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Studierte Pflückerinnen aus dem Osten

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Saisonarbeiter schuften zu Löhnen, zu denen kaum ein Einheimischer einen Finger bewegen würde. Dennoch werden sie oftmals für die Arbeitsmarktmisere verantwortlich gemacht. Zu Besuch auf einem deutschen Bauernhof im Spannungsfeld der Globalisierung.

Jörg Buschmann beginnt ganz am Anfang. Der stiernackige Mann mit dem runden, vom Wetter geröteten Gesicht, sitzt neben mir im Geländewagen und fährt seine Ländereien südwestlich von Berlin ab. Während wir die holprigen Waldwege entlang schunkeln erzählt er davon, dass der „Ostbahnhof“ in Berlin früher „Schlesischer Bahnhof“ genannt wurde. „Die Leute kamen schon vor 100 Jahren vornehmlich aus Schlesien nach Berlin, um bei der Ernte zu helfen. Die waren ein Wirtschaftsfaktor und wurden hier mit Blumen empfangen.“ Die Arbeiter kommen immer noch, aber Blumen drückt ihnen niemand mehr in die Hand.

Fest und würzig

Mit dem Spargel wird auf dem Hof „Buschmann und Winkelmann“ das größte Geschäft gemacht. Die Saison für das „königliche Gemüse“ ist inzwischen vorbei, der Betrieb ist gemessen an der Spargelsaison leergefegt. Nur 10 polnische Frauen stehen inmitten der „Reka“-Stauden, einer Heidelbeerart. „Fest und im Geschmack besonders würzig und aromatisch“ soll sie einer Werbetafel zufolge sein. Sie haben sich in Zweiergruppen zusammengefunden, tratschen und lachen, während sie sich von Staude zu Staude weiterarbeiten. Vor sich her schieben sie eine kleine Holzkarre, mit dem sie die Früchte ihrer Arbeit zu einer Art Vorarbeiter bringen. Bewaffnet mit einer Waage steht der neben einem Lieferwagen, wiegt was er bekommt und führt peinlich genau Liste über den Ertrag jeder einzelnen Pflückerin. Denn sie werden zusätzlich zu ihrem Stundenlohn noch nach Leistung bezahlt.

Erfüllung der Wünsche

30 Kilo abgeerntete Heidelbeeren am ersten Tag sind normal, bis zu 100 Kilogramm kommen später zusammen. „Das kann mit der Zeit echt anstrengend werden“, merkt Dominica Swobocz schon nach der Hälfte des Tages. Bücken, pflücken, aufstehen, weitergehen, immer wieder der gleiche Bewegungsablauf. Zusammen mit den anderen Frauen kommt die 20-jährige täglich aus einem acht Kilometer entfernten Kasernengebäude zur Arbeit. Jeden Morgen um sieben stehen sie auf den Feldern, ein Bus bringt sie direkt dorthin. Nur eine Mittagspause unterbricht ihre Arbeit, die um sechs Uhr abends endet, unter Umständen aber länger dauern kann. In einem stark gebrochenen Englisch erklärt Dominica Swobocz, warum sie den harten Job macht: „Der Verdienst ist sehr gut.“ Eigentlich studiert das junge Mädchen aus Rzeszow Marketing und Verwaltung. Den für polnische Verhältnisse hohen Grundverdienst von 650 Euro will sie wieder in ihr Studium investieren. Damit passt sie in das Bild von Buschmann: „Die Polen, die hier herkommen, sind Leute, die sich etwas dazuverdienen wollen. Sie haben Ziele und sei es nur, sich einen neuen Fernseher zu kaufen.“ Arbeitern aus den neuen EU-Beitrittsstaaten werden zur finanziellen Erfüllung ihrer Wünsche keine Steine in den Weg gelegt. Sie dürfen vier Monate als Saisonarbeitnehmer in Deutschland arbeiten, benötigen keine Aufenthalts- wohl aber eine Arbeitserlaubnis. Die ist allerdings nur Formsache, einzige Bedingung ist die Volljährigkeit.

Der Deutsche kommt nicht mit

„Nehmen Sie mal einen Polen, der hierher kommt und in Polen noch in einem landwirtschaftlichen Betrieb arbeitet. Nehmen Sie dann einen deutschen Arbeitslosen. Wenn der Pole loslegt, kommt der Deutsche nicht mehr mit“, verteidigt Buschmann den Einsatz von polnischen Arbeitern. Dabei habe es Versuche zusammen mit der Agentur für Arbeit gegeben. „Die haben Leute geschickt mit Rückenproblemen. Eine Frau war der Extremfall. Die konnte kaum sehen und ging am Stock durch die Felder.“ Der Versuch wurde nicht fortgesetzt. Die Auswirkungen der Arbeit der polnischen Saisonarbeiter sieht Buschmann positiv: „Der Hof würde gar nicht existieren ohne sie. Die nehmen keinem Arbeit weg, sondern schaffen erst welche.“ 70 Stellen seien so in seinem Betrieb entstanden. Doch selbst wenn die EU-Erweiterung für Buschmann und sein Unternehmen positiv war, bereitet sie ihm „Magenschmerzen“: „Die Erweiterung nach Süden haben wir gut verkraftet. Ob wir die nach Osten aushalten ist eine andere Frage.“