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Slowakei: Eine junge Whistleblowerin schlägt Alarm

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Im Oktober des vergangenen Jahres hat das Europäische Parlament eine wichtige Resolution über die Schutzbedürftigkeit von Whistleblowern verabschiedet. Aber was genau bezeichnet dieser Begriff? Wie leben Whistleblower und was riskieren sie? Cafébabel hat Zuzana Hlávková getroffen, die den Skandal um die EU-Ratspräsidentschaft der Slowakei aufdeckte.

„Ich habe einen nationalen Skandal aufgedeckt - wer hätte das gedacht? Ich bin keine Heldin. Jeder Durchschnittsmensch kann zum Whistleblower werden. Ich mag nur einfach keine halben Sachen“, sagt Zuzana mit leiser, aber entschlossener Stimme. Sie ist bescheiden, aber in ihrem Heimatland, der Slowakei, zu einer Symbolfigur geworden, weil sie Vetternwirtschaft und Veruntreuung öffentlicher Gelder im Außenministerium während der EU-Ratspräsidentschaft der Slowakei von Juli bis Dezember 2016 bekannt gemacht hat. Ihre Aufgabe ist es nun, mit Unterstützung von Transparency International verständlich zu machen, wie wichtig Menschen wie sie für die Gesellschaft sind.

Die Slowakei steht in puncto Korruption laut Index des World Economic Forum weltweit an zweiter Stelle. Die Rangliste wird anhand der Antworten auf drei entscheidende Fragen erstellt: Wie häufig ist im betreffenden Land die Umlenkung von öffentlichen Geldern zugunsten von Unternehmen, Einzelpersonen oder Gruppen? Wie werden die ethischen Standards der Politiker im Land eingeschätzt? Wie häufig kommt es vor, dass Unternehmen nicht erfasste zusätzliche Beträge oder Schmiergelder zahlen? Zuzana Hlávkovás Fall mag im Vergleich zu brisanten Erkenntnissen wie kürzlich durch die Paradise Papers unbedeutend sein. Doch er zeigt, dass Korruption allgegenwärtig ist und dass auch ganz gewöhnliche Bürger sie anzeigen sollten.

Make Slovakia great again

Wir befinden uns in Leipzig. Zuzana hat soeben auf einer Konferenz im European Center for Press and Media Freedom von ihren Erfahrungen erzählt. Seit sie im vergangenen Jahr zu einer Whistleblowerin geworden ist, reist sie durch Europa, „auch um Menschen zu treffen, die wie ich auf Korruption aufmerksam geworden sind, aber in anderen Ländern“. Zuzana ist 27 Jahre alt, wirkt zart und ist elegant gekleidet. Sie atmet tief durch und streicht ihr kastanienbraunes Haar zurück: „Wollen wir einen Tee trinken? Die Geschichte ist recht lang ...“ Hlávková begann im Juli 2015 für das Ministerium zu arbeiten, als Expertin für Kulturveranstaltungen im Sekretariat für die EU-Ratspräsidentschaft.

Die Slowakei wurde am ersten Mai 2004 nach vier Jahren der Verhandlungen Mitglied der Europäischen Union und führte erst 2009 den Euro ein. Daneben gehören an Ländern des ehemaligen Ostblocks nur Slowenien, Estland, Lettland und Litauen zur Eurozone. Heute ist die Slowakei eine demokratische Republik mit einem parlamentarischen Mehrparteiensystem; die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im Jahr 2014 statt. Andrej Kiska ist ein pro-europäischer Präsident, der im Wahlkampf stark betont hat, wie wichtig die Slowakei für die EU ist. Er hatte auch während der halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft die Regierung inne.

„Nach meinem Abschluss in Kulturmanagement an der Universität St. Andrews in Schottland und vielen Jahren im Ausland - England, Mexiko, Spanien, Zypern - wollte ich nach Hause zurückkehren und zu einer Verbesserung des Images meines Landes beitragen. Konnte es dafür eine bessere Gelegenheit als die Vorbereitung der EU-Ratspräsidentschaft geben?“

Zu ihrem Aufgabenfeld gehörten insbesondere die Betreuung von Werbekampagnen und das neue Logo der EU-Ratspräsidentschaft. „In den ersten Monaten war die Atmosphäre sehr anregend. Wir waren ungefähr zu zehnt, sahen uns regelmäßig und nahmen in Gesprächen kein Blatt vor den Mund“, erzählt die junge Eventmanagerin. Alles änderte sich, als eine neue PR-Beraterin hinzukam.

Offene Manipulation von Ausschreibungen

Ab Herbst 2015 hielt sich eine Person ständig im Ministerium auf, die man dort vorher noch nie gesehen hatte: Zuzana Ťapáková, Chefin eines slowakischen Privatsenders. „Man hat sie uns als Medienberaterin vorgestellt und sie war ständig bei Versammlungen der oberen Etagen des Ministeriums dabei“, erzählt Hlávková. „Wir fühlten uns merkwürdig unter Druck gesetzt, als sie uns anwies, die ursprünglichen Pläne stark zu ändern und das Budget immer mehr stieg. Aktionen im kleinen Rahmen, für die wir wenig Geld eingeplant hatten, wurden zu spektakulären Happenings und völlig durchkommerzialisiert. Absurd war vor allem die Geschichte rund um die beiden Eröffnungskonzerte zur EU-Ratspräsidentschaft: Ursprünglich vorgesehen waren 63.800 Euro, nach dem Einstieg der neuen Beraterin ging es dann steil nach oben bis auf mehrere hunderttausend Euro.“ Die PR-Expertin schlug auch eine kostspielige Zeremonie zur Präsentation des Logos der Ratspräsidentschaft vor. „Ein Event, das eher wie ein Schaulaufen der Parteien als wie ein Ereignis im Interesse des Landes wirkte.“

Zuzana wird sichtlich nervös, als sie sich an die Geschichte um das Logo erinnert, die ihr noch immer auf den Nägeln brennt. „Die gesamte Abteilung war dagegen. Wir waren uns einig, dass für die Lancierung eines Logos eine einfache Pressekonferenz ausreichte und kein pompöses, aus öffentlichen Geldern finanziertes Fest nötig war. Was für eine Verschwendung!“ Nach den Weihnachtsferien kehrt Zuzana Hlávková an die Arbeit zurück und hofft auf einen Fehler, eine über Weihnachtsbäumen und Krippen vergessene Einmischung, aber sie irrt sich. „Für die Lancierung des Logos waren ohne Offenlegung der Kriterien bereits drei Agenturen ausgewählt worden, darunter die Evka im Besitz von Frau Ťapáková. Laut Text der Ausschreibung sollte die Agentur, die den Zuschlag bekam, insgesamt höchstens 162.000 Euro ausgeben. Die Evka wurde nicht nur automatisch ausgewählt - wir haben am Tag des Events auch noch erfahren, dass die Auftritte, die Miete für das Theater und die Genehmigungen vom Ministerium zusätzlich zu zahlen waren.“

Es blieb nur noch eine Woche bis zum Event - für Proteste oder auch nur eine gründliche Organisation war keine Zeit mehr. „Die Plätze wurden mit Leuten aus dem Ministerium besetzt, ansonsten wäre das Theater leer geblieben. Und wir Angestellten mussten ohne Bezahlung die Hostessen abgeben. Hätte man eine EU-Ratspräsidentschaft nicht seriöser beginnen sollen? Und warum war die Wahl gerade auf diese Agentur gefallen?“ Zuzana nahm an jenem Abend nicht an den Feierlichkeiten teil. Dies war der Moment der Entscheidung, die ihr Leben verändern sollte.

Sich selbst treu bleiben

„Normalerweise“, erklärt Zuzana, „müssen in der Slowakei bei öffentlichen Ausschreibungen die Angebote offen abgegeben werden, aber beim Logo für die EU-Ratspräsidentschaft wurde eine Ausnahme gemacht und sofort eine Agentur ausgewählt.“ Diese Unregelmäßigkeiten verstörten die junge Eventmanagerin so sehr, dass sie kündigte. Als letzten verzweifelten Schrei verfasste sie einen langen offenen Brief an Außenminister Miroslav Lajčák. „Und was hat er geantwortet?“, erzählt Zuzana empört, „Ja, bei der Zeremonie für das Logo sind ein paar Dinge schiefgegangen, aber es ist nichts Illegales vorgefallen - das hat er mir in seinem Büro gesagt. Es war ein sehr merkwürdiges Treffen, als wollte er sagen, deine Absichten sind edel, aber so läuft es nun einmal. Der Minister hat außerdem gesagt, ich könne im gleichen Bereich jede Stelle haben, die ich will.“

Der Tee ist inzwischen kalt geworden, aber wir stecken so tief in der Geschichte, dass wir ihn achtlos weiterschlürfen. „Als ich das Büro verließ, hatte ich keinerlei Hoffnung mehr; ich wusste, dass ich nichts tun konnte, nicht einmal die Polizei verständigen, denn die kann in derartigen Fällen leider nicht eingreifen. Ich hätte darauf pfeifen und mich auf mein eigenes Leben konzentrieren sollen, aber ich war so wütend und frustriert! Ich konnte meine Prinzipien nicht einfach über Bord werfen.“

Die drei Stufen des Whistleblowing

Nicht immer ist es nutzlos, rechtswidrige Aktivitäten innerhalb einer Firma oder Organisation intern anzuzeigen. Wenn es dafür einen Weg gibt, kann auf diese Weise sogar mehr erreicht werden als durch öffentliches Anprangern. Flutura Kusari ist als Rechtsanwältin für das European Centre for Press and Media Freedom in Leipzig tätig und Expertin für Whistleblowing. Ihr zufolge gibt es drei Arten von Whistleblowing: „Es kann intern geschehen, wenn eine Person innerhalb der Firma meldet, dass etwas falsch läuft. Sie berichtet zum Beispiel dem Chef von einem Fall von Korruption am unteren Ende der Hierarchie. Als zweites kommt die externe Meldung, zum Beispiel wenn jemand sich an die Polizei wendet, weil im System etwas falsch läuft. Die dritte Stufe ist der Gang an die Öffentlichkeit!“

Laut den Standards des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss jeder Whistleblower diese Reihenfolge einhalten, um Anspruch auf Schutz zu haben, d. h. er muss zunächst versuchen, die Dinge intern zu klären, sich dann an die Polizei wenden und erst zum Schluss, wenn alles andere fruchtlos war, öffentlich Anklage erheben. „Es gibt Sonderfälle, in denen Schritte übersprungen werden können“, erklärt Flutura Kusari, „zum Beispiel wenn es keine Möglichkeit gibt, Korruption im Unternehmen zu melden. Ich als Anwältin rate niemandem dazu, sich sofort an die Öffentlichkeit und die Medien zu wenden. Nie im Leben! Dafür wiegen die Konsequenzen zu schwer.“

Zuzana Hlávková hat tagelang nachgedacht und alle Möglichkeiten der Vergeltung erwogen. Sie hat geweint, sich den engsten Freunden anvertraut und mit einigen verständnisvollen Kollegen gesprochen. Dann hat sie ihre Entscheidung getroffen: „Ich war bereit, die Unregelmäßigkeiten offenzulegen, die mir aufgefallen waren. Ganz ehrlich, ich habe mich nicht als Whistleblowerin gefühlt, sondern als Bürgerin, die die Nase voll von Korruption und Schweigen hatte.“

Ein Leben im Alarmzustand

Der Sturm beginnt, der Skandal um die slowakische Ratspräsidentschaft kommt ans Licht. Zuzana wendet sich an die NGO Transparency International, die es sich schon vor Jahren zur Aufgabe gemacht hat, Whistleblower nach ihrem Gang an die Öffentlichkeit zu schützen, sie rechtlich zu beraten und im Umgang mit den Medien zu unterstützen, die manchmal Tatsachen verdrehen oder Quellen nicht angeben. „Wenn du ohne es zu wollen zum Whistleblower wirst“, berichtet Zuzana mit einem Hauch Selbstironie, „erkennen dich die Menschen auf der Straße und kennen deine Geschichte. Ich habe mit allen Mitteln versucht, meine Privatsphäre zu wahren, da mir viel daran liegt. Ich möchte nicht zu einem Star werden. Aber meine Anonymität habe ich sicherlich verloren. Dank dem Netzwerk von Transparency habe ich mich nie allein gefühlt: Ich habe mich persönlich zum Sitz von Transparency in der Slowakei begeben und sie haben sich meines Falls sofort angenommen. Du bekommst einen Anwalt und ein engmaschiges Netz zu deinem Schutz. Im Gegenzug musst du deine Geschichte als Beispiel für andere erzählen.“ Zuzana unterhält einen Blog auf der Website von Transparency, den sie mit Dokumenten, Details zu dem, was sie gesehen hat, und Ratschlägen für Menschen anreichert, die eine Meldung zu machen und bisher noch nicht den Mut gefunden haben.

Ein Whistleblower wird nicht nur plötzlich bekannt, sondern muss auch mit Angriffen rechnen. Das Klima im Land ist angespannter geworden, Premierminister Robert Fico hat die Journalistinnen, die nach den Anschuldigungen durch Hlávková um Erklärungen gebeten haben, als „schmutzige antislowakische Schlampen“ bezeichnet. „Die Regierung hat versucht, meine Anschuldigungen zu entkräften“, erzählt Zuzana, „es hieß, als Junior-Beraterin hätte ich all das gar nicht wissen können. Sie haben öffentlich alles geleugnet und mich in Interviews als Lügnerin hingestellt.“

Die Zivilgesellschaft jedoch hatte sie sofort auf ihrer Seite: „Tausende Menschen haben eine Petition unterzeichnet, um mich zu schützen, und das Wissen, Empörung ausgelöst zu haben, hat mich motiviert, weiter gegen Machtmissbrauch vorzugehen.“

Anna Myers ist die Leiterin des Whistleblowing International Network, der Organisation, die als Archiv für alle heute bekannten spektakulären Fälle von Whistleblowing von den Panama Papers bis zu den LuxLeaks, aber auch für weniger prominente Fälle wie Zuzanas dient. Sie kann mit Daten ihre Überzeugung untermauern, dass „Whistleblower die Demokratie ihres Landes sichern.“ „40 % der Fälle von Korruption“, erklärt sie, „werden von Whistleblowern öffentlich gemacht. Sie bringen unerwartete, verblüffende Fakten ans Licht: Fakten zu Korruption und Missachtung von Menschenrechten. Manchmal sind sie auch Teil der Lösung, weil sie am besten darüber Bescheid wissen, was in einer Firma oder Organisation passiert. Man könnte sie als Wächter der Demokratie bezeichnen. Wir müssen offen für das sein, was Whistleblower uns sagen wollen - sie können nicht alles allein schaffen, die Öffentlichkeit muss auch zuhören.“

Ich würde es wieder tun

Korruption ist ein Thema, das die Wähler in der Slowakei stark beschäftigt, aber kein hochrangiger Politiker wurde jemals vor Gericht gestellt. Laut einem Bericht von Transparency International sind die slowakischen Bürger in ganz Europa am wenigsten geneigt, Fälle von Korruption zu melden. Vielleicht haben sie keine Hoffnung mehr, dass sich etwas ändern kann: 41 % der slowakischen Bevölkerung sind der Meinung, ein einfacher Bürger könne gegen Korruption nichts tun.

Der Skandal um die slowakische Ratspräsidentschaft hat Steine ins Rollen gebracht. Seit Zuzana Alarm geschlagen hat, wird gegen das Supreme Audit Office ermittelt, den Obersten Rechnungshof. Auch Außenminister Lajčák hat zu Vorwürfen der Korruption Stellung beziehen müssen.

Zuzana Hlávková steht für die engagierte junge Generation in der Slowakei, die sich gegen Vetternwirtschaft einsetzt und vor Korruption in der Politik nicht die Augen verschließt. Über der Journalistenschule in Leipzig färbt die Abendsonne den Himmel rot und Zuzana entspannt sich am Ende unseres Gesprächs ein wenig: „Ich kann nicht mehr im Außenministerium arbeiten und das war schon mein Traum. Aber ich würde mich jederzeit wieder für Whistleblowing entscheiden. Man muss kein Superheld oder mutiger als andere sein. Man braucht einfach nur sehr viel Bürgersinn.“

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Translated from Corruzione in Slovacchia, storia di una lanciatrice d'allerta