Straßburg: Wwoofing gegen Wohnungsnot
Published on
Wohnungsnot in Frankreich und Fußballschulen in Burkina Faso – in einem Projekt? Das Straßburger Hostel Tom’s Fair House versucht Wegweiser zu sein.
Der Zug hält. In der Nähe des Bahnhofs sammelt mich Félicien ein. In kurzen Sätzen teilt er mir mit, dass wir nicht mehr die Zeit hätten, mein Gepäck in die Wohnung zu bringen. Wir zwängen uns durch die mit Menschen gefluteten Gassen der Straßburger Innenstadt. Uns begleitet Vuk aus Serbien, der hier an der Universität Chemie studiert. Beide arbeiten für Tom’s Fair House, das Hostel, in dem ich übernachten werde.
Ursprünglich war mein Plan, Félicien, den ich während eines Theaterworkshops in Bochum kennengelernt hatte, in Straßburg zu besuchen. Er hatte mir erzählt, dass er in einem Hostel arbeite, weil er keine bezahlbare Wohnung gefunden hatte. Hier könne er umsonst wohnen. Als ich herausfand, was dieses Hostel eigentlich ist, war ich fasziniert. Statt wie geplant übers Wochenende zu bleiben, blieb ich eine Woche.
Im Hostel angekommen, stelle ich mich kurz vor. Im Gegenzug erhalte ich ein „This is your bed“ mit einem dazugehörigen Fingerzeig auf eines der Betten. Hier könne ich auch die nächsten Nächte schlafen. Félicien und ich setzen uns darauf. An der Wand gegenüber steht ein Hochbett. Sieben Menschen sitzen auf Sesseln, Sofas und Betten verteilt, Thomas Hincker-Fritz, der Chef irgendwo dazwischen.
Logis gegen Arbeit
Thomas ist 35, hier in Straßburg geboren und ein Träumer, der ein bisschen die Welt retten will. Er macht vor nichts halt, fast hätte er sogar mal den Straßburger Fußballclub für einen Euro gekauft. Mit Tom’s Fair House fing er im August 2013 an. Wwoofing, kurz für 'World-Wide Opportunities on Organic Farms', ist ein Konzept, das man eher in ländlicheren Regionen mit hoher Backpacker-Frequenz antrifft. Deswegen ist man umso verwunderter, wenn man mitten im Stadtzentrum von Straßburg ein Projekt findet, das auf seiner Webseite Wwoofing anbietet. Thomas Konzept ist einfach: Erledigen Gäste geringfügige Arbeiten, zahlen sie auch weniger. Für mehr Arbeit wohnen sie umsonst. „Das Interesse daran ist groß“, sagt Thomas. Größer als er dachte.
Dem Gründer von Tom’s Fair House ist bewusst, dass er um der Ursprungsbedeutung des Wortes nachzukommen, Bio-Gemüse anbauen müsste. Aber das ist derzeit noch nicht geplant. Erhalten bleibt das Grundprinzip „Logis gegen Arbeit“, bloß die Form der Arbeit interpretiert er neu. Sie soll frei sein.
Thomas war eigentlich dabei, in Burkina Faso eine Fußballschule für Mädchen aufzubauen, doch zunächst musste nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht werden. Nach und nach entwickelte er ein Konzept. Erst mietete und verwaltete er zwei Wohnungen seiner Eltern an der Quai Finkwiller, die er später über AirBnB anbot. Im März 2014 kam dann die Wohnung an der Rue Gustave Doré dazu. Kaum eine Nacht bleibt ein Bett ungenutzt. Die meisten Gäste, die zwischen 18 und 30 Jahre alt sind, wollen Französisch lernen, viele studieren, manche arbeiten oder leben einfach in Straßburg, um den multikulturellen Austausch zu genießen. Über 40 Nationalitäten von allen Kontinenten waren, so Thomas, schon Gäste in Straßburgs Wwoofing-Hostel.
Mehr als AirBNB
„Anfangs hatte ich mit drei Wwoofern gerechnet, jetzt sind es zehn.“ Félicien kam im Sommer 2014 nach Straßburg, um Theaterwissenschaften zu studieren. Doch über Monate fand er keine Unterkunft. Die Zimmerpreise sind für den Tourismus ausgelegt und lagen deshalb nicht mehr innerhalb seines Budgets. Ein Zimmer in Straßburg kostet mittlerweile im Schnitt 449 Euro. Der Mietspiegel ist damit gleichauf mit Städten wie Hamburg oder Helsinki.
Auch die Institutionen sind mit der studentischen Wohnungsnot überfordert. Beim Crous, dem französischen Studentenhilfswerk, teilte man mit, dass sämtliche Wohnheimsplätze belegt seien. Wegen zu vielen Mitbewerbern könne man vorerst auch nicht auf die Warteliste aufgenommen werden.
Als er zunächst kurzfristig in Tom’s Fair House unterkam, organisierte Félicien mit einigen anderen Wwoofern ein Reggae-Konzert, dessen Einnahmen an Thomas‘ Projekt in Burkina Faso gingen. „Werbung machen, den Ablauf der Veranstaltung planen und dann durchführen, das kannte ich alles schon aus dem Theaterprojekt, in dem ich gearbeitet hatte. Thomas hilft mir, also macht es mir umso mehr Spaß auch etwas zurückzugeben,“ meint Félicien.
Ähnlich machten es Nuno aus Lissabon, der die Flyer und Plakate für das Konzert designte; Marina, die einmal die Woche im Wohnzimmer der Rue Gustave Doré Französisch unterrichtet oder Rafael aus Mexiko, der seinen unpersönlichen Job als Fremdenführer an den Nagel hängte, um Gastgeber in Tom’s Fair House zu sein. Die Wwoofer fänden ihre Aufgabe von ganz allein, wenn man ihnen genügend Freiheiten lässt. „Betten machen und die Apartments putzen ist eine Sache, aber wenn es zum Beispiel darum geht ein Konzert mit auf die Beine zu stellen, entwickeln manche Wwoofer eine viel größere Motivation.“
Inzwischen ist Thomas Projekt nicht mehr bloß ein gut bewertetes AirBnB - Profil, sondern eine eingetragene Nonprofit- Organisation. Auf einem eigenen Blog schreibt Thomas regelmäßig über seine Aktivitäten in Burkina Faso. Tom’s Fair House scheint wie ein Lösungsversuch in einer Stadt, in der das Bild des florierenden Tourismus die Anzeichen von sozialer Ungerechtigkeit lückenlos überdeckt. Es entwächst aus einer Nische, die Entwicklungen wie Share Economy und Soziale Netzwerke geöffnet und entscheidend vorangetrieben haben.