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TTIP und CETA: Deutschland lehnt sich auf

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Politik

Während die EU mit den USA über die Freihandelsabkommen TTIP und CETA verhandelt, regt sich in Deutschland soviel Protest wie in keinem anderen Land. Dabei soll gerade Deutschland eines der Länder sein, das von dem Abkommen am meisten profitiert. Wir haben nachgefragt, warum die Deutschen so aktiv demonstrieren.

„Warum protestieren in Deutschland so viele Leute gegen TTIP?“, fragt mein Kollege aus der französischen Redaktion. Wieder haben Zeitungen mit Fotos und Schlagzeilen über Demonstrationen gegen TTIP berichtet. Am Samstag, 17. September waren laut Veranstaltern deutschlandweit bis zu 300 000 Protestierende auf den Straßen.

Zwar demonstrierten auch in Brüssel zehntausende Menschen, aber in keinem anderen europäischen Land ist der Widerstand so groß wie in Deutschland: Eine Umfrage der EU-Kommission vom Mai 2016 ergab, dass 59% aller Deutschen gegen TTIP sind - fast doppelt so viele, wie in anderen EU-Ländern (34% aller übrigen EU-Bürger sind gegen das Abkommen).

Ich mache den Mund auf, will über Chlorhühnchen, Schiedsgerichte und Naturschutzgebiete sprechen – und halte inne. Statt selbst zu antworten, greife ich zum Telefon. Es sollen die zu Wort kommen, die selbst an den Demonstrationen teilgenommen haben und so von der Sache überzeugt sind, dass sie aus Deutschlands Süden sogar bis nach Frankfurt, Hannover oder Berlin fuhren, um sich zu organisieren.

Dominik (23) hat eine Mutter und viele Freunde und Mitbewohner, die sich alle aktiv gegen TTIP und CETA engagieren. Seit einem Jahr demonstriert auch er. Seine Informationen bekommt er vor allem aus dem eigenen Umfeld, aber auch über Mailinglisten und Dokumentarfile, die er zu dem Thema gesehen hat. 

„Die erste Demonstration gegen TTIP, an der ich teilgenommen habe, war in Berlin. Davor habe ich ab und zu einmal eine Onlinepetition unterschrieben, nachdem ich ein paar Dokumentarfilme über das Abkommen geschaut habe. Nach der Demo in Berlin habe ich unter anderem in Hannover und vor ein paar Tagen in Stuttgart demonstriert. Nach Stuttgart sind dann auch viele meiner Mitbewohner und Freunde mitgekommen. Ich nehme daran teil, weil ich ein paar Punkte sehr kritisch finde: Das Handelsabkommen soll so große Bereiche der Gesellschaft regulieren. Wenn die Abkommen [TTIP und CETA, Anm. der Red.] positiv wären, dann wäre das nicht so schlimm – aber mir gefällt die Idee der Sonderklagerechte überhaupt nicht. Die Gerichte waren in den Medien lange als Schiedsgerichte bekannt. Auch wenn sie umbenannt wurden, hat sich an der Grundidee, dass Firmen gegen gewinnschmälernde Gesetze, Klagen und Schadensersatz einfordern können, nichts geändert. Ich glaube, in Frankreich ist die Tendenz, weniger umweltbewusst zu sein. Es gibt natürlich Umweltaktivisten, aber scheinbar weniger Umweltschutzorganisationen. Und deswegen fehlen auch die Strukturen, die solche Demonstrationen organisieren und die Informationen über TTIP verbreiten würden.“

Linda*(23) war auf der Demonstration in Stuttgart zum ersten Mal dabei.

„Ich will bitte nicht unter echtem Namen erscheinen!“, das schiebt sie vorne an. Ein bisschen peinlich ist ihr, dass sie bei der Demo dabei war, aber noch nicht umfassend informiert ist. Das hat sie aber nicht davon abgehalten, mitzugehen: „Ich war auch deswegen dort, weil ich mehr erfahren wollte. Ich habe mir bei Infoständen Flyer geholt, mit Leuten gesprochen und die Reden während der Abschlusskundgebung angehört. Davon ausgehend will ich mich nun weiter informieren.“ Sie beklagt, dass es schwer ist, an Informationen zu kommen: „Es ist aber alles einfach nicht so transparent. Deswegen war‘s für mich persönlich schwer, das alles zu durchschauen.“

Helix (24) ist hingegen mit Herzblut dabei:

Sie war in Tübingen in verschiedenen Umweltbündnissen und politischen Kreisen aktiv und daher lokal gut vernetzt. So erfuhr sie von TTIP und seinen Folgen. "Bei der ersten großen Demo in Berlin war ich leider nicht dabei! Aber dafür habe ich jetzt den Jugendblock in Stuttgart mitorganisiert", denn sie fand es wichtig, dass sich auch die jungen Teilnehmenden untereinander vernetzen. Gegen TTIP demonstriert sie "aus Umweltgründen, weil zum Beispiel jetzt etwa 1000 Chemikalien in der EU verboten sind, wenn TTIP aber in Kraft tritt, dann sind es nur noch drei. Aber mir gefällt auch nicht, dass es geheime Verhandlungen sind. Das passt einfach nicht in mein Verständnis von Demokratie", fügt sie an. Warum in anderen Ländern nicht demonstriert wird, darüber kann sie nur mutmaßen: "Vielleicht ist die politische Bildung bei uns einfach sehr stark in der Kultur verwurzelt? Oder aber, in den anderen Ländern gibt es dringlichere Themen, gegen die zu protestieren ist. Jugendarbeitslosigkeit, zum Beispiel. Da geht es uns in Deutschland ja noch besser."

Kampagne gegen TTIP und CETA

Dass sich so viele Menschen gegen das Abkommen einsetzen ist erstaunlich, denn oft sind internationale Abkommen und globale Angelegenheiten zu vielschichtig und die Entscheidungsträger zu weit entfernt, als dass sich der „normale Bürger“ ein Bild davon machen könnte. Aber TTIP verstehen ist einfach:

Dazu beigetragen haben Organisationen wie die Initiative Stoppt TTIP, Compact, Greenpeace oder Attac. Sie verbreiteten Flyer, verfassten Rundmails, Schaubilder und solche Erklärvideos. Auch Öffentlich-rechtliche Sender veröffentlichen Dokumentarfilme und Comedians lehnen sich mit viel Witz dagegen auf – so zum Beispiel „die Anstalt“ oder die "heute show" (in diesem und diesem Video).

Im Oktober 2015 folgte auf diese Kampagne die erste große Demonstration der TTIP-Gegner in Berlin. 250 000 Protestierende kamen zur Aktion.

Zwei Fronten

Die Kampagne hat das Freihandelsabkommen bekannt gemacht, sie hat die Diskussion aber auch emotionalisiert und vereinfacht. Zwei Fronten haben sich gebildet, die sich gegenseitig vorwerfen, die Tatsachen zu verdrehen: "Viele TTIP-Gegner halten es mit der Wahrheit und Fakten nicht so genau", wirft die Handelskommissarin der EU, Cecilia Malmström, Aktivisten vor, die sich gegen TTIP und CETA engagieren. Es gebe "viele Missverständnisse, Schauermärchen und Lügen". Initiativen wie foodwatch wiederum beschweren sich, die EU würde die Debatte zum Abkommen „nicht offen und aufrichtig“ kommunizieren: „EU-Kommissare und Minister, die Bundeskanzlerin und einfache Abgeordnete, Wirtschaftslobbyisten und sogar `Wirtschaftsweise` beteiligen sich an einer beispiellosen Fehl- und Desinformationskampagne“. 

Warum also so viele Deutsche? Sicher, weil die Kampagne hier so breit gestreut wurde und TTIP in aller Munde ist. Aber warum da? Vielleicht wegen der gut ausgebildeten Strukturen, die es möglich gemacht haben, die Kampagne breit zu streuen, wie Dominik vermutet. Vielleicht, weil die Mehrheit der Deutschen mit der wirtschaftlichen Lage im Land zufrieden ist, und deswegen nicht auf ein Wirtschaftswachstum um jeden Preis spekuliert. Vielleicht aber auch, weil die deutsche Regierung das Abkommen immer noch verteidigt - während andere Staats- und Regierungschefs, wie beispielsweise der französische Präsident François Hollande selbst dagegen sind.