Versöhnung nach der Lagerhaft
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Sechzig Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft leben nur noch wenige ehemalige KZ-Häftlinge in Polen. Statt Bitterkeit bestimmt Versöhnung mit den Deutschen ihre Haltung. Organisationen wie das deutsche Maximilian-Kolbe-Werk tragen zur Verständigung bei.
Leise weht die Melodie des Trauermarsches von Chopin in die starren Gesichter der 50 Angehörigen und Freunden hinüber, die sich um das Grab von Zygmunt Makowski versammelt haben. Zwei Männer und eine Frau stehen hinter dem Pfarrer und halten eine große Fahne in die Höhe. Kräftig läßt die Sonne den blau-weiß gestreifte Samtstoff mit dem großen P für Pole auf dem roten Dreieck strahlen. Es sind Vertreter der Organisation ehemaliger KZ-Häftlinge, die ihrem verstorbenen Gefährten die letzte Ehre erweisen.
Dies wird nicht die letzte Beerdigung eines Kameraden sein, an der Zygmunt Kauc teilnimmt. Er ist der Leiter des sozialmedizinischen Zentrums für ehemalige KZ-Häftlinge in Lodz, das vom Freiburger Maximilian-Kolbe-Werk finanziert wird. „Es war für die Häftlinge sehr wichtig zu sehen, dass sich Deutsche für ihre Lage interessieren und ihnen helfen wollen”, erklärt Zygmunt Kauc in seinem kleinen Büro in Lodz. Heute leben von den einstmals 3600 Häftlingen in Lodz, die die Lager überlebt hatten, nur noch 625 Männer und Frauen. Je älter sie werden, desto dringender benötigen sie Unterstützung durch die Ärzte, die im Zentrum arbeiten oder durch Hausbesuche und „Essen auf Rädern”.
Maximilian Kolbe, Schutzheiliger der Hälftlinge
„Vor 16 Jahren, als wir mit der Arbeit hier anfingen, waren wir alle noch richtig jung”, sagt der inzwischen 81-jährige Kauc in perfektem Deutsch und lacht verschmitzt. „Jetzt werden wir immer kleiner und älter”. Über einer Sitzecke im Aufenthaltsraum strahlt das Bild des Franziskanerpaters Maximilian Kolbe, der 1982 von Papst Johannes Paul II. als „Märtyrer der Versöhung” heilig gesprochen wurde. Er ist der Schutzheilige aller KZ-Häftlinge, nachdem er für einen Mitgefangenen in Auschwitz freiwillig in den Tod ging.
„Liebe Eltern, mir geht es gut. Ich arbeite freiwillig hier.” So fingen regelmäßig die zensierten Briefe aus dem Frauen-KZ Ravensbrück an die Familien zu Hause an. Auch die von Halina Burdowa, inzwischen 94 Jahre alt. Vom gelb-braunen Rauch der Krematorien durfte man in ihnen nichts lesen. Doch trotz der erlebten Qualen verspürt sie keinen Hass. Viele deutsche Mitgefangene habe sie dort kennen und auch schätzen gelernt. Dass auch Deutsche Opfer der faschistoiden Gewaltmaschinerie wurden, macht die Auseinandersetzung mit den Taten des Nachbarn für die ehemaligen Häftlinge wesentlich leichter. Für die 94-Jährige war aber auch das christliche Gebot der Nächstenliebe entscheidend für eine Aussöhnung. Nüchtern erzählt sie, wie sie am ersten Tag des gerade begonnen Krieges in der Nähe von Danzig verhaftet wurde. „Polonisierung deutscher Kinder” wurde der jungen Lehrerin vorgeworfen und man brachte sie bis zur Befreiung durch die Rote Armee nach Ravensbrück.
Nach dem KZ der Gulag
„Nur der Glaube an das Paradies nach dem Tod gab uns die benötigte Kraft zum Überleben”, sagt sie mit Tränen in den Augen. Dann kramt sie aus einer alte Holzschachtel einen Brief von Johannes hervor. Der junge Deutsche war vermittelt durch das Maximilian-Kolbe-Werk für ein Jahr als Friedensdienstleistender im sozialmedizinischen Zentrum tätig und sie hatte ihn schnell in ihr Herz geschlossen. Als läse sie den Brief das erste Mal, freut sie sich über jeden Satz aus Deutschland. „Was für ein schlauer, junger Mann”, sagt sie stolz und man könnte meinen sie spricht über ihren eigenen Urenkel.
Auch Zygmunt Kauc hat die Schrecken am eigenen Leib erfahren müssen. Zwei Jahre war er im KZ-Stutthof bei Danzig inhaftiert und überlebte dort nur durch Glück den Flecktyphus. Nach der Befreiung wurde er auf dem Heimweg nach Lodz für weitere zehn Jahre in das russische Gulag Workuta verschleppt, da er sich als Pole weigerte, für die Rote Armee zu kämpfen. Viele seiner Kameraden hätten auch während der Haft gute Deutsche kennen gelernt, die ihnen Nahrung gaben oder leichtere Arbeit verschafften. „Es gibt nicht nur den bösen Deutschen, das haben wir schon früh zu differenzieren gelernt”, erklärt er. Sein eigenes Credo speist sich aus der ureigenen Lebenslust eines Überlebenden: „Haß zerstört nur – zuerst einen selbst!”
Patronenhülsen als Souvenir
Nie darf jedoch vergessen werden, was geschehen ist. Deshalb sind die Gedenktage, wie sie derzeit überall begangen werden, für die Überlebenden so wichtig. Die Feier zum 60.Jahrestag der Befreiung des Übergangslagers Radogost bei Lodz ist eine stille Zusammenkunft. Nur die drei Salutschüsse der jungen polnischen Soldaten donnern laut in den Himmel über den ehemaligen Apellplatz. Bei der Kranzniederlegung reihen sich hinter die offiziellen Vertreter mehrere Schülergruppen ein. Sichtlich nervös legen sie Osterglocken in einem Halbrund um den Gedenkstein, bevor sie fast militärisch zackig auf dem Absatz kehrt machen und zwischen den Zuhörern verschwinden. Am Ende der Feier stürmen sie wieder hervor und streiten sich um die Patronenhülsen der abgeschossenen Gewehrsalven. Eine Gruppe Überlebender schaut dabei aufmerksam zu. In ihren Blicken spiegelt sich die Hoffnung, dass die Hülsen nicht das einzige sind, was die Jugendlichen von diesem Tag mit nach Hause nehmen.