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Studieren in Kairo: Clash of Civilisations

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Gesellschaft

In Ägypten wurden die Islamisten stärkste Kraft - auch dank der Stimmen junger Muslime. Die Religion ist ihre Art, sich vom Westen abzugrenzen. Ansichten einer deutschen Studentin in Kairo.

Die Arabische Revolution war eine feine Sache: Junge Menschen, die sich gegen Despoten erhoben, friedlich zu Tausenden demonstrierten - und am Ende siegten. Ben Ali floh, Mubarak dankte ab. Zum ersten Mal waren sich der Westen und die Araber in einem Grundsatz einig: Die Demokratie war das Ziel. Doch als die Menschen in Tunesien und Ägypten zum ersten Mal an die Urnen gingen, stimmten sie nicht für die liberalen Parteien. In beiden Ländern wurden islamistische Gruppen zur stärksten Kraft.

Wie konnte es dazu kommen? Warum hatten die jungen Araber für die Freiheit gekämpft, um sie kurz darauf selbst zu beschneiden? Warum wählten sie Parteien, die eine Wiedereinführung der Polygamie forderten oder Touristen verbieten wollten, sich am Strand im Bikini zu zeigen?

Vielleicht lässt sich der Zwiespalt anhand einer Geschichte erklären. Ich habe mehrere Monate lang in Kairo studiert, etwa ein Jahr, bevor die Revolution ihren Gang nahm. Wir - fünf Studentinnen aus Deutschland - waren die ersten Austauschstudenten, die die Cairo University jemals aufgenommen hatte. Nicht, dass es nie Ausländer nach Kairo gezogen hätte. Doch sie wählten private Hochschulen: die MIU oder die American University, die die ägyptische Oberschicht besuchte. An der Cairo University studierten jene, die es sich nicht leisten konnten, hohe Gebühren zu bezahlen.

Wir Deutschen belegten Kurse in Wirtschaft an einem speziellen Institut, dessen Besuch immerhin einige hundert Euro im Semester kostete. Sie waren der ägyptischen Mittelschicht vorbehalten und dementsprechend klein waren die Klassen. Die Studenten sprachen fließend Englisch und begrüßten uns mit scheuer Neugier. Eines Tages lud uns eine Gruppe junger Frauen unvermittelt ein, gemeinsam mit ihnen eine Bootstour auf dem Nil zu unternehmen. Nesma, Heba, Yara und Lobna - vier Kommilitoninnen im Alter zwischen 17 und 19 Jahren, die davon träumten, Marketingchefin oder Bankangestellte zu werden. Sie hatten den Ausflug genau geplant: Als wir am Flussufer ankamen, stand das Boot schon bereit, Koushari, ein ägyptisches Gericht aus Linsen und Reis, war als Proviant verpackt - eine Portion für jede von uns. Dazu gab es klebrige Süßigkeiten. Aus einem Radio dröhnte Musik, wir lachten und alberten auf dem Deck herum. 

„Inappropriate scenes“

Doch als gegen Abend der Muezzin rief, wurden die Frauen ganz still. “Wir müssen zuhören”, sagte Lubna. Die vier Mädchen setzten sich andächtig auf die Holzbänke und lauschten dem Gebet. Später sprachen wir über Politik. Der Westen habe ein völlig falsches Bild vom Islam, sagte ein Mädchen. “Wir sind nicht alle Terroristen.” Israel war ihnen ein besonders wichtiges Thema. “Die sind gekommen und nehmen den Palästinensern ihr Land weg”, sagte Heba. Wir schwiegen betroffen.

Trotz allem: Wir fühlten uns willkommen, weil sie sich so viel Mühe gegeben hatten. Es war ein wunderbarer Tag gewesen. Gerne hätten wir Deutschen revanchiert. Wir luden die Mädchen ein, bei uns zu essen, einen Film zu schauen, einen Abend lang zu quatschen. Sie kamen nicht. Einmal wohnten wir zu weit weg, ein anderes Mal erlaubten es die Eltern nicht. Eine von ihnen ließ den Satz fallen, ein Film könne “inappropriate scenes”, obszöne Szenen enthalten.

Vielleicht war die Bootsfahrt eine ägyptische Werbeveranstaltung gewesen. Sie hatten uns ihre Welt zeigen wollen, doch sie hüteten sich, ein Teil von unserer zu sein. Tatsächlich fiel es uns schwer, uns diese vier jungen Frauen in unserer Wohnung vorzustellen. Ungeachtet aller Konventionen bräunten wir uns regelmäßig im Garten und ließen uns abends in neutralen Plastiktüten Bier liefern - ein Service, der von einer Firma namens “Drinkie’s” angeboten wurde. Das alles wussten Nesma, Heba, Yara und Lobna nicht. Doch sie sahen, dass wir mit nackten Armen durch die Frühlingssonne liefen, selbst gedrehte Zigaretten rauchten und weit weg waren von unseren Familien. Und womöglich war ein Grund anzunehmen, wir seien freier, als uns gut tat.

Unsittliches aus dem Westen

Wenn sich auf dem Campus die Männer nach uns umdrehten, beäugten uns die Studentinnen mit einer Mischung aus Neid und Mitleid. Wir waren ein Symbol für den Westen: Eine Verlockung, ja. Eine unsittliche. Ihr Glaube gab den jungen Frauen Halt, er war ihre Waffe gegen die Unmoral dieser Welt. Ihre Garantie, dass sie, trotz der tollen Jobs, die sie später bekämen, trotz der Reisen, die sie unternehmen würden, niemals so verloren wären wie wir.

Und nach der Revolution? Die Welt stand ihnen offen. Es war nicht Freiraum, den sie brauchten, sondern Orientierung. Und nur Parteien, die die Religion in den Mittelpunkt stellen, konnten garantieren, dass der Islam auf dem Weg zur Demokratie nicht verloren ging.

Ich habe nach dem Auslandssemester nie mehr von diesen Mädchen gehört. Nur einmal habe ich die Facebook-Seite einer anderen ägyptischen Kommilitonin besucht. In der Rubrik “Politische Ansichten” steht dort stolz: “Demokratisch. Seit dem 25. Januar 2011 :)”. Und darüber: “Religion: Muslim”.

Illustrationen: Homepage (cc)Héctor de Pereda/flickr; Im Text (cc)*Zephyrance - don't wake me up/flickr