Spanier in Brüssel: Wie lange bleibst du?
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Kathrin FaltermeierDie Wirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit, die die spanische Gesellschaft erschüttern, haben Tausende von jungen Menschen dazu gebracht, über die Grenzen zu ziehen und ihren Weg anderswo in Europa zu suchen. Die belgische Hauptstadt Brüssel ist für viele von ihnen zur Anlaufstelle geworden – hier kämpfen sie mit prekären, schlecht bezahlten Jobs und ohne soziale Sicherheit ums Überleben.
„Wie lange bleibst du?“, ist eine häufige Frage an viele der jungen Menschen, die auf der Suche nach einer Beschäftigung in das von ihnen als „El Dorado“ gesehene Belgien gekommen sind. Das berichten die Freundinnen Laura und Esther, die noch mehr teilen als gute und schlechte Zeiten: Beide sind junge spanische Emigrantinnen, die die Aussichtslosigkeit in ihrem Land eines Tages satt hatten und sich ins Abenteuer stürzten. Viele erklären, dass die Ankunft der Einwanderer aus den südlichen Ländern die Krise verschärft hat. Die Beiden berichten von der wachsenden Ablehnung eines Großteils der Gesellschaft: Immer wieder werden sie gefragt: „Wann gehst du?“ oder „wie lange bleibst du?“
Laura hat einen Job, der allerdings nicht ganz legal ist: „Ich arbeite in einem Restaurant; laut Vertrag 30 Stunden pro Woche. In Wirklichkeit sind es 60 Stunden und ich bekomme die Hälfte meines Gehalts in einem Umschlag.“ Schwarzarbeit scheint durchaus üblich zu sein. „Ich kenne viele, die das genauso machen“, gesteht sie. Hohe Steuern und die reichlich vorhandene Arbeitskraft aus dem Süden Europas bilden den perfekten Nährboden für viele Unternehmer. Sie bereichern sich, indem sie den Staatsfiskus umgehen und prekäre Verträge anbieten. Es ist sehr schwierig, verlässliche Zahlen zu nennen, aber Schätzungen zufolge sind rund 300.000 Menschen betroffen.
Esthers Fall ist anders. Die Krankenschwester ist seit eineinhalb Jahren in Belgien und hat einen guten Job. „Die Bedingungen sind besser als in Spanien, nicht nur wegen des Gehalts“, erklärt sie. Die Anfänge waren allerdings hart, erinnert sie sich. „Wenn du herkommst, hast du drei Monate, um einen Job zu finden. Dann bekommst du einen Brief geschickt, dass sie dich ausweisen werden“, sagt sie. Außerdem, betont sie, seien Hausbesuche der Polizei keine Seltenheit. In Ihrem Fall ist die Polizei nicht gekommen, da sie rechtzeitig Arbeit gefunden hatte. Doch die „Stadtverwaltung hatte mir angedroht, dass sie die Polizei schicken werden“. Im vergangenen Jahr erhielten 323 Spanier Räumungsklagen. Es handelt sich nicht um eine Abschiebung im eigentlichen Sinne, es ist eher eine Art „Verwaltungstod“. Das Grundprinzip der Europäischen Union des freien Verkehrs von Waren, Kapital und Arbeit ist in Bezug auf Personen, die eine Beschäftigung suchen, mehr oder weniger ausgehebelt.
Laura und Esther sind nur zwei Fälle von tausenden in der EU. Tatsächlich sind die Sprachen, die man neben Französisch und Flämisch am häufigsten in den belgischen Straßen hört, Italienisch, Griechisch, Portugiesisch und Spanisch.
Was passiert?
Es ist nicht nötig, Zahlen herunterzuleiern. Immigration ist zu einem aktuellen Phänomen im alten Europa geworden, das in der Wirtschaftskrise seinen Höhepunkt erreicht hat. In den am stärksten betroffenen Ländern der EU - Griechenland, Portugal, Italien und Spanien - schwankt die Jugendarbeitslosigkeit um die 50% und Humankapital wandert in den Norden ab. Manche sprechen von einer verlorenen Generation. Etwa acht Millionen Wanderarbeiter gäbe es in der EU, schätzt Paul Simon, Professor an der Freien Universität Brüssel (ULB). Ein Großteil dieser acht Millionen Personen befände sich in der Illegalität und sie würden ausgenutzt. Junge Menschen seien immer die abenteuerlustigsten wenn es um Auswanderung geht, so Carlos Vargas, ein Forscher an der Universität von Oxford. „Die Krise hat sich verschärft“, hebt er hervor; das führe dazu, dass viele Jobs annehmen, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. In vielen Fällen geht das mit dem Verzicht auf bestimmte Rechte einher. Mario Izquierdo, der für die Bank von Spanien arbeitet, sieht auch einen direkten Zusammenhang zwischen Krise und Auswanderung. Er stellt aber fest, dass nicht nur junge Spanier ihr Land verlassen, sondern „auch Einwanderer aus anderen Ländern, die früher nach Spanien gekommen waren.“
Lösungen
Viele junge Leute berichten, dass sie sich verloren fühlten und fordern Beistand. INTEGRABEL Emigrantinnen versucht, sie zu unterstützen. „Wir sind ein Treffpunkt - ein Ort, an dem man Kontakte knüpfen kann“, so der Hauptkoordinator, Luis Molina. Er bejaht, dass es viele Fälle gibt, in denen spanische Einwanderer „wegen der Arbeitslosigkeit quasi zur Rückkehr gezwungen“ werden, und das trotz einer guten Ausbildung und der Beherrschung mehrerer Sprachen. Die Konkurrenz schläft nicht. „Ich nenne es scherzhaft das Hollywood Europas, weil viele Menschen hierher kommen und der Wettbewerb so hart ist“, sagt er. Viele würden in die Schwarzarbeit gedrängt. Ihnen möchte Luis sagen: „Akzeptiert das nicht oder geht woandershin!“. Doch natürlich kann er die schwierige Lage, in der sich die jungen Leute befinden, nachvollziehen.
Juan López, der Zuständige für institutionelle Beziehungen der spanischen sozialistischen Arbeiterpartei PSOE (Partido Socialista Obrero Español) in Europa, kennt das Problem. Er ist der Ansicht, dass in vier Bereichen Handlungsbedarf besteht und fordert eine verbesserte Informationspolitik über und aus Spanien, eine gemeinsame europäische Einwanderungspolitik, die vereinfachte Anerkennung von Universitätsabschlüssen oder Berufsausbildungen und erweiterte Aufenthaltszeiten von 3 bis 6 Monaten in anderen Ländern in akuten Krisenzeiten.
Paul Simon für seinen Teil unterstreicht den Mangel an Informationen. Er betrachtet es als dringend, mit koordinierten Maßnahmen Druck auf die Institutionen auszuüben, um der Situation ein Ende zu bereiten. In den Europawahlen [vom Mai 2014; A.d.R.], die zudem mit den belgischen Nationalwahlen auf Bundes- und Länderebene zusammenfallen, sieht er eine Chance: „In dieser Wahlperiode können wir laut werden, und dieses Problem angehen“.
Nicht nur viele junge Menschen sind aus Spanien gekommen, sondern auch der Protest der „Indignados“ mit der Bewegung des 15. Mai. Für die Anhänger der Bewegung in Belgien sind nicht die Einwanderer das Problem, sondern die Haltung der belgischen und europäischen Behörden. Sie protestieren gegen die Möglichkeit, Bürger „administrativ tot zu machen“, wodurch Grundrechte außer Kraft gesetzt werden. So beschlossen sie als Kollektiv, eine offizielle Beschwerde bei der EU gegen die Ausweisung von EU-Bürgern aus Belgien vorzubringen. Sie hoffen, dass sich die Dinge ändern werden. „Wir wollen Bewusstsein für das Problem schaffen“, verkündet Sarah Lafuente, ein Mitglied der Gruppe. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, bekräftigt sie.
Änderungen in der komplexen europäischen Wirklichkeit zu erreichen, ist eine schwierige und langwierige Angelegenheit: Europa hat gigantische Ausmaße und bewegt sich nur langsam. Mehr Zusammenhalt unter den 28 Staaten der europäischen Gemeinschaft und die Etablierung einer effektiven und klaren Einwanderungspolitik scheinen notwendig. Inzwischen vergeht die Zeit… und in Brüssel und vielen anderen Orten hört man Stimmen der Menschen mit spanischem Akzent. Die von Laura, die in der Küche eines feinen Restaurants arbeitet; die von Esther, Krankenschwester in einem Seniorenheim; die von Manuel, einem arbeitslosen Musiker, der sein Lächeln nicht verliert und bei einem leckeren belgischen Bier und dem Rhythmus des Blues, der aus der alten Jukebox einer Bar schallt, davon träumt, es seinen Idolen gleichzutun.
DIESER ARTIKEL IST TEIL DER SPECIAL EDITION "EU-topia : Time To Vote" Brüssel, ein Projekt von CAFÉBABEL in Zusammenarbeit mit der Hippocrène Stiftung, der Europäischen Kommission, dem französischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und der Evens Stiftung.
Translated from ¿Hasta cuándo te quedas?