Steht dem Laizismus in Polen die Kreuzigung bevor?
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Bertram LangJedes Land hat seine eigene Auffassung von Laizismus. Auch wenn die Diskussion um die Burka in Frankreich nicht aufhört, die Gemüter zu erregen, so ist Frankreich bei weitem nicht das einzige europäische Land, in dem das Gleichgewicht zwischen sakraler und weltlicher Macht im öffentlichen Raum zurzeit neu definiert wird.
An den Ufern der Weichsel tobt der Laizismusstreit derzeit um Kreuze und Prozessionsfahnen.
Diese Bilder gingen um die Welt: Hunderte von Polen, die sich am Tag nach dem tragischen Tod von Lech Kaczyński unter einem acht Meter hohen Kreuz vor dem Präsidentenpalast in Warschau versammelten. So gut die Absichten der Pfadfinder, die es als Symbol des Zusammenhalts aufstellten, auch gewesen sein mögen, inzwischen hat sich dieses Kreuz zu einem echten Problem für das neue Team von Bronisław Komorowski gewandelt. Komorowski hatte es gewagt, öffentlich darüber nachzudenken, das riesige Kreuz in die Kirche der Heiligen Anna zu versetzen. Bei den darauffolgenden Demonstrationen kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern des Kreuzes. Weit über die Frage nach dem Verbleib jenes Kreuzes hinaus offenbart dieser Konflikt die Spaltung des Landes zwischen einer jungen, progressiven Generation und der alten Garde, die unter der Führung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Partei von Jaroslaw Kaczyński, A.d.R.) unbeirrt auf ihre Errungenschaften beharrt.
Der polnische Kreuzweg
Überraschenderweise ziehen nur wenige polnische Medien die Parallele zwischen diesem aktuellen „Kreuzzug“ von Warschau und jenem von Auschwitz 1999, Zeitpunkt, zu dem nach 20 Jahren Polemik die Kreuze auf dem 'größten jüdischen Friedhof der Welt' entfernt wurden. Dabei sind die Ähnlichkeiten nur zu offenkundig: Dasselbe Fehlen klarer öffentlicher Stellungnahmen, dieselbe Reaktionsträgheit, dasselbe mediale Desaster.
Bereits im Jahr 1979 hielt Papst Johannes Paul II. während seiner ersten Pilgerreise in sein Herkunftsland eine Messe im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz ab, anlässlich derer dort ein 8,6 Meter hohes Kreuz installiert wurde. Fast 10 Jahre später wurde dieses Kreuz infolge der Proteste einiger - sowohl polnischer als auch internationaler - jüdischer Organisationen auf eine an das Lager angrenzende Brachfläche versetzt, wo 152 polnische politische Gefangene von den Nazis erschossen worden waren. Da sie ein völliges Verschwinden des Kreuzes befürchteten, organisierten daraufhin die katholischen Konservativen mit dem wortgewaltigen Kazimierz Switon an der Spitze einen Hungerstreik, um den Erhalt des Kreuzes an alter Stelle durchzusetzen.
Da jedwede Reaktion von Staat und Kirche ausblieb, uferte der Konflikt weiter aus. Die Verteidiger des Kreuzes pflanzten Dutzende, bald Hunderte von kleinen Kreuzen rund um das päpstliche Kreuz. Erst eineinhalb Jahre später wurde der Streit beigelegt, indem man sich dazu entschied, das päpstliche Kreuz an Ort und Stelle zu belassen. Genau wie bei der aktuellen Debatte beschädigte dabei das mediale Unwetter das Image Polens auf der internationalen Bühne schwer, ohne dabei die Debatte über den Platz religiöser Symbole im öffentlichen Raum in irgendeiner Weise voranzubringen.
Von Kreuzen und Genitalien
Die jüngere polnische Geschichte ist reich an Beispielen, die zeigen, wie schwer es den Polen fällt, sakrale und weltliche Dinge sauber voneinander zu trennen. Unvergessen bleibt die spektakuläre Zerstörung der Skulptur Nona ora von Maurizio Catellan, die 2001 anlässlich seines hundertsten Geburtstages in der berühmten Galerie Zacheta in Warschau ausgestellt wurde. Sie stellte Papst Johannes Paul II. mit einem Kreuz in der Hand dar - erschlagen von einem Meteoriten. Witold Tomczak, Abgeordneter und einer der Führer der rechtsextremen Liga Polskich Rodzin (Liga der polnischen Familien), entschied sich, den Papst von diesem erdrückenden Gewicht des Felsens zu befreien und demolierte das Kunstwerk. „Ich habe es zerstört, weil ich den Erwartungen meiner Wähler nachkommen musste“, rechtfertigte er sich damals in der Presse. Unmittelbar darauf trat die Galeriedirektorin zurück und der Künstler zog sein Werk von der Ausstellung zurück. Kurioserweise wurde dieses 2008 in New York für die Kleinigkeit von 900.000 Dollar verkauft.
Weniger prominent als Maurizio Cattelan ist die zeitgenössische Künsterin Dorota Nieznalska, doch hat auch sie ihre Erfahrungen mit der Wut der radikalen polnischen Rechten machen müssen. Im Jahr 2002 stellt sie in der Galerie Wyspa in Danzig ein Werk aus, bei dem an der Stelle der männlichen Genitalien ein griechisch-römisches Kreuz zu sehen ist, sowie ein Video, auf dem ein Sport treibender Mann gezeigt wird. Dieses Werk mit dem Titel "Die Passion" hebt auf den doppelten Sinn des Begriffs „Passion“ ab, der abgesehen von seiner religiösen Bedeutung auch schlicht ein ausgeprägtes Interesse für eine bestimmte Aktivität bezeichnet - wie in diesem Fall für den Sport.
Voller Zorn wenden sich die katholischen Konservativen an die Justiz. Dort wird die Künstlerin zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung wegen Schmähung religiöser Symbole verurteilt, die schließlich in Sozialstunden umgewandelt werden (Sie wurde am 11. März 2010 rehabilitiert, A. d. R.). Diese Gerichtsentscheidung schockierte umso mehr, als selbst die Kirche die Ausdrucksfreiheit der Künstlerin anerkannte. „Sie wurde Opfer einer völlig haltlosen Debatte, die nur der konservativen Opposition in die Karten spielt. Viele von denen haben das Werk nie gesehen; andere haben seinen künstlerischen Anspruch vergessen“, konstatierte in einem Interview der eng mit der polnischen Künstlerszene verbundene Priester Krzysztof Niedalkowski.
Laizismus oder Laiziierung?
Nach einem sechs Monate währenden Konflikt hat das Kreuz vom Präsidentenpalast am 16. September endlich seine Zuflucht in der Kirche der Heiligen Anna gefunden. Im Gegenzug sicherte die aktuelle Regierung zu, ein Denkmal für den verstorbenen Lech Kaczyński und dessen Frau Maria zu errichten. Dennoch ist damit das Problem der Rolle und der Bedeutung religiöser Symbole in der polnischen Öffentlichkeit lange nicht gelöst. Eine jüngst von der Sejm, der polnischen Nationalversammlung, verabschiedete Resolution zur Glaubensfreiheit verschärft diese Doppeldeutigkeit noch weiter. Die Abgeordneten sind der Meinung, dass „das Kreuz kein rein religiöses Symbol ist; es steht gleichzeitig auch für die Aufopferungsbereitschaft für andere. Außerdem verweist das Kreuz auch auf die libertäre Tradition Polens, das einst ein Vorbild war in Sachen Toleranz gegenüber den anderen Nationen und Religionen.“
Ist also in Polen Laizismus gänzlich unmöglich? Für die polnische Philosophin Halina Bortnowska ist „ein moderner Staat zwangsläufig ein laizistischer Staat, denn einzig der Laizismus schafft die Bedingungen, die für die Koexistenz und Pluralität verschiedener Weltanschauungen notwendig sind“, wie sie dem Radio TOK FM erklärt, „doch Laizismus darf nicht verwechselt werden mit „Laiziierung“, das heißt sie darf nicht als Versuch verstanden werden, der Religion ihren Platz im öffentlichen Raum zu nehmen, wie es die kommunistischen Machthaber getan haben.“ Die Debatte steckt also noch in ihren Kinderschuhen.
Fotos: (cc)galio/flickr ; "Nona Ora": (cc)I M A U-M-N-B-N!/flickr
Translated from La Pologne fait-elle une croix sur la laïcité ?