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U-Bahn-Liebe

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Berlin

Die liebe Liebe findet in einer Stadt mit knapp 3,5 Millionen Einwohnern viele Formen, sich zu entfalten. Wir sind ihnen hier auf der Spur. Ist euch ein sexy Aspekt Berlins aufgefallen? Dann schreibt uns davon. Von Sergio Marx Da sitzt sie, mir direkt gegenüber.

Ihre hinter dem Kopf zusammengeknoteten, blonden Haare geben die feinen Züge ihres Gesichts frei und ein Hauch Lippenstift gibt ihren Lippen die Farbe einer begehrenswerten Frucht. Sie hat die Beine übereinander geschlagen, wir tauschen ein kurzes Lächeln aus. Ich fühle mich sehr von ihr angezogen. Ich würde sie gern ansprechen, ein Gespräch beginnen, ich überlege, zaudere, fasse mir ein Herz – zu spät: „Alexanderplatz, dieser Zug endet hier, bitte alle aussteigen!“. Sie steht schlagartig auf, geht aus dem Zug hinaus und verschwindet in der dichten Menge. Ich versuche, ihr zu folgen, doch sie ist schon verschwunden. Meine Verzückung war nur kurz. Schade! Wo wollte ich noch hin? Ach ja, in die Uni!

Vorher-Nachher: So soll es mit dem Nachbarn klappen. Grafik: BVG

Bei Begegnungen wie diesen will die BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) nun Abhilfe schaffen. Sie hat die Kampagne ‚Augenblicke’ gestartet. Haben Sie die Frau ihres Lebens in der Linie U5 gesehen? Einen unwiderstehlichen Mann am Potsdamer Platz? Lassen Sie einfach dem Objekt ihrer Begierde eine kleine Nachricht auf der Seite und vielleicht wird er Sie erkennen und … wer weiß? Hilfe in Liebesdingen von der BVG. Wer hätte das innerhalb des ansonsten strengen Internetauftrittes vermutet?

Aber nicht nur online wirbt die BVG für ihr Kuppelangebot. Sie hat auch ein paar Plakate in ihre Züge gehängt. Sie zeigen zwei Jungendliche die nebeneinander sitzen. Auf den Plakaten steht: ‚Ich habe mich nicht getraut’ oder ein bloßes ‚Ich bin da’. Sie deuten ein Happy End an: Auf den Plakaten trinken die Jugendlichen zusammen oder küssen sich gar voller Leidenschaft. Machen Sie sich keine Sorgen, mein Ziel ist überhaupt nicht eine Kampagne zu unterstützen, die die Jugend von dem rechten Weg oder den guten Sitten abbringt: diese Plakate haben nicht nur die Jugend als Zielgruppe, sie stellen auch ältere Leute dar, die sie auffordern, sich miteinander zu unterhalten. Eine gesellige Gemütlichkeit in der U-Bahn kann ja nun wirklich nicht schaden.

Wir wollen Nähe

Und da liegt ein Paradox unserer Gesellschaft. Seit der Demokratisierung des Internets oder des Handys, ist es immer einfacher geworden, mit jemandem auf der anderen Seite der Erde zu kommunizieren. Aber in unserer direkten Umgebung fällt es uns schwer Nähe herzustellen. Nachbarn sprechen immer weniger miteinander. Seit die Ladenbesitzerin an der Ecke alle sechs Monate wechselt, kennt man sich dort auch nicht mehr mit Namen. 

Wir leiden an einem Gefühl des Mangels, wir brauchen den Austausch mit unserer Umgebung. Die BVG hat das erkannt: Los! Miteinander schwatzen! Laut der Gesellschaft, hat die Internetseite bemerkenswerte Ergebnisse: seit Start der Aktion am Valentinstag 2007 klickten rund 1,4 Millionen Nutzer die Seite an. Wie viele U-Bahn-Paare sich seither gefunden haben ist nicht zu überprüfen. "Wir haben mehrfach versucht, über unsere Kanäle Aufrufe zu starten, dass sich Pärchen bei uns melden, leider ohne Erfolg", sagt ein Sprecher des Unternehmens. Die Klickzahlen alleine deuten aber schon darauf hin, dass die BVG einen Zeitgeist erkannt haben könnte. So finden auch Internetseiten wie meetic regen Zulauf. Da, so die Hoffnung, findet sich eine verwandte Seele. (Näheres dazu auf Cafe Babel)

Die Leute sind noch neugierig aufeinander und wollen nicht griesgrämig und eingeengt wie in einer Konservenbüchse nebeneinander hocken. Sie trauen sich nur nicht, das vor Ort zu ändern. Also gehen sie einen Umweg über die neuen Technologien auf Höhe des Zeitgeistes.Dann stellen sie sich an eine Station, warten und genießen kurz den Stillstand. Bis die nächste Bahn kommt und sie wieder mit in die Dunkelheit reißt, wo Blicke sich manchmal begegnen…

Ach ja, ein schöner Gedanke, aber ich glaube meine blonde Angebetete bleibt unauffindbar!