Umweltkünstler in Rom: Zwischen Rap und Recycling
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Katha KlossSie sind Designer, Schauspieler, Musiker oder Comiczeichner - oder über einen Kamm geschert: Umweltaktivisten. Reise ins kreative Rom, wo Kunst und Umweltschutz verschmelzen.
Fahrradreifen, Sicherheitsgurte, Rohre, Knöpfe, Reißverschlüsse oder Stoffreste: Als ich diesen kunterbunten Shop betrete, versetzen mich diese vielfältigen, für Taschen, Kleider und Accessoires wiederverwendeten Materialien in Staunen. Hinter einer kleinen Bank sitzt Roberta. Sie telefoniert gerade und kämpft gegen ihren viel zu langsamen Computer. Roberta ist die Koordinatorin von Occhio del Riciclone ("Auge des Recycling"), eine so genannte Onlus (Organizzazione non lucrativa di utilità sociale; Sozial engagierte, gemeinnützige Organisation; A.d.R.), die 2004 ins Leben gerufen wurde und sich um kulturelle Projekte, Recherche und Ausbildung kümmert“, erklärt Roberta. „Zusätzlich sind wir auch eine Kooperative, die Nähateliers, Bastel-, Deko- und Design-Workshops anbietet.“
Recycling-Kunst hat ihren Preis
Die Verbindung zwischen Wiederverwendung, Recycling und Kreativität scheint perfekt. „Die Materialien finden wir hauptsächlich in Rom“, erklärt Roberta weiter, „hauptsächlich, um die Kosten zu senken und wegen der Kontakte zu den Lieferanten.“ Insgesamt arbeiten 18 Leute in diesem Konzept-Store, der irgendwo zwischen Laden, Atelier und Recherchezentrum pendelt. Das Durchschnittsalter liegt bei 30 Jahren und 98% der Mitarbeiter sind Frauen aus den verschiedensten beruflichen Umfeldern. Francesca, eine der 3 Näherinnen des Occhio del Riciclone, erklärt uns den kreativen Schaffensprozess: „Wir sind 3 Designer. Jede von uns präsentiert ihre Ideen auf der Grundlage der im Laden vorhandenen Materialien. Dann haben wir meistens ein Atelier-Meeting, in dem wir die interessantesten Ideen herauspicken, die der Kollektion schlussendlich ihre Einzigartigkeit verleihen. In einer Kooperative sind natürlich die Meinungen aller Kollegen grundsätzlich gefragt.“
Alle in limitierter Auflage gefertigten Modelle sind handgemacht, ein Faktor, der natürlich Auswirkungen auf den Verkaufspreis hat. „Die Leute reagieren positiv auf unsere Angebote“, sagt Roberta, „aber es gibt auch viel Unverständnis in Bezug auf die Preise. Um ehrlich zu sein, die Sensibilität und Aufmerksamkeit unserer Kundschaft ist steigend, aber leider nicht in dem Rhythmus, den wir benötigen würden.“ Deshalb bestehen nach wie vor Schwierigkeiten. In Italien gibt es so gut wie keine Regeln für Recycling und Wiederverwertung. Doch die Arbeit von Occhio del Riciclone ist der lebendige Beweis dafür, dass Recycling und Kreativität Hand in Hand gehen können.
Römische Gaukler
Es seien zudem insbesondere Kreative und Künstler, die Müllberge vermeiden würden. Das zumindest behaupten Tanny und Alida an einem frostigen Abend in der grünen Event- und Konzeptbar Casetta Rossa im römischen Viertel Garbatella. Die beiden „sozial engagierten“ Theaterschauspielerinnen spielen momentan in dem Stück Rifiuto i rifiuti (« Ich lehne Müll ab »). Begleitet werden sie von Alessandro auf der Querflöte. Alida, eine Lombardin in den Vierzigern, erläutert mir die Linie des umweltbewussten Spektakels: „Der Titel ist ein bisschen mysteriös“, lacht sie. „Man muss damit anfangen, den Müll an der Quelle zu vermeiden. Wenn wir die Verpackungspolitik grundlegend ändern, noch vor der Mülltrennung, dann kann man tatsächlich sagen: Ich lehne Müll ab.“ Der Text hat verschiedene Quellen und ähnelt einem postmodernen Patchwork eines neuen Genres. Das Ganze bewegt sich irgendwo zwischen Rap, Recycling, anderen Theatertexten, copy-paste aus dem Internet und der Inspiration aus einem bekannten italienischen Dokumentarfilm aus dem Jahr 2008, Biutiful Cauntri.
Das Ergebnis ist die abwechslungsreiche und manchmal auch melancholische Unterhaltung zwischen den zwei Schauspielerinnen. Tanny, eine extravagante kleine Dame aus Argentinien, erklärt die Hintergründe für den ökologischen Themenschwerpunkt: „Die Kunst ist für die Umwelt unabdingbar, ich könnte gar nicht anders. Der Umweltschutz bietet mir die Möglichkeit, mich lebendig zu fühlen. Die Lage ist äußerst brenzlig, und ich brauche es einfach mich zu drehen und wenden, auch mal laut zu schreien, ganz einfach zu zeigen, dass man sich um seine Zukunft sorgt.“
Die drei Schauspieler sind sich besonders in zwei Punkten einig: Es ist schwierig in Rom fruchtbaren Boden für Umweltthemen zu finden, auch wenn eine Vielzahl an Initiativen existiert. Und sie verteidigen die Notwendigkeit, heute mehr als in der Vergangenheit, Kunst mit politischem Engagement zu verknüpfen. Alessandro, der sich bis dato eher zurückgehalten hatte, ergreift das Wort: „Dinge über die Kunst anzuklagen hebt die Suche nach neuen Möglichkeiten hervor, neue Wege, die wir vorher noch nicht beschritten haben.“ Ich überlasse die drei Gaukler, die perfekten Charaktere für ein surrealistisches Comic wären, ihrem Abendessen.
Ökologie? Ja, aber mit Ironie
Michela und Francesco, zwei waschechte Römer, sind unter anderem Gründer der monatlichen Öko-Agenda La Foglia News, eine Zeitschrift, die sich insbesondere mit lokalen Realitäten in puncto Umwelt auseinandersetzt. In einer tosenden Bar im Viertel San Lorenzo erzählen sie von ihrem aktuellen Projekt, einem Comic-Wettbewerb mit dem klingenden Namen « “EcoComics - ripensare l’ecologia: le nuove sfide si affrontano con ironia” » (« EcoComics - Ökologie neu denken: die neuen Herausforderungen mit Ironie nehmen). „EcoComics ist eine Art, der Message einen Sympathiefaktor beizumischen. Comics und Illustrationen sind Kommunikationsformen, wichtige Instrumente, fast so ähnlich wie eine Rubrik“, gibt sich Francesco seriös. Neben der Leidenschaft und dem Engagement im Namen der Umwelt, soll aber auch die Kunst nicht zu kurz kommen, bestätigt Michela: „Künstlerische Aspekte stehen bei uns generell im Mittelpunkt, aber nur von Kunst zu sprechen, würde keinen Sinn machen. EcoComics soll Themen aus verstaubten Schubladen hervorholen und diese auf lockere Art und Weise angehen.“
Michela und Francesco haben bis zum 23. Februar insgesamt 80 Cartoons erhalten. Die Vision der jungen Teilnehmer sind hauptsächlich negativ geprägt, man könnte fast von kleinen Tragödien in Comic-Format sprechen. Amüsiert erklärt man mir zudem, dass die Teilnehmer des Wettbewerbs hauptsächlich aus Norditalien stammen. Der Römer sei nämlich grundsätzlich „stubenhockerisch, schläfrig und auch ein wenig faul“. Auch für die Ausstellung sind schon Pläne in Arbeit: „Unsere, wenn auch ein bisschen romantische Idee, ist eine Wanderausstellung per Fahrrad mit mehreren Zwischenstopps in der Stadt. Wir wollen die Ausstellung an neue Orte tragen. Unser Ziel ist es ein bisschen frischen Wind in die Sache zu bringen und einen Überraschungseffekt zu provozieren: das Kunstwerk in einem normalen urbanen Umfeld.“
« In Rom gibt es alles und dann wiederum das genaue Gegenteil davon. Aber leider fehlt es an Homogenität und gemeinschaftlichen Projekten. Aber so richtig schlecht sind wir auch nicht!“, schließen die beiden lachend. Besonders in Bezug auf die Kreativität kann ich den beiden nicht zustimmen: Es kann schon sein, dass Rom ein wenig zerschlissen ist und es hier und da an Zusammenhalt fehlt. Doch die italienische Hauptstadt ist trotzdem lebendig und birgt Potenziell. Unter der Bedingung natürlich, dass die Bewohner Roms das legendäre „süße Nichtstun“ überkommen.
Fotos: Homepage ©Occhio del riciclone; Logo ©EcoComics; Video: ©EcoComics/YouTube
Translated from Riuso, rifiuto, disegno: creatività ecologica alla romana