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Tunesiens Cyber-Dissident _Z_: "Dafür haben wir nicht die Revolution gemacht"

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Story by

Katha Kloss

Translation by:

Katha Kloss

KulturGesellschaft

Der Blogger _Z_, der für seine "gnadenlosen Zeichnungen" (Pierre Haski, französischer Journalist) im Laufe des Arabischen Frühlings bekannt wurde, ist eigentlich nur durch Zufall zur Karikatur gekommen. Aber dem jungen Tunesier war es unmöglich, die Augen länger vor der unhaltbaren tunesischen Diktatur zu schließen. Heute, ein Jahr nachdem sich ein junger Mann selbst in Brand steckte und eine unaufhaltsame demokratische Bewegung in der arabischen Welt in Gang setzte, lässt _Z_ seine Geschichte und die seines Landes Revue passieren.

Vom Städtebau zur Politik

Ich zeichne seit meiner Kindheit. Aber mit meinen Karikaturen habe ich erst 2007 in Paris begonnen. Ich arbeite im Städtebau und damals sollten Milliardenprojekte in der Nähe von Tunis gebaut werden. Im Rahmen meiner Arbeit kam mir irgendwann die Idee der Metapher der rosafarbenen Flamingos, die ich oftmals auch zur Illustration in meinen Plänen verwendete. Sie symbolisieren den unterdrückten tunesischen Bürger, dem jegliches Mitspracherecht bei öffentlichen Debatten versagt war. Deshalb heißt mein Blog auch DebaTunisie [Tunesien-Debatte]. Je mehr ich mich in diese Fragen vertiefte, desto häufiger fragte ich mich, woher diese Politikverdrossenheit der Menschen kam.

 (Foto ©Davide Weber)

Tunesischer Zorro

_Z_ ist eigentlich ein Zufall. Als ich im Städtebau arbeitete, war ich weit davon entfernt zu denken, ich sei ein tunesischer Zorro. Ich musste beim Erstellen meines Blogs ganz einfach ein Formular ausfüllen, ich hätte also auch X oder Y angeben können. Und dann wurde meine erste Karikatur, auf der protestierende Flamingos zu sehen waren, überall im Web verbreitet.

(Foto ©Davide Weber)

-Z-ymbolik

Es gab so gut wie keine Karikaturisten in Tunesien, ich konnte also von einem Vakuum profitieren. Sogut wie jede Zeichnung, die ich anfertigte, machte direkt die Runde im Netz. Ich habe jeden Tag einen Cartoon gezeichnet. Neben den rosafarbenen Flamingos findet man auch immer wieder den zweigehörnten Berg in meinen Bildern. Der Berg ragt über Tunis und ist sowas wie die Seele der Stadt. Die 'Blasslilafarbenen' [les mauves] sind die Parteianhänger, das ist die Farbe des Regimes. Und dann sind da noch die Ben Simpsons, die neureiche Bourgeoisie Tunesiens, die die Reichtümer des Landes plünderten und den Menschen ihr Hab und Gut wegnahmen.

 (Zeichnung/ Foto ©-Z-/ Davide Weber)

Zensur

Mein Blog unterlag seit 2008 der Zensur. In Tunesien hatte man keinen Zugang, ausser vielleicht über einen Proxy. Und trotzdem: Auch zu Zeiten der schlimmsten Zensur machten meine Zeichnungen im Netz und auf Facebook die Runde. In meinen Bildern steht „404“ für Zensur. Wikileaks war ein zündender Moment, mit dessen Hilfe wir das Terrain vorbereiten konnten – im Internet verbreiteten sich die amerikanischen Botschaftskabel im Handumdrehen. Am Abend, an dem Ben Ali das Internet freigab, haben die Ben Simpsons sich entschlossen mit den anderen Demontsranten zusammen vor dem Innenministerium zu postieren und zu rufen „Zieh Leine Ben Ali, zieh Leine!“ Als sich Mohamed Bouazizi selbst in Brand steckte, waren die Menschen bereits aufgeheizt.

 (Cartoon/ Foto ©-Z-/ Davide Weber)

(Cyber)dissident

Ich bin nicht im politischen Exil, das stimmt so nicht. Cyberdissident, ja, das schon eher. Ich habe Tunesien für das Studium verlassen, wie viele andere Tunesier, die nach Frankreich gehen. Das hatte erstmal nichts mit Ben Ali zu tun. Doch da man mich damals schon zensierte, als ich einen simplen Blog zum Thema Städtebau führte, habe ich mir gesagt, da ist was faul. Ich habe dem Regime den Krieg erklärt und die Karikatur war ein Mittel, um diesen zu führen. Hätte ich eine gute Stimme gehabt, dann hätte ich gesungen.

 (Foto ©Davide Weber)

Angst

Das erste Mal richtig Angst hatte ich, als man die tunesische Bloggerin Fatma Riahi festgenommn hat. Im Internet ist dann ganz spontan eine Welle des Protests mit dem Slogan 'I am Fatma' (November 2009) aufgekommen. Da sie nicht anonym war – sie ist ein bisschen Kamikaze – sind sie sie abholen gekommen. Sie sagte mir, wenn du in zwei Tagen kein Lebenszeichen von mir hast, startest du eine Suchaktion. Fatma wurde fälschlich für _Z_ gehalten. Deshalb sah ich mich gezwungen, diese Zeichnung zu veröffentlichen. Und sie haben sie frei gelassen.

 (Cartoon ©-Z-/DebaTunisie)

Ennahda und die Nachwehen der Wahlen

Es kann nicht gesund sein, die Wahlen allgemein in Frage zu stellen. Ich habe auch keine Lust, die Islamisten zu verteufeln. Denn das würde bedeuten, dass Ben Ali Recht hatte. Ihnen ist nichts vorzuwerfen, nur dass sie die Religion ausnutzen, um die Stimmen der Ärmsten zu ködern. Sie benutzen auf ihre Art und Weise die Slogans der Revolution. Die Islamisten der Ennahda haben zwar angegeben, sie würden die Religionsgesetze nicht antasten. Aber es sind all diese Splittergruppen um sie herum – die Salafisten zum Beispiel – die gefährlich sind. Ich glaube an die Demokratie. Die Islamisten können am Ruder bleiben, aber man muss sich mit ihnen auch über Allah lustig machen können.

 (Foto ©Davide Weber)

Islam in den westlichen Medien

Die mediale Aufbereitung der Revolution in Tunesien ist gelinde ausgedrückt scheiße. Denn das wahrhaftige Problem sind nicht die Islamisten. Wenn wir ernsthaft reden wollen, sprechen wir über die Arbeitslosigkeit und die Verteilung von Ressourcen. Jedes Mal wenn die Islam-Frage wieder auf den Tisch gebracht wird, lenkt man eigentlich nur von den Tatsachen ab. Auch bei meinen Karikaturen behalten die Leute meistens die Islam-bezogenen Zeichnungen im Kopf. Aber das ist nicht mein einziges Thema. Doch der Islam bringt sicherlich mehr Klicks ein. Die Religion ist nur die Konsequenz von sozialen Ungerechtigkeiten und Globalisierung. Der Kapitalismus hat ganze Generationen von im Stich gelassenen Menschen hervorgebracht – die Religion ist die einfache Konsequenz ihrer Ausweglosigkeit. Auch der Westen hat sein Interesse, dass diese Region der Welt unter Kontrolle bleibt. Deshalb bevorzugt er es, die Diktatur und ein wahsendes archaisches System im Namen einer islamistischen Bedrohung zu rechtfertigen, anstatt zu unterstreichen, dass es ein Armutsproblem gibt.

  (Debatte zum Arabischen Frühling im Pariser Théâtre Tarmac; Foto ©Davide Weber)

« Zaballah »

Heute bekomme ich Morddrohungen. Denn nun attackiere ich auch die Islamisten. Eine neue Diktatur ist im Entstehen. Beispielsweise gibt es 140 tunesische Anwälte, die nichts Besseres zu tun haben, als gegen den Programmdirektor zu klagen, der Persepolis in Tunesien ausgestrahlt hat. So fängt das immer an… Momentan arbeite ich an einem neuen Neologismus – Zaballah. Ben Ali wurde 'Zaba' genannt (Akronym aus Zine El Abidine Ben Ali) – und hinzu kommt Allah (Gott). Ich stehe komplett dazu! Wir müssen anfangen Gott zu entmystifizieren. Gefährliche Bewegungen entstehen derzeit in Tunesien. Und dafür haben wir die Revolution nicht gemacht.

 (Foto ©Davide Weber)

Das Buch

_Z_: « Révolution ! Des années mauves à la fuite de Carthage » [Revolution! Von den blasslilafarbenen Jahren bis zur Flucht aus Karthago; A.d.R.]

 (Foto ©Davide Weber)

Story by

Translated from Le cyber tunisien -Z- : « On n’a pas fait la révolution pour ça »