Terrorismus bekämpfen: Demokratie, Baby!
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[KOMMENTAR] Die Attentate in Paris erschütterten Europa und die ganze Welt. Wie hätten sie verhindert werden können? Ist mehr Überwachung eine Lösung? Oder gibt es vielleicht doch noch die ein oder andere Alternative? Eine Idee.
Nach den Anschlägen vom 13. November in Paris treten die Meinungen zur Frage, wie Anschläge solcher Art zu verhindern sind, so deutlich zu Tage, wie sonst selten. Da gibt es die einen, die „Hollandes“, die auf den Terror mit Notstand (extra lang!), erneuten Militäraktionen und vor allem mehr Überwachung antworten wollen. Und die anderen, diejenigen, die sagen, dass man dem Ganzen Liebe entgegensetzen muss. „Free Hugs gegen den Terror“ oder so ähnlich.
Beide Extreme sind so bescheuert, wie ineffektiv, wie falsch. Mehr Überwachung würde in erster Linie eines bringen: weniger bürgerliche Freiheit und mehr Kontrolle für uns alle. Naiver Flower-Power-Kitsch klingt auf einem Techno-Rave um 6 Uhr morgens immer nach der perfekten Lösung, bringt als konkrete Maßnahme gegen den Terror allerdings, naja, nichts. Und jetzt? Kann man nix machen? Dann doch lieber Überwachung und Kontrolle statt dem beängstigenden Nichts?
Die Antwort muss lauten: Demokratie, Baby! Und zwar konkret. Nicht als solidarisch eingefärbtes Facebook-Profilbild, sondern als wirkliche politische Haltung. Und das ist gar nicht mal so einfach, denn Demokratie bedeutet nicht einfach nur das Einführen eines Parlaments und zack, Demokratie da, alles ist gut! Demokratie bedeutet zwischenmenschliche Interaktion, Mündigkeit, das Einstehen für menschlich-demokratische Grundwerte im Alltag. Also, immer. Das ist anstrengend und nicht einfach.
An der Wurzel
Zwischenmenschliche Kommunikation, Mündigkeit, Einsatz für moralische Grundwerte - alles Dinge, die die Europäische Kommission u.a. auch 2005 in ihrem „Citizens for Europe“-Plan benannt hat. Ein 7-Stufen-Plan, mit dessen Hilfe die Europäer zu mündigen Bürgern erzogen werden sollen. Man nennt das demokratische Kompetenz. Und die soll zum Beispiel in der Schule vermittelt werden. Durch die Lehre von politischen Fakten, aber auch durch das Lernen und Lehren mithilfe bestimmter „demokratischer“ Lehrmethoden, wie beispielsweise dem sogenannten Kooperativen Lernen. Im Prinzip eine besonders organisierte Art der Gruppenarbeit, bei der jeder eine wichtige, elementare Aufgabe erfüllt und sich aktiv einbringen muss, damit das Ergebnis stimmt. Stichwort: Teilhabe an Entscheidungsprozessen. In Frankreich wurde zu diesem Zweck übrigens Anfang des Schuljahres 2015 das Fach "L'enseignement moral et civique - EMC" (Lehre zu moralischen und bürgerlichen Pflichten) eingeführt. Lernziel: unter Anderem so Sachen wie Engagement, Toleranz, Respekt.
Klingt vielleicht nach ein bisschen Gruppenarbeit als Wunderwaffe gegen radikale Islamisten, bringt aber wirklich was. Zumindest laut dem dänischen Psychologen Preben Bertelsen. Der fand nämlich heraus, dass es bestimmte Bedingungen gibt, die eine aggressive, politisch-religiöse Radikalisierung begünstigen. Und das ist – oh, Wunder! - in erster Linie das Gefühl, gesellschaftlich ausgeschlossen zu sein, nicht ernstgenommen zu werden und sich (vor allem sozial) benachteiligt zu fühlen. Seine Lösung: Psychologie. In Aarhus, Dänemark, hat er ein bisher einmaliges Projekt zur Reintegration von dänischen ISIS-Kämpfern gestartet, bei dem die meist jungen Männer innerhalb einer Gesprächstherapie lernen sollen, ihre politischen Energien positiv zu kanalisieren. Noch ist das Projekt zu neu, um stichhaltige Ergebnisse über den Erfolg dieser Maßnahmen zu liefern, eine Idee für eine Antwort auf Terror außerhalb der beiden oben aufgezeigten Extreme – totale Überwachung oder Verklärung - bietet es aber auf jeden Fall.
Sicherlich wäre es falsch, zu behaupten, Terroristen seien immer Opfer ihrer Umstände. Kein Umstand rechtfertigt kaltblütiges Morden. Auf keinen Fall. Aber statt sich auf schnelllebige, plakative, leicht nachweisbare Maßnahmen der Terrorbekämpfung zu konzentrieren, die vor allem erst nützlich werden, nachdem etwas passiert ist, sollten man vielleicht lieber versuchen, den Terrorismus an der Wurzel zu packen: In den Köpfen der Radikalen. Und da sollte die Maxime lauten: Bildung, Baby! Die Antwort muss lauten: Bildung zu demokratischen Werten, zu mündigen Bürgern, die die demokratisch-humanitären Werte schätzen. Das bedeutet vor allem Freiheit statt Überwachung. Vertrauen. Gleichberechtigung. Und das war's. In Zeiten, in denen alles, was sich nicht kontrollieren lässt, als potenzielle Gefahr betrachtet wird, nichts schwieriger als das?