der Beziehung wusste. Sich bekennen, den Mut aufbringen, um für jemanden zu kämpfen, seinen eigenen Weg gehen – damit kann ich mich problemlos identifizieren. Ich alte Romantikerin.
Nach der Lesung wird munter gequatscht, Telefonnummern ausgetauscht, die Dildo-Sammlung bewundert. Ich steige mit einer Teilnehmerin in den Fahrstuhl, aus dem die BHs schon entfernt wurden. Auf dem Weg nach unten fällt uns nichts ein, über das wir noch reden könnten. Das ist das Komische an so einer Lesung: Sehr schnell werden intime Grenzen überschritten, hinter die man nicht wieder zurück kann. Etwas nackig vom Gefühl her steige ich auf mein Fahrrad und denke, dass diese Stadt mich immer wieder überrascht.
Mehr über neue Pornografie erfährst du in unserem Dossier "Der Porno ist tot, es lebe der Porno!"
Fotos (in der Reihenfolge des Textes): (cc)Elmo H. Love/flickr, (cc)marestra/flickr Video: fannlaf/YouTube