Theater: Hinter Gittern auf der Bühne
Published on
Translation by:
Daniel Askerøi-WaldmannDie besten Schauspieler identifizieren sich mit ihrer Rolle, sie gehen in ihr auf. Sie spielen so, als seien sie auf der Bühne zu Hause. Aber was passiert, wenn diejenigen, die auf der Bühne spielen, lebenslange Haftstrafen absitzen? Cafebabel.com berichtet von einer italienischen Theatergruppe, deren Schauspieler nach dem Auftritt wieder zurück in ihre Gefängniszellen müssen.
Als vor 22 Jahren die Theatergruppe "Compagnia della Fortezza" (Kompanie der Festung) für die Häftlinge des südlich von Pisa gelegenen Staatsgefängnisses in Volterra gegründet wurde, traf das Projekt auf große Skepsis. Viele der Sträflinge waren Analphabeten und verbüßten lebenslange Haftstrafen. Wie sollte da ein Theaterprojekt funktionieren? Dazu noch in einem Gefängnis, in dem bisher vor allem schwierige Fälle einsaßen: Bis Ende des 19. Jahrhunderts verbüßten Anarchisten in der von den Medici errichteten Festung Haftstrafen und in den 1960er und 1970er Jahren des 20. Jahrhunderts, bevor 1977 die ersten Hochsicherheitsgefängnisse eingeführt wurden, saßen in Volterra viele Terroristen ein. Im Laufe des 22-jährigen Bestehens fanden sich jedoch Menschen zusammen, die an das Theater-Projekt glaubten und es unterstützten, so dass heute Mörder in der Rolle des Marquis de Sade auf der Bühne stehen und Häftlinge, die lebenslängliche Haftstrafen verbüßen, der Gesellschaft den Spiegel vorhalten können.
Ein Gefängnis auf Tournee
Im August 1988 nahm das Projekt « Laboratorio Teatrale nel Carcere di Volterra » („Theater-Labor der Justiz-Vollzugsanstalt Volterra“) der gemeinnützigen Organisation Carte Blanche unter der Leitung des Regisseurs Armando Punzo seinen Anfang. Seit damals wurde jährlich mindestens ein neues Stück eingeübt. Die Häftlinge spielen sowohl zeitgenössische als auch klassische Stücke: Von der Fabel des neapolitanischen Märchenerzählers Giambattista BasileLa gatta Cenerentola (Die Katze der Aschen) bis hin zu Alice im Wunderland. Oder von Ariosts Orlando Furioso Der rasende Roland bis hin zu Stücken, die Punzo selbst verfasst hat - wie beispielsweise I Pescecani, ovvero cosa resta di Bertolt Brecht („Die Haifische, das heißt was von Bertolt Brecht noch übrig bleibt“). Nicht vergessen zu erwähnen ist das inzwischen zum Bravourstück der Truppe avancierte Marat Sade.
Armando Punzo erinnert sich noch an die Anfänge und wie diese Erfolgsgeschichte möglich wurde: „Ich sah ganz einfach kein Gefängnis. Für mich war es vielmehr ein Theater hinter Gittern. Mein Blick ging über die Gefängnismauern hinaus. Ich begann die Qualität, das Potential der Gefangenen zu sehen, die normalerweise nicht unmittelbar sichtbar waren. Deswegen haben die Gefangenen an mich und das Projekt geglaubt. Und so konnten wir zusammen arbeiten und Außerordentliches erreichen.“
Rückblickend ist in den zwanzig Jahren des Bestehens der Theatergruppe tatsächlich Außerordentliches erzielt worden. Streng nach der Gefängnisordnung organisierte Tourneen führen die Häftlinge quer durch Italien. Die Aufführungen im Gefängnis sind inzwischen für alle zugänglich. Im Rahmen des Theaterprojekts werden heute bis zu fünfzig Personen ausgebildet, vor allem Schauspieler, aber auch Bühnenarbeiter und -techniker. Das Projekt ermöglichte es den Gefangenen, die Faszination, welche das Theater ausstrahlt, kennenzulernen: „Die Gefangenen hatten auf der Bühne die Möglichkeit, eine Seite von sich selbst kennenzulernen“, erklärt Punzo, „sie sahen sich so mit kulturellen und philosophischen Fragen konfrontiert, die sie sich höchstwahrscheinlich außerhalb des Gefängnisses nie gestellt hätten.“ Für Punzo birgt das Theater einen riesigen Erfahrungsschatz, egal ob die Person nun unbescholten oder vorbestraft ist.
Wenn Kultur zur Politik der Wiedereingliederung wird
Das Gefängnis in Volterra ist mit den Jahren zu einer festen Institution geworden: Ein inzwischen professionelles Theater in einem sehr untypischen Umfeld, das aber weiterhin von Personen gespielt und auf die Beine gestellt wird, die keine Profis sind. Punzo betont jedoch, dass er immer vor allem an der Arbeit mit Laien interessiert war. Für das zwanzigjährige Jubiläum öffnete das Gefängnis nun seine Tore und die Zuschauer konnten einen Blick hinter die Kulissen werfen und die Räumlichkeiten im Gefängnis begutachten, in denen die Theaterstücke eingeübt werden.
Seit der Jahrtausendwende erfährt das Projekt auch von offizieller Seite große Wertschätzung. 2000 wurde eine Vereinbarung zwischen dem Justizministerium, der Region Toskana, der Provinz Pisa, der Gemeinde Volterra und dem staatlichen italienischen Theaterverband „teatrale italiano“ erzielt, durch die das Projekt „Centro Nazionale Teatro e Carcere” ins Leben gerufen wurde. Eine Vereinbarung die zum Ziel hat, Theaterprojekte für Häftlinge stärker zu fördern. 2001 erhielt Carte Blanche zudem eine Auszeichnung des Kulturministeriums für die Arbeit mit der „Compagnia della Fortezza“. Aber das Projekt hat nicht nur national auf sich aufmerksam gemacht, auch international findet es Anklang - und sogar erste Nachahmer: Ein Gefängnis in Beirut gründete ebenfalls eine Theatergruppe, ein absolutes Novum für die arabische Welt. So ist es keineswegs übertrieben, wenn man sagt, dass das Theaterprojekt eine kleine kulturelle Revolution angestoßen hat und das ausgerechnet an einem Ort, den man so gar nicht mit Kultur verbindet.
Fotos: ©Compagnia della Fortezza
Translated from Galeotto fu il teatro: recitare dietro le sbarre