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Solidarität als Museumsstück

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Vor 25 Jahren leiteten Streiks auf der Danziger Werft die Öffnung des Ostblocks ein. Doch die damals geborene Gewerkschaft „Solidarnosc“ hat heute einen schweren Stand in Polen.

„21 x TAK! - SOLIDARNOSC“ - „21 x JA! – SOLIDARITÄT“ steht am Eingangstor zur Danziger Werft auf einer Steinsäule. Am 31. August 1980 wurden nach wochenlangen Streiks alle 21 Forderungen der ersten unabhängigen Gewerkschaft, geführt von Lech Walesa, von der Regierung erfüllt. Doch welche Bedeutung hat die Solidarnosc heute für die Männer hinter dem Tor?

Mariusz Dolecki war drei Jahre alt, als damals die Weichen für ein demokratisches Polen gestellt wurden. Jetzt steht er mit zwei Kollegen vor einem zehn Meter hohen, grauen Schiffsteil und baut ein Gerüst für Schweißarbeiten zusammen. Er winkt müde ab: „Die Werft ist am Ende, und daran kann auch die Solidarnosc nichts ändern.“ Tatsächlich sind von einst 9000 Werftarbeitern heute nach zahllosen Umstrukturierungen nur knapp 2000 übrig geblieben, pro Jahr werden noch fünf bis sieben Schiffe gebaut.

Verlierer der Wende

Für den 57-jährigen Elektriker Kazimierz Trawicki ist die Solidarnosc fester Bestandteil seines Lebens. Bereits 1970 hat er den Streik auf der Leninwerft miterlebt, bei dem friedliche Männer und Frauen von Panzern zusammengeschossen wurden. Trotz dieser Erfahrung ist er im August 1980 erneut aktiv geworden. „Wir haben 1980 nicht nur für uns, sondern für ganz Polen gekämpft“, sagt Trawicki stolz. Doch die Arbeiter auf der Werft gehörten zu den ersten Verlierern in der jungen polnischen Marktwirtschaft. 1996 musste die Werft Insolvenz anmelden und wurde von der Gdingener Werftgruppe als Tochterunternehmen übernommen. Für viele Arbeiter ist die polnische Demokratie eher mit Vetternwirtschaft und Ausbeutung verbunden als mit Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit. „Heute dreht sich alles nur noch ums Geld“, sagt der Gewerkschafter Trawicki, „unser Motto von früher: „Mehr Sein als Haben“, ist leider in den Hintergrund getreten.“

Sprung über die Werksmauern

Auslöser für den Streik auf der Danziger Lenin-Werft im August 1980 war die Entlassung der Kranführerin Anna Walentynowicz. Sie hatte es öffentlich gewagt, bessere Arbeitsbedingungen wie ein warmes Essen für die Belegschaft oder beheizte Werkshallen zu fordern. Gegen die Kündigung formierte sich schnell Widerstand. Mit dem berühmten Sprung über die Werksmauern setzte sich Lech Walesa an die Spitze einer Bewegung, die ganz Polen erfasste.

In einem harten 14-tägigen Kampf setzten die Streikführer 21 Forderungen gegen die polnische Regierung durch. Es begann der kontinuierliche Abstieg der kommunistischen Regierungen im gesamten Ostblock, denn noch nie war es früher gelungen, den Machthabern eine unabhängige Gewerkschaft abzuringen. Die Solidarnosc wurde zum Sammelbecken der innerstaatlichen Opposition und zählte schnell zehn Millionen Mitglieder bei nur 16 Millionen Beschäftigten in Polen. Der polnische Präsident General Wojciech Jaruzelski verhandelte zunächst, dann drängte er drängte er die Solidarnosc Ende 1981 durch die Ausrufung des Kriegsrechts in den Untergrund. Neun lange Jahre mussten die Aktivisten der Solidarnosc noch warten, bis sich ihre Anstrengungen am Runden Tisch in Warschau 1989 mit der Umwandlung des Systems vom realen Sozialismus zur pluralistischen Demokratie bezahlt machten. Lech Walesa wurde zum Präsidenten Polens gewählt, die Solidarnosc trat in die Regierung ein, spaltete sich jedoch bald in viele Gruppen auf und verlor letztlich jeden politischen Einfluss. Symptomatisch dafür war die Abwahl Lech Walesas 1995.

Mythos als Standortfaktor

Nun soll der Bewegung, die am Anfang des Falls der Diktaturen im Ostblock stand, ein Museum gebaut werden – im ehrgeizigen Projekt einer 73 Hektar großen „Jungen Stadt“ auf ehemaligem Gelände der Werft in Danzig. Am Eingang zur zukünftigen Hafencity wird das Museum stehen, von dessen Fassade ein lächelnder Lech Walesa siegessicher auf die Allee der Freiheit blickt. Dieses Lächeln soll das Geld der Investoren anlocken, sagt Roman Sebastianski, Marketingdirektor der Investitionsgesellschaft Synergia 99: „Der Mythos der Solidarnosc schwebt hier durch die Straßen.“ In den nächsten 15 bis 20 Jahren sollen in der „Jungen Stadt“ bis zu 10.000 neue Arbeitsplätze und Wohnungen für 6000 Menschen entstehen, doch das Bauprojekt auf dem Werftgelände ist immer noch heiß umstritten. Für viele läutet es den endgültigen Tod der Werft ein, mit dem sie sich nicht abfinden wollen. Wird mit der Werft nach 25 Jahren auch die Solidarnosc unter ihrem eigenen Mythos begraben? Bei den Jubiläumsfestwochen in Danzig wird dies heiß diskutiert werden, und sicherlich auch die Rolle des Mannes, der zum Symbol für den Aufstieg der Solidarnosc wurde und nun angekündigt hat, aus der Gewerkschaft austreten zu wollen: Lech Walesa.

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