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The_Schulz: Sie haben ihm ein Denkmal gebaut 

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Politik

Martin Schulz just broke das deutsche Internet. Gedanken zum spontanen Medien-Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten. [KOMMENTAR]

Manchmal treibt das Internet seltsame Blüten. Eine grimmig dreinblickende Katze wird so berühmt, dass sie ihren eigenen Kinofilm bekommt. Prinz Charming und sein Einhorn-Kumpel bringen mir bei, wie man sich richtig auf's Töpfchen setzt, damit die Regenbockenkacke ordentlich flutscht. Und plötzlich ploppt dieser Mann aus Würselen in meiner Timeline auf, optisch eher Sparkasse als Hollywood, und wird abgefeiert, als sei er der Obama, Version 2008, persönlich.

Bis vor kurzem kannte ich Martin Schulz nicht wirklich. Ja, er war Präsident des Europäischen Parlaments, und als solcher sicher kein Nobody. Für mich war er es aber. Auch wenn ich die europäische Idee mag, sehr sogar, lebe ich nicht in der viel beschworenen Euro-Bubble. In seinen knapp sechs Jahren an der Spitze des EP ist mir der Sozialdemokrat nur einmal wirklich aufgefallen: Als er Anfang 2016 einen Abgeordneten der  rechtsextremen griechischen Partei "Goldene Morgenröte" aus dem Plenarsaal werfen ließ. Geiler Move, dachte ich damals. Und klickte auf's nächste Video, wahrscheinlich war's was mit Katzen.

SchulzFacts?

Dann wurde er plötzlich SPD-Kanzlerkandidat und - wow - hell broke lose. Erst hielt ich die ganzen Memes, die plötzlich in meine Timelines gespült wurden, für Ironie. #mega, #gottkanzler, ein #schulzzug ohne Bremsen: Martin Schulz wurde zum Chuck Norris der deutschen Politik. Zwinkersmiley. Auf dem Kuznachrichtendienst Twitter wurden plötzlich Lobsalven gepostet wie 'Wenn Martin Schulz ins Wasser springt, wird er nicht nass. Das Wasser wird sozialdemokratisch #SchulzFacts'.

Doch dann fiel mir auf, dass sich unter der ironischen Oberfläche etwas wirklich Verstörendes verbirgt: echte Hoffnung! Da ist tatsächlich dieser naive Glaube, dass Schulz allein das Rad rumreißen könnte, dass er uns alle aus dem finsteren Tag der vertrumpten Welt zurück ins Licht führen kann. Wenn es sein muss einhändig und auf einem Einhorn reitend.

Selbst Journalisten und Nachrichtenmagazine, die ich eigentlich ganz gern lese, offenbarten sich ohne Scham als Riesen-Schulz-Fanboys - zumindest auf ihren Social-Media-Kanälen. Von journalistischer Distanz war da nicht mehr viel zu spüren. Nee, der Martin, ist ja UNSER Kandidat, UNSER Streiter für Demokratie, UNSER Held. Endlich müssen wir nicht mehr auf die Merkel setzen, endlich haben wieder eine Alternative in einem politischen Lager, das uns genehmer ist. Und klar - er wird "Europe great again machen". Und Germany gleich mit dazu. #mega. WTF?

Grußwort von The_Schulz an die Reddit-Community

Sorry, aber wenn einzelne Personen gefühlt aus dem Nichts kommen, über den großen Klee gelobt und als großer Heilsbringer gefeiert werden, obwohl sie bis auf ein paar Plattitüden, alles besser und fairer machen zu wollen, bislang noch nichts wirklich Konkretes zu bieten haben, läuten bei mir alle Alarmglocken. Ganz egal aus welchem Lager sie kommen. Personenkult ist gruselig! Ganz egal, ob sich der Hype um Obama dreht (auch wenn der Typ wirklich charming ist), um Bernie Sanders, um Donald Trump, um Kim-Jong Un oder Wladimir Putin, die godfathers of memes.

Wir sind schon soweit, dass Martin Schulz diesen Hype um sich selbst nicht einmal selbst inszenieren musste. Und wahrscheinlich sogar selbst davon überrascht wurde. Seine relative Unbekanntheit in deutschen Landen gerät ihm dabei zum Vorteil. Je weißer die Projektionsfläche, desto mehr können wir auf sie projizieren. Was auch unfair ist: Wie soll der Mensch Martin Schulz all diese Erwartungen erfüllen? Wie können wir - siehe Obama - am Ende nicht von ihm enttäuscht werden?

Ist die Welt denn wirklich so kompliziert geworden, so angsteinflößend, dass wir wirklich diesen einen großen Weltenerklärer brauchen, der uns zeigt, wo es lang geht? Diese Elternfigur, die uns beschützend durch's Haar wuschelt und uns "I got this!" ins Ohr flüstert? Und was sagt das über uns aus? Stehen wir dann nicht denen, die wir so verachten, weil sie sich von Einflüsterern wie Trump und Erdogan und Putin verführen lassen haben, viel näher als wir wahrhaben wollen?