"Versteht Wolfgang Schäuble uns junge Griechen?"
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Café Babel Athen wurde vergangene Woche mit dem Jugendkarlspreis in Aachen aufgezeichnet. Im Zug auf dem Rückweg von Aachen konnten wir uns mit Elina Makri vom Athener Team unterhalten.
Während im Hintergrund der Schaffner die Fahrkarten kontrollierte, alle paar Minuten der nächste Bahnhof angesagt wurde und am Fenster die hügelige rheinische Landschaft vorbeirauschte, berichtete Elina von der Orientierungslosigkeit junger Griechen während der Krise, den fehlenden Kenntnissen europäischer Journalisten über den eigenen Kontinent und die Projekte von Café Babel Athen.
"Wichtiger Beitrag zur europäischen Öffentlichkeit." Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, verleiht den Jugendkarlspreis an Elina Marki von Café Babel Athen (Foto: Europäisches Parlament)
Elina, herzlichen Glückwunsch zum Jugendkarlspreis! Finanzminister Wolfgang Schäuble, der dieses Jahr den Karlspreis gewonnen hat, nannte es ein wichtiges Zeichen, dass gerade in der Krise eine Teilnehmerin aus Griechenland mit dem Jugendkarlspreis ausgezeichnet wurde. Was hast du gedacht, als du diese Worte gehört hast? Ich hoffe, dass er sie auch so meint.
Hast du Zweifel? Nein, keine Zweifel, aber ich glaube, dass es für ihn sehr schwer ist, sich vorzustellen, was es heißt, gerade jetzt ein junger Grieche zu sein. Andererseits denke ich, dass es auch schwer ist, sich vorzustellen, was es heißt, deutscher Finanzminister zu sein. Man hat seine Verpflichtungen. Wären die Worte vom italienischen Finanzminister gekommen, würde ich sie leichter glauben und sagen, ok, hier gibt es mehr Mitgefühl.
Wenn Schäuble fragen würde: Wie ist denn die Situation für einen jungen Griechen in diesem Moment, was würdest du antworten? In diesen Zeiten junger Grieche zu sein, ist sehr verwirrend. Man weiß einfach nicht, in welche Richtung man sich orientieren soll. Und ehrlich gesagt: Bis zur Preisverleihung, auch noch im Flugzeug, habe ich gedacht: Was soll ich bloß in Aachen? Es kommen all diese unangenehmen Fragen über Griechenland, auf die ich auch keine Antwort habe.
"Niemand berichtet über positive Entwicklungen in Athen."
Versucht ihr mit Café Babel Athen dieses Gefühl einzufangen? In den letzten Artikeln ging es zum Beispiel um moderne Start-Up-Unternehmen zwischen antiken Säulen und Büchern in Athen. Start-Up-Unternehmen sind gerade ein großer Trend in Athen, über den niemand in Europa berichtet – denn die Griechen, die dahinter stehen, orientieren sich überhaupt nicht an Europa.
Wohin orientieren die sich? Nach Kalifornien, China oder Israel, denn dort gibt es Investoren, die bereit sind, Kapital zu geben. Das ist wirklich ein großer Trend, in Athen entstehen überall Co-Working-Arbeitsplätze. Diese Start-Up-Unternehmen werden in der New York Times erwähnt, aber nicht in europäischen Medien.
Wie findet ihr die Themen, über die ihr berichtet? Café Babel Athen ist wie ein Café Babel innerhalb Café Babels. Wir sind recht kritisch gegenüber dem europäischen Blickwinkel auf die Realität. Ich denke, viele Europäer sind Manichäer. Sie sehen eine Gegebenheit und interpretieren sie nach den Kategorien von gut und schlecht. Ich versuche die Idee zu vermitteln, dass es nicht nur negative oder schlechte Nachrichten gibt. Die Idee ist, eine andere Perspektive zu bieten.
Preisträgerin Elina Makri (mitte) mit den Zweit- und Drittplatzierten, Renata Kopřivová (links) und Daniel Vérten (rechts) (Foto: Europäisches Parlament)
Ich habe gesehen, wie du die Financial Times gelesen hast. Was für eine Geschichte über Griechenland fehlt deiner Meinung nach, zum Beispiel in der Financial Times? In den Medien findet man vor allem Urteile, aber kaum alternative Szenarien. Beispielweise verstehe ich im Finanzbereich nicht, warum Griechenland entweder aus dem Euro aussteigen soll, oder sehr harte Sparauflagen erfüllen muss. Warum kann Griechenland nicht mehr Zeit bekommen? Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor sollen entlassen werden. Warum all diese Angestellte gleichzeitig entlassen, und ihnen nicht, zum Beispiel, mehr Arbeit geben? Auf diese Art und Weise könnte die Verwaltung besser arbeiten und es könnte mehr investiert werden. Ich verstehe nicht, warum es in den Diskussionen keine alternativen Szenarien gibt.
"An der türkisch-griechischen Grenze Zustände wie in der Dritten Welt"
In Aachen hast du auch Martin Schulz getroffen, des Präsidenten des Europäischen Parlaments. In seiner Laudatio sagte er, Café Babel Athen hilft, eine europäische Öffentlichkeit zu entwickeln, die wichtig ist für die europäische Demokratie. Als Journalisten müssten wir innerhalb Europas viel mehr über uns wissen. Stell dir vor, du würdest jetzt zur griechisch-türkischen Grenze aufbrechen und die dortige Dritt-Welt-Situation sehen. Sobald du diesen Eindrücken ausgesetzt warst, bist du viel sensibler. Das ist das wichtige an unserem Café Babel-Projekt „Europe on the Ground“. Wir haben viele Leute auf Reisen geschickt, damit sie mit ihren eigenen Augen sehen und die Fakten verstehen. Bisher hat nur eine kleine Gruppe von Journalisten aus dem Ausland berichtet. Es ist schwierig, Zeitungen zu finden, die bereit sind, für Auslandskorrespondenten zu bezahlen. Das zu ändern ist meiner Meinung nach extrem wichtig.
Elina Makri (links): "Beim Thema Solidarität geht es nicht nur ums Geld!" (Foto: Emma Biermann)
Was machen du und das Team in Athen jetzt, da ihr diesen Preis gewonnen habt? Erst mal bin ich sehr glücklich! Wir haben all diese tollen Projekte und werden an ihnen weiterarbeiten. Letzten Monat hatten wir fünf Journalisten zu Besuch, aus Großbritannien, Slowenien, Spanien, Belgien und Ungarn. Es war ein nettes Team, das zum Thema Multikulturalismus in Athen recherchiert hat. Sie haben über die Situation von illegalen Einwanderern in Griechenland geschrieben, eine recht deprimierende Situation. Beispielsweise kann man in Griechenland den Asylantrag nur einmal pro Woche stellen, samstags um 5 Uhr morgens. In der Vergangenheit wurden Leute, die in der Schlange anstanden, sogar getötet. Mit „Europe on the Ground“ versuchen wir, über die Probleme mit Migration in Griechenland zu informieren. 300 bis 400 Menschen wandern jeden Tag ein. Es ist eine Sache, das theoretisch zu diskutieren, aber eine andere Sache, das zu erleben. Manche Menschen sterben, wenn sie den Fluss an der griechisch-türkischen Grenze überqueren. Wir begraben sie, ohne auch nur zu wissen, welcher Religion sie angehören. Wir haben nur einen Mufti, der ein paar Koran-Verse aufsagt, und das war‘s. Aber diese Grenzen sind europäische Grenzen! Wir haben auch Dublin-II besprochen, ein abscheuliches europäisches Gesetz, das festlegt, dass alle Asylsuchenden nur in dem Land einen Antrag stellen können, in dem sie Europa betreten haben. Dieses Gesetz ist in Europa weitgehend unbekannt. Besonders bei der Einwanderung gibt es große soziale Probleme, aber es gibt keine Solidarität in Europa. Wie man sieht geht es beim Thema Solidarität nicht nur ums Geld.
Elina, vielen Dank für deine Zeit und viel Erfolg mit Café Babel Athen!