Tomaten und tweetende Fische in Dublin
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Sehr viel Fantasie braucht man nicht dazu: der Spire, der in Dublins O'Connell Street in die Höhe ragt, erinnert an eine Ritterlanze. Und tatsächlich, „Urban Knights“ finden sich so einige in Irlands Hauptstadt. Einer ihrer Hotspots: ein 400 m² großes Dach in der Innenstadt, auf dem fröhlich geforscht und getüftelt wird, um innovative Techniken des „Urban Gardening“ in die Tat umzusetzen.
Ein Bauernhof mitten in der Stadt? Ob ich sicher sei, gluckst der Imbissbudeninhaber, den ich nach dem Weg zur „Urban Farm“ frage, mit seinem kaum zu verstehenden irischen Akzent. Die Adresse stimmt. Ich lege den Kopf in den Nacken, die grelle Sonne lässt mich blinzeln. Der Stadtbauernhof versteckt sich gut: Wer einen Blick darauf erhaschen möchte, muss Treppensteigen. Auf dem Dach herrscht geschäftiges Treiben. Ein paar Hennen scharren neben jungen Tomatenpflanzen im Stroh, aus blauen Tonnen sprießen Salatköpfe, Kräuter wehen vor der Dubliner Skyline.
Hinter der „Urban Farm“ verbirgt sich ein Projekt, das vielleicht ein bisschen verrückt ist. Vielleicht utopisch. Aber auf jeden Fall zukunftsträchtig. Alles begann im krisengeschüttelten Irland und damit, dass zwei junge Dubliner nicht ins Ausland gehen wollten, um Arbeit zu suchen. Die Idee von Andrew Douglas und seinem Businesspartner Paddy O’Kearney war vielmehr, Jobs für sich und andere zu schaffen - und zwar vor Ort. „Die Idee zur Urban Farm kam mir, weil ich Lust hatte, in der Stadt zu gärtnern!“, erzählt Andrew Douglas. „Ich habe nach Raum in der Stadt gesucht – in Zentrumsnähe, wo ich auch drinnen gärtnern kann, wo ich verschiedene Wege ausprobieren kann, Essen biologisch und auf innovative Weise anzubauen.“ 2012, nach einer langen schwierigen Suche sollte er letztendlich fündig werden: auf dem Dach der ehemaligen Marmeladenfabrik „Williams & Woods“.
Neue Ideen für die Stadt
Die Irin Teresa Dillon hat die Urban Farm noch nicht selbst besichtigt, aber sie weiß auch fern von der Heimat: „Das ist ein total cooles Projekt.“ Ihr eigenes Projekt der Urban Knights entstand mit der Ausstellung „Hack the City“, die im vergangenen Jahr in der Dubliner Sciences Gallery gezeigt wurde und deren leitende Kuratorin sie war. Teresa hat mit den Urban Knights ein Angebot zum Networking geschaffen, für Menschen die allesamt ‚negativen‘ Raum zum Nutzen der Gemeinschaft verändern möchten. Bei einem dieser Treffen präsentierte auch Andrew Douglas seine Idee, den Gemüseanbau zurück in die Hauptstadt zu holen.
Wie er so in seiner abgewetzten Jeans und bunten Turnschuhen, dem geringelten T-Shirt und ein bisschen Erde unter den Fingernägeln auf einem Dach in Dublin über die Vielfalt der 320 verschiedenen Tomatensorten fachsimpelt, die schon längst aus Europas Supermarktregalen verschwunden sind, kommt Andrew Douglas dem Prototyp des schrulligen Gärtners sehr viel näher als dem eines Ritters.
Der „Bauernhof vom Dach“ produziert derzeit in erster Linie Tomaten, Salat und Kräuter. Dank der 8 Hennen, die in einer Ecke des Daches auf Gemüsereste hoffen, auch ein paar Eier. Außerdem Champignons und Fisch. Eine Kompostieranlage auf dem Dach verwertet unter anderem den Kaffeesatz aus Cafés der Dubliner Innenstadt und liefert im Gegenzug frischen Humus.
„Die Urban Farm ist ein ganz neues Konzept. Nicht nur in Dublin, sondern in Irland selbst“, meint Andrew Douglas stolz. Wenn schon in Kreuzrittermanier, dann aber mit Laserschwert: Nicht nur die Idee, die Nahrungsmittelproduktion als Permakultur aufs Dach zu verlegen, klingt utopisch. Auch das Firmenkonzept als „Soziales Unternehmen“ mit der Möglichkeit, Mitglied der Urban Farm-Community zu werden, und die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten im Internet sind innovativ. Andrew teilt seine Zeit zwischen einem „richtigen Job zum Geldverdienen“ und der Urban Farm auf: „20 Wochen Arbeit, um Geld zu verdienen, 5 Wochen auf dem Dach. Ich wäre lieber die ganze Zeit hier!“
Ein bisschen Landluft schnuppern mitten in Dublin? Besser als auf dem 400 m²-Dach der Urban Farm geht das wohl nirgends. Hinter den zwei- bis dreitausend Pflanzen, die hier gedeihen, steckt allerdings jede Menge Arbeit, erinnert Keira, die gerade damit beschäftigt ist, ein ausgebüchstes Huhn einzufangen. Vor ein paar Monaten schmiss die 24-Jährige ihren gut bezahlten Job als Informatikerin hin und begann, bei der Urban Farm mitzuhelfen. „Die Menschen sind sehr neugierig, zu erfahren, was hier passiert, und kommen von überallher, um mitzumachen oder sich freiwillig für die Urban Farm zu engagieren“, erzählt Andrew Douglas. Da viele wissen wollen, wie man eine alte Regentonne zum horizontalen Salatbeet umbaut, organisiert die Urban Farm Workshops zu Themen wie nachhaltige Nahrungsmittelherstellung oder Schreinern. Die Inspirationen zu den großen und kleinen „Urban Gardening“-Helfern, die allesamt aus recyceltem Abfall selbst hergestellt werden, findet Andrew oft im Netz. „Copy&Paste-Farm wäre eigentlich ein passenderer Name!“, schmunzelt er.
Gärtner 2.0: Mit Pflanzen sprechen, Salate liken, Tomaten folgen
Überhaupt, ohne das Internet wäre die Urban Farm nicht dasselbe. Gemüseanbau und moderne Technologien haben nämlich viel mehr miteinander zu tun, als man denkt; ob das nun an der Dubliner IT-Bubble-Atmosphäre liegt oder nicht. Deutlich wird das am Beispiel der Aquaponics im Dachgeschoss der Urban Farm, auf die Andrew Douglas besonders stolz ist. Dahinter verbirgt sich ein geschlossener Kreislauf, in dem Tilapia-Fische die Hauptrolle spielen. Kurz gesagt: Das mit Tilipia-Kötteln angereicherte Fischwasser ist ein prima Biodünger für die Kirschtomaten, Salate und Kräuter, die auf dem Dach der Farm heranwachsen.
Aber das ist noch nicht alles: Die Wassertanks, die die Tilipia-Fische beherbergen, bis sie in den Kochtöpfen eines Dubliner Restaurants landen, sind vernetzt. Dank Mikroprozessor, Webcam und Open Source-Software senden die Fische Tweets in kalifornische Klassenzimmer und die ganze Welt, lüftet Andrew das Geheimnis hinter den unspektakulär wirkenden Aquarien. „So ist die Urban Farm mit 3 Schulklassen in den USA verbunden. Die Schüler können Wasserstand und Sauerstoffgehalt der Tanks überprüfen oder erfahren den ph-Werte der Fische.“
Wenn Andrew Douglas überhaupt irgendetwas Sorgen macht, dann höchstens die Wetterverhältnisse: „Wir versuchen das Beste aus dem irischen Wetter zu holen. Hier regnet es einfach viel zu viel.“ Aber der für Dublin ungewöhnlich heiße Sommer lässt ‚utopische‘ Ziele in greifbare Nähe rücken. Erst vor kurzem hat ein weiteres Restaurant Interesse an Dach-Kartoffeln angemeldet. Andrew jedenfalls wird solange weiter gärtnern und tüfteln, bis man überall in der irischen Hauptstadt Bio-„Fish and Chips“ vom Dach genießen kann.
Dieser Artikel ist Teil der Reportagereihe ‘EUtopia on the Ground’, die jeden Monat die Frage nach der Zukunft Europas aufwerfen soll. Dascafebabel.com Projekt wird von der Europäischen Kommission im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem französischen Außenministerium, der Fondation Hippocrène sowie der Charles Léopold Mayer-Stiftung unterstützt.