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Virginie Despentes und Lucía Etxebarría: Literatur der Alphamädchen

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Kultur

Despentes und Etxebarría: Zwei Autorinnen, die mit Trash-Romanen wie Baise-moi ('Fick mich'), Les chiennes savantes ('Die Unberührte') und Lo que los hombres no saben ('Was Männer nicht wissen') in Frankreich und Spanien für Furore gesorgt haben, zu oberflächlichen Feuilletons und der Notwendigkeit den weiblichen Körper zu schreiben.

Welches Verhältnis der Frau zu ihrem Körper versuchen Sie in Ihren Romanen auszudrücken?

Virginie Despentes: Bevor ich einen Roman schreibe, frage ich mich nicht: "Was ist das Verhältnis der Frau zu ihrem Körper, dem ich Ausdruck verleihen möchte?" Ein Verhältnis zur Arbeit, ein Verhältnis zum Geld, zur Autorität oder zum Erwachsensein vielleicht. Aber zum Körper? Doch nach längeren Nachdenken scheint mir, dass ich den weiblichen Körper genauso wie den männlichen sehe: Als ein Mittel, mit dem Reichtümer geschaffen werden können und das Autoritäten unterworfen ist (Gefängnis, psychatrisches Krankenhaus, Mode, Verführung, Arbeit jeglicher Art), denen sich zu entziehen schwer oder gar unmöglich ist.

Lucía Etxebarría: Ich glaube, die moderne Frau von heute ist von ihrem eigenen Körper getrennt oder sie sieht ihn als etwas weit Entferntes an, ein fremdes Wesen, das man disziplinieren und auf Distanz halten muss. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Wesen dick wird, mit Zellulitis bedeckt ist oder dass es Falten bekommt. Wir müssen kontrollieren, was wir essen, wie wir schlafen, wie viel wir laufen. Ununterbrochen muss man Sport treiben. Es ist ein Körper für jemand anderen, nicht für uns selbst. Ich glaube, wir sollten uns mit unserem Körper versöhnen und lernen, ihn zu lieben wie er ist. Denn die christliche Trennung von Seele und Körper existiert nicht. Die Seele ist der Körper.

Wie haben Gesellschaft und Medien Ihre Werke aufgenommen und was sagen die Reaktionen, Ihrer Meinung nach, über die Literaturkritik Ihres Landes aus?

Virginie Despentes: Wenn ich mir überlege, wie die französischen Medien meine Bücher - im Vergleich zu den Romanen anderer, weniger medienpräsenter Autoren - aufgenommen haben, dann kann ich mich wirklich nicht beschweren. Meine Bücher werden jedoch immer als Frauenbücher gelesen. Ich bin davon überzeugt, dass die Kommentare spürbar anders ausfallen würden, wenn ich sie mit "Robert Despentes" signiert hätte. Das Politische und die Betrachtung der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit werden automatisch herablassend behandelt, sobald das Buch einen weiblichen Autorennamen trägt. Was, von meinem Fall abgesehen, die französische Literaturkritik anbelangt, vermisse ich jegliche Spannung . Da ist diese Unfähigkeit zu debattieren oder einen interessanten oder scharfsinnigen Blickwinkel einzunehmen. Egal, ob es sich um einen Roman von Houellebecq, Didion, Nothomb, Lolita Pille oder Easton Ellis handelt: Nach dem Lesen mehrerer Artikel über sie bin ich jedes Mal außerordentlich erstaunt, dass ich in der Presse nichts gefunden habe, was mit dem Roman, dem Werk des Autors oder der behandelten Thematik zu tun hat. In diesem Stadium der Nichtigkeit könnte auch etwas Interessantes stecken, in Wahrheit ist die französische Literaturkritik aber einfach nur jämmerlich. Sie hat den Bezug schon seit langem verloren.

Lucía Etxebarría: Mein Roman Was Männer nicht wissen hat sich blendend verkauft. Rezensionen in den Medien gab es allerdings kaum, denn als das Buch erschien, kam nur eine kleine Auflage ohne großangelegte Werbekampagne auf den Markt.

Warum hat eine neue Generation junger Autorinnen heutzutage das Bedürfnis, Körper und Sexualität der Frau auf so explizite Weise darzustellen?

Virginie Despentes: Colette, Violette Leduc, Miller, Bukowski, Dustan, Anaïs Nin, Daniel Defoe. Ich meine nicht, dass die weibliche Sexualität das einzige ist, was die Romanciers interessiert, auch der männliche Körper und seine Sexualität scheinen sie sehr zu interessieren. Und ich meine gar, dass dieses Phänomen keineswegs neu ist…

Lucía Etxebarría: Für Jahrhunderte war es uns Frauen untersagt, über diese Themen zu schreiben. Es handelt sich deshalb um ein neues Thema voller Entdeckungsmöglichkeiten. Über die heterosexuelle männliche Sexualität ist schon fast alles geschrieben worden. Wir haben alle Apollinaire, Bukowski, Miller gelesen. Sogar die schwulen Männer haben schon geschrieben und publiziert. Wir Frauen haben bis weit hinein in das 20. Jahrhundert keinen Zugang zur Lektüre und zum Schreiben gehabt. Und auch heute sind viele Frauen weltweit noch Analphabeten. Deswegen ist es so dringend zu erzählen, was bis jetzt nicht erzählt wurde. Denn die weibliche Sexualitä wurde jeher aus einer männlichen Perspektive dargestellt, die uns als Objekt und nicht als Subjekt wahrgenommen hat.

©CarêmeDrogen, Gossenkinder, Gewaltszenen: In der französischen Literatur gehört die aus Nantes stammende Autorin Virginie Despentes zu den Grenzüberschreitern. Die ehemalige Prostituierte, die vor ihrer literarischen Karriere in einer Peep-Show arbeitete, musste feststellen, dass eine zu große Aufmerksamkeit der Medien traumatischer sein kann als Prostitution. Ihr Roman Baise-moi und die spätere Kinovariante in Zusammenarbeit mit Coralie Trinh Thi sorgte europaweit für Furore und wurde aufgrund von Sex- und Gewaltszenen in Frankreich teilweise zensiert. Neben Werken wie Die Unberührte (1999) oder Teen Spirit (2003) versucht sich Despentes in ihrer letzten Veröffentlichung King Kong Theory (2007) an einer Autobiographie.

©Elisabeth MorenoDie baskische Schriftstellerin Lucía Etxebarría hat in allen ihren Romanen immer eine feministische Linie vertreten. Mit ihrem polemischem Erstling Amor, curiosidad, prozac y dudas ('Von Liebe, Neugier, Prozac und Zweifeln') schafft die heute 41-jährige Mutter 1997 den Durchbruch. 2001 für die Kinoleinwand adaptiert, wird ihrem Roman trotz Plagiatsvorwürfen eine identitätsstiftende Rolle für die so genannte 'Generation X' zugeschrieben. 1998 gewann die Autorin den ältesten Literaturpreis Spaniens - den Premio Nadal - für den Nachfolger Beatriz y los cuerpos celestas ('Beatriz und die himmlischen Körper'). Lesen Sie mehr über Lucía Etxebarría in unserer Rubrik Brunch mit...

Translated from Virginie Despentes y Lucía Etxebarría: Perras sabias