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Usbekistan: Was ist uns billige Baumwolle wert?

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WienGesellschaft

Textilskandale häufen sich. Erst kürzlich entdeckte eine Britin einen Hilferuf einer Näherin in einem Kleid der Billigmarke Primark. Auch in Österreich kann man vielerorts T-Shirts für 5 Euro finden. Doch hinter den Billigklamotten verstecken sich oft katastrophale und umweltschädigende Arbeitsbedingungen. Eine Bestandsaufnahme in Usbekistan, einem der größten Baumwolllieferanten weltweit.

Für die Herstellung eines einzigen Baumwoll-Shirts sind mindestens 2000 Liter Wasser notwendig. Da Regen die Baumwolle verfaulen lässt, werden die Pflanzen aber bevorzugt in trockenen Gebieten angebaut, was ein Problem aufwirft: die Bewässerung. Usbekistan gehört zu den wichtigsten Baumwolllieferanten der Erde. Um das zu erreichen, wurde die fast vollständige Verlandung des Aralsees, einem vormals riesigen, artenreichen Binnensees in Usbekistan und Kasachstan in Kauf genommen.

Umweltkatastrophe am Aralsee

Seit der Stalin-Ära wurde den kasachischen und usbekischen Zuflüssen des Aralsees Wasser für die künstliche Bewässerung der Baumwollfelder entnommen. Ab den 1960er Jahren sank der Wasserspiegel. Das Wasservolumen des Aralsees hat sich seither um 90 Prozent reduziert. Der Aralsee, der in Quellen aus dem 19. Jahrhundert als „orientalisches Wunder“ auftaucht, das die verschiedensten Tierarten beherbergte und ertragreichen Fischfang ermöglichte, verlandete in den letzten 50 Jahren. Der See zerfiel in zwei Teile. Der Salzgehalt des Aralsees stieg an und ist heute 2,4 mal so hoch als in den Ozeanen. Die meisten Fischarten starben.

Die früheren Hafenstädte Aral und Mujnak, die Touristen anzogen und durch den Fischfang als wohlhabend galten, liegen heute 30 beziehungsweise 80 Kilometer vom Ufer entfernt und wirken wie ausgestorben. Seit der Fischfang keine Arbeitsplätze mehr ermöglicht, gehen junge Menschen weg, um anderswo Geld zu verdienen. Nur noch Kinder und Alte leben in den Städten, die mittlerweile in der Wüste liegen. Dort wo früher Häfen waren stehen heute Schiffswracks in einer Wüste aus Sand und Salz.

Zur Entlaubung der Baumwollkulturen wurde von der UdSSR Agent Orange eingesetzt und einfach über den Körpern der BaumwollpflückerInnen versprüht. Agent Orange ist ein hochgiftiges Mittel, das durch dessen Einsatz durch die US-Armee im Vietnamkrieg bekannt wurde. Es verursacht eine Vielzahl von Krankheiten und ist sehr persistent, das heißt, es bleibt lange in der Umwelt. Das Agent Orange gelangte auch in die Aralzuflüsse und befindet sich mittlerweile wie viele andere Pestizide und künstliche Düngemittel in der Wüste rund um den See, welche deshalb extrem gesundheitsgefährdend ist. Im Aralbecken ist nicht nur die Säuglingssterberate gestiegen, auch Krebserkrankungen und Immunschwächen treten häufiger auf als im restlichen Zentralasien.

Von usbekischer Seite gibt es keine Versuche, den Aralsee zu retten. Baumwolle hat noch immer die höchste Priorität im Land! In Kasachstan wird versucht, den im eigenen Land gelegenen Teil des Sees zu retten, wodurch aber der usbekische Teil des Sees schneller austrocknet, weil ihm Wasser fehlt, was zu Konflikten zwischen den Ländern führt.

Usbekistan ist seit gut zwei Jahrzehnten unabhängig von Moskau. Fast ebenso lange regiert Präsident Islam Karimow das Land mit harter Hand. Das staubige Usbekistan lebt vom Export von Erdgas und Baumwolle. 1919 ordnete Lenin an, Mittelasien müsse den gesamten Bedarf an Baumwolle in der Sowjetunion decken, die BaumwollpflückerInnen litten in der UdSSR unter giftigen Düngemitteln und grausamen Arbeitsverhältnissen.

Schluss mit Kindern auf Baumwollfeldern

Nach der Unabhängigkeit wurden die Baumwollplantagen privatisiert, die gesamte Ernte wird aber zu einem geringen Preis vom Staat gekauft und darf an niemand anderen verkauft werden. Die Preise sind so niedrig, dass sich die Bauern keine regulär beschäftigten MitarbeiterInnen auf ihren zwangsbestellten Feldern leisten können. Hier springt der Staat ein: Um den Spitzenplatz unter den Baumwollexporteuren zu halten wurden seit der Unabhängigkeit jährlich 2 Millionen Kinder ab 9 Jahren zur Arbeit auf den Feldern gezwungen.

Darüber in Usbekistan zu reden ist gefährlich. AktivistInnen, die sich gegen die Zwangsarbeit auf den Baumwollfeldern einsetzten, berichten, dass sie verhaftet und gefoltert wurden. Dennoch schien ihr Einsatz 2012 Früchte zu tragen, als es auf den usbekischen Baumwollfeldern keine Kinderarbeit mehr gab. Die Baumwolle wird trotzdem weiter gepflückt und zum selben Preis exportiert. Von wem? In den letzten Sommern bediente man sich der staatlichen Bediensteten, um die selben Erträge aus der Baumwolle zu erzielen: LehrerInnen, ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen oder PostbotInnen, jeder der im Staatsdienst tätig ist, kann eingesetzt werden, um für wenige Cent pro Kilo mehrere Wochen im Sommer auf den Baumwollfeldern zu verbringen.

Die Konsequenz für jene, die sich weigern, ist zumeist mindestens eine Kündigung. Die Arbeitszeiten sind lang, die Verpflegung und den Transport zu den Feldern müssen die PflückerInnen selbst bezahlen. Auf den Feldern werden die Zwangsverpflichteten mit giftigen Düngemitteln besprüht und die Unterkünfte sind eng, feucht und kalt. Nicht wenige kommen krank von ihrem Sommereinsatz zurück. Während ihrer Abwesenheit fehlen die ÄrztInnen und PflegerInnen, manche Krankenhäuser werden einfach geschlossen.

Das Durchdringen von Informationen an die Öffentlichkeit über die Sklavenarbeit und die Umweltverschmutzung durch die usbekische Baumwolle führte zum offiziellen Boykott einiger großer Händler wie z.B.: H&M, Adidas und C&A. Praktische Konsequenzen ergeben sich daraus jedoch kaum, die Wertschöpfungsketten in der Textilindustrie sind lange und selten können sie bis an den Anfang zurückverfolgt werden.