Südrussland: Kratzer im Multi-Kulti-Ideal
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Die jüngste Kampagne gegen georgische Bürger in Russland macht auch vor den multiethnischen Städten im Süden des Landes nicht halt.
Vor drei Wochen krachte es laut im südrussischen Krasnodar, nahe der Grenze zu Georgien. In einem Luxusjeep der Marke „Hummer“ explodierte eine Bombe. Der Fahrer schaffte es, sich aus seinem Wagen zu retten, bevor eine zweite Explosion das Fahrzeug in Stücke riss. Er sei Inhaber eines Wodkawerkes, meldete das regionale Fernsehen der russischen Grenzregion.
Was die Staatsfunker verschwiegen: Der Unternehmer Runow, der dem der Anschlag galt, ist Georgier. Seit vor einem Monat der Konflikt zwischen den Ex-Sowjetrepubliken Russland und Georgien wegen eines angeblichen Spionageskandals eskalierte, werden in Russland lebende Georgier in Sippenhaft genommen. Runow engagierte sich im Krasnodarer „Zentrum der Nationalitäten“ für den Verein der georgischen Minderheit, Iweria. Kurz nach dem Anschlag tauchten im Büro des Vereins russische Polizisten auf. Sie kontrollierten die Aufenthaltstitel der georgischen Bürger.
Aggressiver Nationalismus
Kein Einzelfall: In ganz Russland fahndet die Polizei derzeit nach nicht registrierten georgischen Arbeitsmigranten und verweist sie des Landes. Spielkasinos, Restaurants und Marktstände im Besitz von Georgiern werden durchsucht und geschlossen. Die antigeorgische Kampagne ist der jüngste Ausdruck eines von Präsident Putin unterstützten aggressiven Nationalismus, der sich auch gegen andere nichtrussischen Bürger des Landes richtet. Kürzlich vertrieben Einwohner der westrussischen Kleinstadt Kondopoga zugewanderte Tschetschenen durch Brandschatzungen und Plünderungen aus der Stadt. Morde an Ausländern häufen sich im ganzen Land, wie die NGO "Interethnic Council" berichtet. Alleine in Sankt Petersburg wurden seit Jahresbeginn vier Nicht-Russen umgebracht. Ende September starb dort der 27jährigen Medizinstudent Singh Nitesh Kumar aus Indien nach einer Messerattacke.
Zwei Wochen vor dem Anschlag auf den georgischen Wodkafabrikanten treffen wir in Krasnodar Nagurbek Nagurbekow, den zweiten Vorsitzenden der tadschikischen Einwanderergemeinde: „Ereignisse wie in Kondopoga sind in Krasnodar undenkbar“, versichert er uns. Krasnodar sei anders als der Rest Russlands. 126 Nationalitäten lebten hier friedlich zusammen – ein Multikulti-Paradies. Die Menschen heirateten über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg, schwarze und arabische Studenten lebten ungestört, und „Faschisten gibt es nicht und wird es auch nicht geben.“ Interethnische Konflikte habe er nie erlebt.
Ethnische Vielfalt gewöhnt
Krasnodar ist eine verkleinerte Ausgabe Russlands: 86 Prozent sind Russen, doch es leben dort auch Armenier, Georgier, andere Kaukasier, Zentralasiaten und Osteuropäer. Nach Moskau ist die Region die am schnellsten wachsende Region in Russland. Seit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion hat sich die Einwohnerzahl von vier auf fünf Millionen erhöht. Gekommen sind vor allem sonnenhungrige Russen, die das mediterrane Klima und die herrlichen Badeorte am Schwarzen Meer schätzen, als auch Menschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken – wie zum Beispiel aus Tadschikistan und Georgien. Bis heute profitieren sie von großzügigen Einbürgerungsgesetzen.
Doch viele Einwanderer müssen nicht automatisch viele Konflikte bedeuten. Darin stimmt Wladimir Petrow mit dem Tadschiken Nagurbekow überein. Petrow ist der Direktor der Soziologischen Fakultät der Universität Krasnodar und erforscht mit einigen Kollegen seit Jahren das Zusammenleben der Völker in der Region von Krasnodar. Die große Mehrheit der Menschen sei lange an die ethnische Vielfalt gewöhnt und könne damit umgehen, so sein Urteil. Nicht zuletzt liege das an der klugen Politik der Gebietsregierung in den 90er Jahren. Seitdem beraten sich Stadt- und Regionalregierung mit Minderheitenvertretern zu allen wichtigen politischen Fragen. Im „Zentrum der Nationalitäten“ können die Minderheiten mit staatlicher Förderung Sprachkurse anbieten, Neuankömmlingen Integrationshilfen anbieten und mit Tänzen und Folklore ihre nationale Kultur pflegen.
Petrow und Nagurbekow sind sich einig: Krasnodar ist ein Musterbeispiel gelungener Integration. Und jetzt das: eine Autobombe, die das hübsche Multikulti-Bild mit einem Schlag als Wunschdenken entlarvt.
Hakenkreuze an den Wänden
Dabei warnt Stasja Denisova seit Jahren. Die 23-jährige engagiert sich in der NGO Etnika gegen Rassenhass. Denn Skinheads gebe es in Krasnodar wie im übrigen Russland auch, berichtet sie. Sie schmierten Hakenkreuze an die Wände, trainierten wie Paramilitärs auf den Hinterhöfen der Plattenbauten. Im Juli wurde ein sudanesischer Student von einem glatzköpfigen Russen vor dem Wohnheim überfallen und so stark geschlagen und getreten, dass er einen Monat lang im Koma lag. Denisova sagt, dass die 1 500 Studenten aus dem Sudan und dem Nahen Osten aus Angst nur zwischen Supermarkt, Wohnheim und Uni hin und her pendelten.
Mit anderen jungen Leuten von Etnika habe sie die Stadtverwaltung immer wieder auf solche Probleme hingewiesen. Die Antwort: „Mit Aktionen ‚gegen Skinheads’ würden wir Rassenhass überhaupt erst in die Welt setzen.“ Das offizielle Krasnodar will weiter an das Bild einer Stadt glauben, die anders ist als das kriegerische Tschetschenien ein paar hundert Kilometer weiter, anders auch als die russischen Kleinstädte im Norden, wo der Faschismus eine akzeptierte Jugendmode ist. Nun könnte der missglückte Anschlag auf einen Georgier endlich die Augen und Münder der Mächtigen öffnen.