Uiguren, schon mal gehört?
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Warum weiß in Europa niemand, wer die Uiguren sind, obwohl das kleine Turkvolk in vielem das Los der Tibeter teilt? Die Antwort liegt nicht allein darin, dass ihnen ein Führer wie der Dalai Lama fehlt, sondern wohl auch, dass es Peking gelungen ist, das muslimische Wüstenvolk in die Nähe des Terrorismus zu rücken. Mittwoch 9.
April 2008
Mit ihrem bildmächtigen Protest gegen den olympischen Fackellauf ist es den Tibetern gelungen, sich über Tage weltweite Aufmerksamkeit zu sichern. Als in Istanbul auch einige Uiguren den Lauf zu nutzen suchten, um auf das Schicksal ihres Volkes aufmerksam zu machen, war dies den Agenturen hingegen kaum mehr als eine Meldung wert. Auch als wenig später bekannt wurde, dass nach einer Demonstration im westchinesischen Khotan Ende März mehr als 70 Uiguren verhaftet worden sind, war in Europa das Interesse gering.
Obwohl die Lage des kleinen Turkvolks, das in der Wüstenprovinz Xinjiang im äußersten Westen der Volksrepublik lebt, durchaus mit der Lage der Tibeter vergleichbar ist, sind die Uiguren in Europa kaum jemand ein Begriff. Dies liegt nicht allein daran, dass ihnen ein charismatischer Führer wie der Dalai Lama fehlt, sondern wohl auch, dass sie muslimischen Glaubens sind. Seit dem 11/09 versucht Peking, jeden Protest der Uiguren nicht nur als Separatismus zu brandmarken, sondern auch in die Nähe des Terrorismus zu rücken.
Durchsichtig, aber erfolgreich
Obwohl die Gleichsetzung friedlicher Proteste mit Separatismus und Terrorismus als durchsichtiger Versuch erscheinen muss, den Krieg gegen den Terror als Rechtfertigung für seine Politik der Unterdrückung zu nutzen, ist es Peking dennoch gelungen, die Uiguren ins Zwielicht zu rücken. Tatsächlich sind einige Uiguren in den Ausbildungslagern von Al Qaida aufgegriffen worden. Als Beweis, dass hinter den Protesten, die immer wieder in Xinjiang ausbrechen, religiöse Extremisten stecken, reicht dies aber kaum.
Als ich im Sommer 2003 in Kashgar war, der alten Hauptstadt der Uiguren, waren die Chinesen gerade dabei, die jahrhundertealten Lehmbauten um die Id-Kah-Moschee im Herzen der Altstadt abzureißen. Hunderte Familien, die oft seit Generationen dort lebten, mussten dem chinesischen Modernisierungswahn weichen. Auch wenn überall in China die Altstädte Hochhäusern Platz machen müssen, ist dies in Xinjiang besonders brisant, da hier das Baufieber vor allem Uiguren trifft.
Abgedrängt und ausgegrenzt
In Xinjiang werden die Uiguren, wie auch die anderen ethnischen Minderheiten, von den Han an den Rand der Städte gedrängt, was bildhaft ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung Ausdruck gibt. In Kashgar, Khotan, Kutcha, Xining und Turfan sind neben den niedrigen Lehmhäusern und ungepflasterten Straßen der Uiguren seelenlose Neustädte für die Han-Chinesen entstanden. In der Provinzmetropole Urumchi, deren Skyline Frankfurt in den Schatten stellt, wohnen schon längst fast ausschließlich Han.
Der Anteil der chinesischen Siedler ist seit 1949, als die Volksbefreiungsarmee die damals unabhängige Provinz besetzte, von rund fünf auf 40 Prozent gestiegen. Als ich 2003 in Xinjiang war, war gerade die Eisenbahnlinie nach Kashgar eröffnet worden, mit der die entlegene Provinz besser an Peking angebunden werden soll. Mit großem Aufwand haben die Chinesen die Strecke um die Taklamakan-Wüste herumgebaut und in den großen Städten sind riesige Bahnhöfe errichtet worden. Einfallstore für die weitere Kolonisierung.
Positive Entwicklung, doch nur für Chinesen
Unzweifelhaft haben die Chinesen zur Entwicklung der Provinz beigetragen, doch hat dies vor allem den chinesischen Siedlern genutzt. Da Chinesisch die Voraussetzung zum Erfolg ist, sind die Uiguren benachteiligt, sodass sie kaum Zugang zu den guten Jobs erhalten, geschweige denn in die Politik. Zwar ist die Provinz dem Namen nach autonom, doch lenkt in Wahrheit Peking die Politik. Wer sich für den Erhalt der uigurischen Sprache und Kultur einsetzt, gilt als Separatist.
Ähnlich wie die ihnen verwandten Völker der Kasachen und Kirgisen, folgen die Uiguren einer gemäßigten Form des Islam. Auch wenn die islamische Kultur in Xinjiang noch präsenter ist als in den Nachbarrepubliken, die in der Sowjetzeit erfolgreich säkularisiert worden sind, spielt der Islam in der Politik kaum eine Rolle. Wenn es eine politische Opposition gibt – einige Uiguren träumen tatsächlich von einem unabhängigen Ostturkestan – so ist diese vorwiegend ethnisch und nicht religiös definiert.
Dennoch wird wohl auch in Zukunft die Sympathie des Westens nicht den muslimischen Uiguren sondern den buddhistischen Tibetern gelten – selbst dann, wenn diese plündernd durch Lhasas Straßen ziehen und chinesische Geschäfte und Wohnhäuser anstecken.