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Teutonenflucht nach Österreich

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Als einziges EU-Land sieht Österreich keinerlei Beschränkungen des Hochschulzugangs für einheimische Studierende vor. Nun hat der Europäische Gerichtshof die Öffnung auch für ausländische Studenten gefordert. Die Unis stehen vor einem Massenandrang.

Am 7. Juli 2005 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die österreichische Praxis, für den Hochschulzugang von ausländischen Studenten den Nachweis eines Studienplatzes im Heimatland zu verlangen, als Verstoß gegen die EU-Gleichbehandlungspflicht verurteilt. Seitdem herrscht Ausnahmezustand an Österreichs Universitäten. Diese wurden gleichsam überrannt vor allem von deutschen Numerus-Clausus-Flüchtlingen. Besonders drastisch ist die Situation an der medizinischen Fakultät: In Wien kommen auf 1.560 Studienplätze jeweils 1.500 österreichische und deutsche Bewerber, in Innsbruck konkurrieren 447 Österreicher mit 2.147 Deutschen um 550 Plätze und in Graz gibt es 300 Studienplätze für 917 österreichische und 1.964 deutsche Bewerber.

Notwehrsituation

Dem Ansturm auf die Unis antwortete die österreichische Regierung mit einem befristeten Notgesetz, das den autonom wirtschaftenden Universitäten völlig freie Hand lässt bei der Regelung von Zugangsbeschränkungen in acht überlaufenen Fächern: Human-, Zahn- und Veterinärmedizin, Psychologie, Biologie, Pharmazie, Betriebswirtschaft und Publizistik.

Das kleine Österreich sieht sich in einer Notwehrsituation. Schließlich könne „ein Volk mit acht Millionen nicht für ein Volk mit 80 Millionen Studienplätze vorrätig halten“, so Bildungsministerin Elisabeth Gehrer. Mit diversen Abwehrtaktiken und Zeit schindenden Tricks wird nun versucht, einheimischen Studierwilligen den Vorrang zu erhalten.

Österreich betrachtet den freien Hochschulzugang als schutzwürdiges Rechtsgut, das nur durch eine gewisse Reglementierung des Zugangs von EU-Bürgern erhalten werden könne. Zudem dient der freie Hochschulzugang der Anhebung der im EU-Vergleich niedrigen Akademikerquote. Österreich argumentiert, dass das Abstellen auf das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen im Herkunftsland ein typisches Element des EU-Rechts darstelle. Die Kommission hat vielfach das Herkunftslandprinzip als Kernelement des Binnenmarktes bezeichnet und der EuGH hat dieses Prinzip in zahlreichen Urteilen bestätigt.

Die Universitäten indessen üben Kritik an der Regierung und sehen in den Notgesetzen ein Abschieben von Verantwortung. Hätte man schon nach Einleitung des Verfahrens im März 2003 reagiert, hätte man sich die ad-hoc-Gegenmaßnahmen erspart. „Jahrzehntelang hat sich die Politik vor einer Diskussion zur Frage nach Zulassungsbeschränkungen an Universitäten gedrückt“, sagt Wolfgang Schütz, Rektor der Medizinischen Universität Wien.

Für die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) ist das derzeitige Chaos zum Großteil auf hausgemachte Fehler der Regierung zurückzuführen. Die Studentenvertretung wirft der Bildungsministerin vor, die Schuld nach Brüssel abschieben zu wollen. "Durch die finanzielle Ausdünnung der Universitäten hat sich die Regierung die Situation an den Universitäten selbst gebastelt. Was nun folgt, ist der Versuch, den Schaden durch Zugangsbarrieren zu kaschieren", so Doris Gusenbauer vom Vorsitzteam der ÖH Uni Wien.

Der Europäische Gerichtshofshof mischt sich ein

In Belgien, das ähnliche Zugangsbeschränkungen wie Österreich vorsah, wurden diese im Zuge eines Verfahrens vor dem EuGH (pdf) vor zwei Jahren aufgehoben. Die belgische Regierung überlegt nun, Quoten für Studenten, die nicht seit einer bestimmten Zeit in Belgien leben, einzuführen.

Auch Großbritannien war kürzlich Auslöser eines EuGH-Urteils (pdf), mit dem ein EU-weites Recht auf staatlich subventionierte Darlehen und Zuschüsse für Studenten festgestellt wurde, sofern diese ein „gewisses Maß an Integration“ in das Gastland aufweisen.