Tirana inszeniert Kunst und Kommerz
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4 Tage in der albanischen Hauptstadt.
An der Endhaltestelle 'Kinostudio' der nordörtlichen Buslinie in Tirana warten die Taxis im Staub. Osram-Leuchten werden auf einem aufgebockten, alten hannoverschen LKW beworben. Hier liegt das Grundstück der ehemaligen albanischen staatlichen Filmproduktion, deren Hauptgebäude mit klassizistisch anmutenden Säulen und Figuren geschmückt ist. Diverse TV- und Filmgesellschaften haben sich angesiedelt, sowie die Marubi-Filmakademie. Die liegt seit einiger Zeit im Streit mit dem Staat.
Im Sommer ging es hoch her. Besetzungen, Schlägereien. Jetzt grenzt ein Zaun direkt am Eingang zur Filmhochschule, Sicherheitsleute patrouillieren auf dem Gelände dahinter, einem von der Hochschule eingerichteten Skulpturengarten. Für diesen Garten sollte im Nachhinein Miete gezahlt werden, wogegen sich der Filmemacher und Rektor Kujtim Çashku wehrte. Zudem wollte der kürzlich geschasste albanische Kulturminister den Fernsehsender Top Channel aus der Hoxha-Mausoleumspyramide in der Innenstadt raushaben und in einen Neubau auf besagtem Grund umsiedeln. Warum aber hier, schimpft Çashku, wo es doch genügend Brachflächen gibt - warum soll ein Garten weg und nicht eine der vielen Brachen?
Ein Staat der Kultur- und Kunstlosigkeit, der nicht einmal vor einem Menschenrechte-Festival Achtung habe.
Entlang des Absperrzauns hat die Hochschule ein langes Bildbanner gespannt, das die staatliche Gewalt zeigt, mit der gegen die demonstrierenden Studenten und Lehrenden vorgegangen wurde. Çashku merkt an, er habe genug Bildmaterial, um damit einen Film zu schneiden - die Marubi-Schule hätte die Macht des Bildes hinter sich. Etwa: Dieser Zaun hier, während gleichzeitig für fünf Tage das vierte Internationale Filmfestival der Menschenrechte (ihrffa) läuft. Neben dem rotgetünchten Hauptgebäude des ehemaligen staatlichen Kinostudios liegen eine große Festival-Tafel und Tribünenteile auf einen Haufen geworfen. Alles Zeichen für die Kultur- und Kunstlosigkeit des Staates, der nicht einmal vor einem Menschenrechte-Festival Achtung habe, so der Filmemacher.
Die Endhaltestelle 'Kinostudio' liegt am Rand der Stadt, irgendwo dahinter gibt es eine Seilbahn auf den Berg Dajti. Im Zentrum der Stadt liegt das Dajti Hotel, das zu kommunistischen Zeiten nur Privilegierten und Ausländern vorbehalten war. Es wurde 2002 geschlossen und kurz darauf geplündert; verschiedene Versuche das Gebäude zu verkaufen schlugen fehl. Bis im Juni dort die ebenfalls vierte Tirana Kunstbiennale T.I.C.A.B. einzog, stand das Gebäude leer, aber für die Kunst eignet es sich: am 29. Oktober ziehen die deutschen Kulturwochen mit Feedback ’89 nach. Eine Mitarbeiterin der Biennale moniert, dass nun das Außenministerium ins Dajti ziehen möchte. Insofern liegt die Leistung der T.I.C.A.B. nicht nur in ihrer anregenden Auswahl zeitgenössischer Kunstwerke, sondern auch im Zugänglichmachen eines bedeutungsgeladenen Gebäudes, das während der faschistischen Okkupation in den dreißiger Jahren von den Italienern errichtet wurde.
Manche Biennale-Künstlerinnen und -Künstler nahmen denn auch Überbleibsel aus dem Hotel in ihre Arbeit auf: für Bodenskulpturen aus Tellertrümmern, Zeichnungen neben Aktenhaufen, Projektionen in Wandschränken mit ausgehängten Türen. Schwarze Spinnenweben zieren den großen Ballsaal. Der Zustand des Gebäudes spiegelt den Zustand der Stadt wider, die zwischen zerbröckelnden Fußwegen nach aufstrebendem Reichtum sucht. Die Kunst reflektiert zeitgenössisches Wirtschaftsleben im Stadtraum an anderen Orten: "Dead Malls" - tote Einkaufspassagen - in den USA, streunende Hunde in China. Wie sonst selten auf Kunstveranstaltungen verknüpfen sich kulturelle Artefakte mit ihrem Ausstellungsraum und dem Standort, wenn nicht mit dem ganzen Land.
In Tirana ist das Markttreiben lebendiger als die Einkaufspassagen. Italienische - faschistische - Architektur der Moderne prägt das Bild repräsentativer Plätze; glasfassadige Neubauten westlicher Provenienz beherbergen teurere Geschäfte auch etwas abseits vom Stadtzentrum, wo wiederum ein großdimensioniertes Gotteshaus entsteht. LED-Werbebildschirme schmücken manche Ladenfront, Media-Screens umrunden die Spitze eines Geschäftshochhauses trotz der häufigen Stromausfälle im Sommer und Winter.
Im Süden der Stadt, hinter Universität und Akademie der Künste, grünt ein struppiger Park. Ein künstlicher See grenzt daran, wo - so suggeriert die Exil-Autorin Ornela Vorpsi in ihrem Roman Das Ewige Leben der Albaner - Frauen früher in ihrer Lebensnot ins Wasser gingen. Schöne Frauen wahrscheinlich, denn die - darum geht es in ihrem Erstlingswerk - wurden mit Hurerei gleichgesetzt. Ein kleines, rottes Amphitheater, versprüht kruden sozialistischen Architekturcharme. Hier lungert am Sonntag mancher Teenager und Familien spielen. Eine Medienproduktion lichtet eine dunkelgelockte Frau mit Laptop ab.
Die Inszenierungen des Lebens sind mannigfach, diese banale Äußerung gilt jederorts, ob in Tirana oder L.A.. Nur das Theater der Visabeantragung, das sich in Gassen hinter den Botschaften abspielt, wird nicht für ein Publikum inszeniert. In Trauben sammeln sich Menschen, Polizei hält sie vom Drängeln ab, ein Botschaftsangehöriger ruft zur Ordnung. Die Leute hier wollen einfach aus dem Land raus, und das bedarf der Zustimmung anderer. Sie ächzen am Unverständnis für Prozedere ohne Transparenz. Hier greifen weder Film, Kunst, oder Werbung, es wütet die schnöde Existenz.