Ukraine: „Wir kämpfen bis aufs Messer“
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Delia Di CanosaDie pro-europäische Protestbewegung Euromaidan forderte in den letzten Tagen seine ersten Todesopfer, während die EU wegschaut. Wie wird dieser Bürgerkrieg ausgehen?
Seit über zwei Monaten fordern die Regierungsgegner auf dem Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan, den Rücktritt des umstrittenen Präsidenten Janukowitsch. Außerdem wollen sie einen Rechtsstaat nach westeuropäischen Standards und mehr Abstand vom großen „Bruderland“ Russland. Bis zum 21. Januar verliefen die Proteste friedlich. Dann wurden repressive Gesetze erlassen, die die Situation anheizten. Selbst viele friedliche Demonstranten vertreten nun die Gewalt der extremistischen Regierungsgegner.
„Ich bin von der Notwendigkeit dieser Proteste überzeugt, selbst wenn Gewalt nicht wünschenswert ist und unsere Siegeschanchen gleich null sind“, kommentierte ein Demonstrant erster Stunde.
„WIR SIND BEREIT, KUGELN IN DIE STIRN ZU BEKOMMEN“
Aufgeheizt von rechten Oppositionsparteien wurde eine härterer Ton angeschlagen. Am 22. Januar richtete der Oppositionspolitiker Arseni Jazeniuk ein Ultimatum an Janukowitsch. Der Präsident habe 24 Stunden Zeit, um die Gewalt zu beenden. „Morgen gehen wir vorwärts, wenn es eine Kugel in die Stirn gibt, dann schlagen wir zurück“, sagte einer der Oppositionsführer.
Angeregt durch Moskau hatte das Parlament am 21. Januar ein Anti-Demonstrationsgesetz per Handzeichen verabschiedet. Danach können Demonstranten bis zu 15 Tagen Haft verurteilt werden, wenn sie beispielsweise Zelte aufgeschlagen. Anti-demokratische Repressionen zielten auch auf jene Nichtregierungsorganisationen ab, die von der Unterstützung externer Geldgeber leben. Diese Gruppen werden unter der Bezeichnung „Auslandsvertreter“ geführt. Zur Zeit ist es verboten, einen Helm in der Öffentlichkeit zu tragen. Diejenigen, die Gebäude blockieren, können für fünf Jahre ins Gefängnis wandern.
JANUKOWITSCH, DER MENSCHENFRESSER
Der ukrainische Präsident Janukowitsch ist der Schlüssel zum Problem. Er wird alles tun, was in seiner Macht steht, um seinen Posten zu retten. Er hat sich unter anderem dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zur Frage der Freilassung der Oppositionsführerin Julia Timoschenko nicht gebeugt.
„Janukowitsch beschuldige Timoschenko, durch die Protestkundgebungen eine Verschwörung anzuzetteln“, beschreibt der Politologe Volodymyr Fesenko.
Janukowitsch ist unnachgiebiger denn je, denn er weiß, dass Russland ihm den Rücken stärkt. Das wird durch das jüngst vereinbarte 15 Milliarden Dollar Hilfspaket und die ausgehandelte Senkung des Gaspreises deutlich. Dies sollte erstmal bis zu den nächsten Wahlen genügen. „Verliert er seine Macht, muss er fürchten, dass er hinter Gittern landet“, erzählt der Timoschenko-Aktivist Oleg Ribatchouk.
Ukraine ist gespalten zwischen seinen zwei aufdringlichen und mächtigen Nachbarn: Russland und der EU.
Angst um Kräfteverhältnisse in Europa
Selbst wenn José Manuel Barroso verkündet, dass die EU deutlich darauf reagieren werde, wenn die Ukraine die Grundsätze der Demokratie nicht respektieren sollte, ist unklar was das heißen könnte. Europäische Diplomaten wollen sich Russland nicht zum Feind machen, weil sie gute Beziehungen in den Verhandlungen zum Syrien-Konflikt erhalten wollen. Während die ukrainischen Demonstranten in die Europäische Union drängen, sind sich die Mitgliedstaaten nicht einig.
Der Beitritt eines neuen Landes mit seinen 47 Millionen Einwohnern könnte die Kräfteverhältnisse im Europarat durcheinander werfen.
Nur Schweden, Polen und die Baltischen Staaten nahmen eindeutig Stellung. Der schwedische Außenminister warf der Regierung vor „Verantwortung für die Massenproteste zu tragen“. Sein polnischer Amtskollege warnte die Ukraine davor „einen Schritt von der EU zu machen“.
Deutschland kümmert sich lieber um seine Gasversorgung, Frankreich um seine Innenpolitik. Ukraine ist wohl nicht der erste Gedanke der europäische Regierungen dieser Tage. Die europäischen Institutionen müssen eine Antwort finden. Die Maske der Demokratie, hinter der sich Janukowitsch versteckt hat, ist gefallen.
Die EU muss den Mut haben, ihre Meinung laut und kräftig zu äußern und muss die Gewalt stoppen.
Translated from Ukraine : « nous sommes engagés dans une lutte à mort »