Türkei: Steht oder fällt Erdogan?
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Barbara BraunEuropas östliche Grenzen hängen an einem seidenen Faden. Während die Ereignisse auf der Krim die Medien monopolisieren, glauben wir, dass in der Türkei alles in Ordnung ist. Aber die von Erdogan und seinen scheinbar allmächtigen Brüdern so sorgfältig gebaute Fassade hat Risse bekommen.
Der Countdown zu den landesweiten Wahlen im Juni 2015 hat begonnen. Der Druck auf die regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung und ihre Anführer steigt. Korruptionsvorwürfe und autoritäres Vorgehen, rütteln an Erdogan und seinem Vermächtnis. Premierminister Recep Tayyip Erdogan regiert sein Volk seit zehn Jahren mit zunehmend eiserner Hand. Erst in den letzten Jahren, haben Türken begonnen sich aufzulehnen - gegen ihn und das, was sie als einen Angriff auf die türkische Republik und den Vater der modernen Türkei Mustafa Kemal Ataturk, empfinden. Die Liste von Erdogans Vergehen wird immer länger: die Einschränkung der Redefreiheit und der unabhängigen Presse, die Weigerung der Regierung, die Rechte der türkischen LGBT-Community anzuerkennen, und das zuletzt verhängte Twitter-Verbot.
Den Hahn zudrehen
Dazu kommt der wachsende Einfluss der Religion in der Türkei, der vielen Menschen Sorge bereitet. Die meisten Türken sind Moslime, aber die Türkei ist seit der Gründung der Republik 1923 ein kulturell vielfältiger, laizistischer Staat. Dieser Laizismus wird allerdings zunehmend untergraben. 2011 hob Erdogan das legale Mindestalter für Alkoholkonsum von 18 auf 24 Jahre an. Letztes Jahr im Mai brachen dann erstmals Unruhen aus. Die Drehscheibe der Bürgerproteste waren der Taksim Square und der angrenzende Gezi Park in Istanbul. Vor den Augen der Medien aus aller Welt behauptete Erdogan seine Macht, indem er mit brutalen Polizeiaktionen die Proteste niederschlug.
Aber wie haben es Erdogan und seine Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung geschafft, so lange an der Macht zu bleiben? In Wahrheit ist Erdogans Popularität bei der türkischen Bevölkerung im Laufe seiner Amtszeit sogar gestiegen. Das "Erdogan-Jahrzehnt" hat für die Türkei viele Veränderungen und zunehmendes Ansehen auf der internationalen Bühne eingebracht. Die Türkei hat heute sowohl in Europa, als auch in Asien eine Schlüsselposition inne. Sie hat an geopolitischem Einfluss gewonnen und ist zu einer weltweiten Wirtschaftsmacht aufgestiegen. Von 2002 bis 2012 ist das BIP um 64% gewachsen.
In meiner Heimatstadt Istanbul sind die Veränderungen deutlich sichtbar. Ein brandneuer Eisenbahntunnel unter dem Bosporus, verbindet Asien und Europa. Die öffentlichen Gärten entlang der Hauptstraßen sind tadellos gepflegt. In der ganzen Stadt sind imposante Regierungsgebäude aus dem Boden geschossen. Eine Vielzahl an teuren Sport- und Geländewägen und kleine, wendigen Limousinen, spiegeln das Bild einer blühenden türkischen Wirtschaft wieder.
aber woher kam all das geld?
Erdogans Anhänger singen Loblieder auf seinen cleveren Führungsstil und seine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Die politische Stabilität hat wirtschaftliche Stabilität mit sich gebracht. Einen solchen Aufschwung konnte keine andere Regierung in der Türkei zuvor für sich beanspruchen. Dank dieser Stabilität, stiegen die ausländischen Investitionen rasant an: insgesamt 123,7 Mrd. Dollar von 2002 bis 2012.
Erdogans Gegner machen Korruption dafür verantwortlich. Die jüngsten Ereignisse lassen vermuten, dass Erdogan und seine Regierung, in Korruptionsaffären involviert sind. Viele der reichen und einflussreichen Unternehmer des Landes stecken mit unter einer Decke. Geheime Mitschnitte eines Telefongesprächs zwischen dem Premierminister und seinem Sohn, wurden im staatlichen Fernsehen abgespielt. Die beiden diskutieren darüber, wie sie große Geldmengen aus ihrem Haus schaffen können. Sie befürchten offenbar, dass sie auffliegen könnten. Der Premierminister weist die Vorwürfe zurück und behauptet, die Aufzeichnung seien gefälscht. Danach wurde ein anderer skandalöser Gesprächsmitschnitt zwischen Erdogan und dem Direktor eines der führenden türkischen Medienunternehmen publik. Der Premierminister bittet den Direktor, die Berichterstattung über einen Oppositionsführer einzustellen. Letzterer stimmt unterwürfig zu.
Es ist noch nicht klar, ob diese Aufzeichnungen echt oder gefälscht sind. Solange Erdogan an der Macht ist, bleibt es aber unwahrschinlich, dass die Mitschnitte als Beweismittel gegen ihn verwendet werden können, da er offenbar alle Möglichkeiten hat, Nachrichten und Ereignisse zu seinen Gunsten zu manipulieren. Seine eiserne Hand, wird zur Faust. Das kann man auch an Erdogans Umgang mit hochrangigen Militärs beobachten. Er versucht sie mit gezielten Schachzügen durch Vertrauenspersonen aus den Rängen seiner Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung zu ersetzen. In seinem Land, das für Militärputsche berühmt ist, geht es für ihn nun darum, seine Macht weiter zu festigen.
Ground Zero: Türkei - Die Demonstranten vom Gezi Park
Keine alternativen
Neueste Umfragen haben ergeben, dass 40% der Wähler weiterhin hinter Premierminister Erdogan und seiner AKP-Partei stehen. Auch wenn die Unzufriedenheit mit der Regierung wächst, stehen die Menschen vor dem Dilemma, keine überzeugende Alternative zu haben. Erdogans gefährlichster Rivale, die republikanische Volkspartei CHP, muss noch viel Überzeugungsarbeit bei der türkischen Bevölkerung leisten.
2014 wird ein entscheidendes Jahr für die Türkei. In wenigen Wochen sind Lokalwahlen. Angesichts der jüngsten Ereignisse bleibt abzuwarten, ob die Türkei auch weiter ihrem Premierminister Erdogan vertrauen wird.
Translated from Turkey: Make or break time for Erdogan