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Trittin: „Von einer Renaissance der Atomenergie kann keine Rede sein“

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Die Trendwende in der Energieversorgung, die die rot-grüne Regierung in Deutschland eingeleitet hat, lässt sich exportieren, erklärt der scheidende deutsche Umweltminister Jürgen Trittin im café babel-Interview.

Die rot-grüne Koalition in Deutschland ist abgewählt, doch noch ist Jürgen Trittin als Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Amt. Während der grüne Parteifreund und Außerminister Joschka Fischer bereits ins Privatleben verschwunden ist, sichert Trittin sein politisches Erbe: Die Unumkehrbarkeit des deutschen Atomausstiegs und die Wende in der Energiepolitik. Sein designierter Nachfolger Sigmar Gabriel (SPD) hat bereits Trittins Linie übernommen: Der Atomausstieg in Deutschland sei nicht verhandelbar.

Die Atomenergie erlebt international eine Renaissance. Weltweit sind fast dreißig neue Anlagen im Bau, allein Polen will drei neue Meiler errichten. Was bringt ein deutscher Atomausstieg, wenn anderswo eine gegenteilige Politik verfolgt wird?

Von einer Renaissance der Atomkraft kann überhaupt keine Rede sein. Zum Beispiel in Europa sinkt ihr Anteil an der Energieproduktion. Daran ändern auch nichts die wiederholten Versuche der Atomlobbyisten, mittels medialer und politischer Offensiven das Auslaufmodell Atomkraft wiederzubeleben. Gern wird von Atomlobbyisten der Klimaschutz bemüht, von ehrgeizigen Ausbauplänen rund um die Welt geredet und der deutsche Atomausstieg als Sonderweg diskreditiert. Dabei können Atomkraftwerke keinen relevanten Beitrag zur Verhinderung der Klimakatastrophe leisten, im Gegenteil, sie tragen zur Energieverschwendung bei. Und sieht man näher hin, entpuppen sich die angeblich großen Atomprogramme als alte Hüte. Ein Blick auf die Statistik belegt die Talfahrt der Atomenergie: 1990 waren weltweit 83 Reaktoren im Bau, 1998 waren es noch 36 heute sind es 29. Und selbst diese Zahl ist geschönt, denn ein Teil davon befindet sich seit mehr als 25 Jahren in dieser Statistik – Bauruinen nennt man das anderswo. In den USA wurde seit mehr als 30 Jahren kein Atomkraftwerk in Auftrag gegeben, in den westlichen Industriestaaten ist ein AKW im Bau, in Finnland. Und dieses Vorhaben ist nur möglich, weil es mit staatlichen Krediten und langfristigen Abnahmeverpflichtungen abgesichert ist. In Europa sind die Staaten, die bisher schon auf Atomkraft verzichten oder den Ausstieg beschlossen haben, in der Mehrzahl. Von der Atomlobby wird immer gerne auf China verwiesen. Aber schauen Sie sich mal an, was dort geschieht. China setzt auf den massiven Ausbau der erneuerbarer Energien. Die Chinesen wollen bis 2010 60 Gigawatt elektrische Kapazität aus erneuerbaren Energien installieren. Das ist das 10-fache der heutigen AKW-Kapazität Chinas und das 30-fache der Kapazität, die die drei neuen Atomkraftwerke ins Netz einspeisen können, die China bis 2010 fertig gestellt haben will.

Deutschland hat in den letzten Jahren einen einmaligen Boom erneuerbarer Energien erlebt. Wie reagieren die großen Energiekonzerne auf diese Entwicklung?

Aufgrund des kräftigen Wachstums gewinnen die Erneuerbaren jedes Jahr ein Prozent am Strommarkt hinzu. Das heißt, den Konventionellen gehen Jahr für Jahr Marktanteile verloren. Dagegen versuchen sich die Großen mit aller Macht zu wehren. Nichts Anderes ist der Ruf der Konzerne nach längeren Laufzeiten abgeschriebener Atomkraftwerke. Wer abgeschriebene Altanlagen betreibt, kann zu extrem kostengünstigen Konditionen produzieren. Damit können keine neuen Anlagen konkurrieren. Rot-Grün hat mit dem Atomausstieg und dem Emissionshandel die Voraussetzungen geschaffen, damit endlich in moderne Kraftwerkstechnologie investiert wird. Wir haben einen Boom in Höhe von 14 Milliarden Euro in hocheffiziente Gas- und Kohlekraftwerke ausgelöst. Das entspricht einer Kapazität von 15 Atomkraftwerken. Wer abgeschriebene alte Atomkraftwerke länger laufen lässt, schiebt diesen Modernisierungsprozess nach hinten und nimmt massive Auswirkungen auf den Anlagenbau in Deutschland und die Arbeitsplätze dort in Kauf. Die Forderungen der vier großen Energiekonzerne, die in den letzten Jahren Rekordgewinne eingestrichen haben und gleichzeitig Zehntausende von Arbeitsplätzen abgebaut haben, laufen im Kern darauf hinaus, ihre Gewinne zu maximieren.

Wie lässt sich die Wende zu erneuerbaren Energien exportieren, um eine kohärente und zukunftsfähige Energieversorgung in der Europäischen Union sicherzustellen?

Für den Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen wir geeignete Rahmenbedingungen, die der Wirtschaft Investitionssicherheit geben. Das haben wir bei uns mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) geschaffen, das nicht nur bei uns einen einzigartigen Boom ausgelöst hat, sondern auch zu einem Exportschlager geworden ist, in Europa und weltweit. Rund 40 Länder haben inzwischen eine Regelung, die sich an das EEG anlehnt, darunter Brasilien, China und Spanien. Dabei zeigt sich, dass dort, wo die Einspeisung von Strom mit festen Sätzen vergütet wird, wie in Deutschland und Spanien, nicht nur der Ausbau der erneuerbaren Energien stürmisch vorangeht, sondern auch die Kilowattstunde am billigsten produziert wird. In Spanien, mit einem Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch bei 20, und in Deutschland mit einem Anteil von derzeit 11 Prozent, liegen die Kosten der Kilowattstunde zwischen 7 und 8,5 Cent. Dagegen sind sie in Ländern, die keine gesetzliche Einspeiseregelung haben, erheblich höher: in Großbritannien bei über 10 Cent, in Italien 15,5 Cent.