The Cut : Fatih Akıns Tabubruch
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Lea SauerThe Cut kommt am Donnerstag in die deutschen Kinos. Obwohl der Regisseur von türkischen Ultranationalen bedroht wurde, freut er sich über das Projekt. Anlass genug, um zu schauen, warum Fatih Akın gerade Armenien zum Thema seines aktuellen Films machte.
Dieser Jahrestag ist kein Anlass zum Feiern, sondern eher einer, der zu denken gibt. Kurz bevor sich der Genozid in Armenien zum hundertsten Mal jährt, erscheint das aktuellste filmische Werk von Fatih Akın, The Cut. Er bricht damit ein Tabu und provoziert Ärger und Todesdrohungen seitens der Rechtsextremen in der Türkei. Der Migrantensohn und mittlerweile vierzigjährige Deutsch-Türke ist in Hamburg-Altona aufgewachsen und mit Filmen wie z.B. Solino (2002), Auf der anderen Seite (2007) und Soul Kitchen (2009) bekannt geworden.
Kino und der armenische Völkermord
Zu Beginn wollte Fatih Akın eigentlich gar nicht The Cut drehen, sondern einen Film über Hrant Dink, den armenischen Journalisten, der 2007 in Istanbul von einem Nationalisten auf offener Straße getötet wurde. Genau vor dem Büro der türkisch-armenischen Zeitung Agos, die dieser selbst mitbegründet hatte. Aufgrund politischer Probleme während des Castings, musste Akın seine Meinung allerdings ändern. Der Regisseur fand keinen türkischen Schauspieler für die Rolle, da alle Schauspieler sich dagegen wehrten. Aus Angst vor den Extremisten. Also musste er das Projekt hinschmeißen und sich einem neuen widmen.
Mit seinem aktuellen Streifen, den er in den letzten sieben Jahren gedreht hat, ist Akın einer der ersten türkischstämmigen Regisseure, die sich diesem Tabuthema filmisch nähern: dem armenischen Genozid, der offiziell vom türkischen Staat abgestritten wird. Alles in allem bleibt Akın aber seinen üblichen Themen treu: Liebe, Entwurzelung und Tod. The Cut erzählt die Geschichte eines jungen Familienvaters, Nazaret Manoogian, der von türkischen Soldaten aus seiner Familie gerissen wird und die Greueltaten zwischen 1914-1915 überlebt. Auf der Suche nach seinen beiden Zwillingsmädchen verschlägt es ihn schließlich nach Syrien, Kuba und die Vereinigten Staaten.
Obwohl der armenische Genozid eigentlich als Thema gemieden wird, holte Akın die heikle Debatte mithilfe seines Films auf die Leinwand des Filmfestivals in Venedig. The Cut (2014) wurde dort vorgestellt und ist vergleichbar mit Filmen wie Ravished Armenia (1919), Naapet (1977), The Forty Days of Musa Dagh (1982), Mayrig (1991), Ararat (2002) und Le Voyage en Arménie (2006). In diese Liste reiht sich auch der Spielfilm Une histoire de fou von Robert Guédiguian ein, dessen Filmstart für Frühjahr 2015 geplant ist.
Der Trailer zu 'The Cut', mit dem französischen Schauspieler Tahar Rahim.
Der Regisseur ist so fixiert auf das Thema, weil laut ihm der armenische Genozid „ein Tabuthema ist, verboten und gefährlich". Für ihn eine gute Gelegenheit, das Thema zu diskutieren und seinen Wissensdurst und seine Wahrheitsliebe zu befriedigen. Abgesehen von den Todesdrohungen, haben die Ultranationalisten angekündigt, dass der Film niemals in einem türkischen Kino gezeigt werden wird. Denn der Film ist, so sagen sie, „der Anfang einer Initiative, die die Türkei dazu drängen soll, den armenischen Genozid anzuerkennen."
Rein auf die Umsetzung des Films bezogen, lässt sich kritisieren, dass der Film den Zuschauer in der unangenehmen Situation lässt, dass man nicht weiß, ob man sich gerade einen Film des Autorenkinos oder ein politisches Historiendrama ansieht. Akın antwortet darauf gekonnt, dass er selbst die Bedeutung eines Genozids nicht einordnen kann, da es weder ein passendes Genre noch das Medium gibt, um die Tragweite des Themas abzubilden. Obwohl natürlich klar sei, dass die Türkei „reif für den Film" ist.
Der größte Traum für Akın
Er erhält Unterstützung von vielen türkischen Journalisten, die sagen „der Film kann ohne Vorbehalte in der Türkei gezeigt werden. Er sollte sogar unbedingt gezeigt werden." Der Regisseur ist fröhlich gestimmt und merkt an, dass der Anlauf des Films in den türkischen Kinos sein „größter Traum" sei. Laut Simon Abkarian, der im Film Krikor spielt, repräsentiert The Cut den Film, auf den die Armenier schon lange warten. Das Ziel von Fatih Akın ist hingegen viel größer und versöhnlicher als das. Er will, dass sich beide Seiten, die türkischen und die armenischen Zuschauer, mit dem Protagonisten identifizieren können. Und das, was für ein Individuum funktioniert, kann ja auch für ein Kollektiv möglich sein.
Er möchte mit The Cut einen Beitrag leisten, um die psychischen Traumata von damals zu überwinden. Aber es handelt sich in erster Linie vielmehr um geteilte Gefühle, um das Darstellen von Traumata und um das Anregen eines Dialoges, um den Hass zu überwinden und Aussöhnung zu finden, als um eine einfache pädagogische Maßnahme. Es ist so wichtig, dass sich die zivile Bevölkerung für das Erinnern einsetzt, weil ganzen Generationen in der Türkei auf Befehl des Staates gelehrt wurde, dass der Genozid eine Lüge war, die vom Osmanischen Reich in die Welt gesetzt worden ist. So galten die Armenier lange Zeit immer noch als Feinde.
Ausschnitt aus einem Interview von Fatih Akın am 3. September 2014
Der politische Faktor
Obwohl The Cut nicht thematisiert, welche Rolle Deutschland im armenischen Genozid gespielt hat, vergisst der Regisseur die deutsche Vergangenheit als Verbündeter des Osmanischen Reiches nicht. „Sie haben geschwiegen und die anderen einfach machen lassen", sagt er. Abgesehen davon spricht Deutschland bis heute nicht von einem „Genozid" in Armenien, sondern, wie 2005 bei den Beschlüssen im Bundestag, von „Massakern" an den Armeniern.
Beim 99. Jahrestag des armenischen Genozids im letzten April wurde Erdogans Erklärung von manchen Kommentatoren als „ein symbolischer Akt zur Anerkennung des armenischen Genozids" aufgenommen. Erdogan richtete seine Trauerbekundungen speziell an die „kleinen Kinder, die in Armenien 1915 umgebracht worden sind". Aber zwischen den Zeilen ist dies eine Geste des Verleugnens. So sieht dies auch Franck Papazian des Conseil de coordination des organisations arméniennes de France (CCAF; Rat der Koordination und Organisation der Armenier in Frankreich, AdR.). Er bezeichnet die Bekundungen des türkischen Präsidenten als „reine Werbung", da er sich „weder entschuldigt", noch den „Genozid erwähnt". Die These, die sich bislang hält, ist die, dass von den Türken und den Armeniern Massaker im Rahmen des Ersten Weltkrieges verübt wurden. Die Historiker sind indes meist anderer Meinung. Laut dem französischen Präsidenten François Hollande ist die Rede Erdogans „eine Geste, die man ernst nehmen muss, die aber noch lange nicht ausreicht."
Wäre es denn falsch, auf die Anerkkenung zu bestehen und darauf, dass der Vergangenheit gedacht werden muss, damit es eine Aussöhnung geben kann? Kann Aussöhnung nur durch Druck zweier Völker, durch alltägliche zwischenmenschliche Beziehungen geschehen? Oder muss die Politik zuerst Druck auf die Menschen ausüben, damit Aussöhnung stattfinden kann? Wie so oft spiegeln diese Fragen, spiegelt ein „entweder - oder", ei, „schwarz und weiß", nicht die Komplexität der Realität wider.
Wie dem auch sei, man kann sich jedenfalls die Frage stellen, ob die Anerkennung des Genozids seitens der Autoritäten in der Türkei nicht das Potential hätte, um in der Region einen Prozess der Neudefinition der nationalen Identität in Gang zu setzen. Bei den Türken und den Armeniern gleichermaßen. Aber auch in den Nachbarländern, wie z.B. Aserbaidschan. Auf der anderen Seite, so deutet Papazian an, wenn der türkische Staat den Genozid anerkennen würde, wäre dies „eine sehr starke Geste, die der Türkei helfen könnte, eine eigene Position zu finden und sich Europa anzunähern."
The Cut von Fatih Akin läuft am 16. Oktober 2014 in den deutschen Kinos an.
Translated from The Cut : Fatih Akın tranche le tabou arménien