Skulptour durch Europa
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Der Betrachter des 21. Jahrhunderts lobt sie in den Himmel oder verdreht entnervt die Augen: skurrile Skulpturen prägen das urbane Bild europäischer Metropolen. Panorama.
Berliner Schaukelpferd
Am Europaplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof steht ein ungestümes Ross, das so genannte "Rolling Horse" des deutschen Bildhauers Jürgen Goertz: Ähnlich einem Schaukelpferd auf einem metallenen Bogen, verweilt es in einer Pose, als würde es aus seiner Halterung schaukeln und sogleich auf die Gleise rollen wollen. Im Mai 2007 wurde das Kunstwerk - halb Pferd halb Eisenbahnrad - enthüllt und starrt nun eindringlich die vorbeieilenden Zugreisenden aus seinen stahlblauen Augen an.
Die von der Deutschen Bahn in Auftrag gegebene Skulptur war nicht unbedingt auf großen Beifall gestoßen. Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Berlins (BBK) empörte sich schon eine Woche nach der Einweihung über die "Provinzialität" der Skulptur und beschimpfte das Pferd als "Misshandlung des öffentlichen Raums".
(Foto: Lam Thuy Vo)
Müllmenschen in Barcelona
Den Plaça Reial in Barcelona zierten im Juni dieses Jahres 1000 sogenannte "Müllmenschen" aus Alltagsmüll, was sonst. Unter ihnen ist auch ein etwas erhabenerer Müllhaufen, der Ford Galaxy Man, eine aus den zerquetschten Teilen eines Ford Galaxy zusammengebastelte Skulptur. "Sie sind die rastlosen Nomaden unserer Zeit. Botschafter, die uns alle an das globale Problem des Wohlstandsmülls erinnern", sagt der Aktionskünstler HA Schult über seine Abfall-Armee. Diese hat bereits vor den ägyptischen Pyramiden, auf dem Roten Platz in Moskau, auf dem Grand Place in Brüssel, auf dem Piazza del Popolo in Rom, auf dem Roncalliplatz vor dem Kölner Dom und vor der Chinesischen Mauer Wache gestanden.
Die 1 Meter 80 großen und jeweils 6000 Euro schweren Müllmenschen reisen nach ihrem Kurzurlaub in Barcelona nach New York und sollen 2008 in die Antarktis geschickt werden, wo sie dann eisern bei Wind und Wetter haltungsvoll ihren Müllmann stehen müssen.
(Foto: Kodakhrome)
Gormleys Londoner Garde
(Foto: David Tett/ www.davidtett.com)
An der Themse entlang kann man seit Mai dieses Jahres 31 lebensgroße, aus Bronze gegossene Zinnsoldaten des britischen Künstlers Antony Gormley bestaunen. Sie stehen sowohl zum Greifen nahe auf der Waterloo-Brücke als auch kaum zu erspähen auf dem Shell-Gebäude.
Am Horizont verteilt sollen die kleinen Männer stellvertretend eine stetig wachsende Stadtbevölkerung symbolisieren. Eventuell sollte die auf die ganze Stadt verteilte Bronzegarde ihren Erschaffer aber lediglich ins Licht der Öffentlichkeit rücken: Er stellt derzeit seine Werke unter dem Titel "Blind Light" in der nahe liegenden Hayward Gallery aus.
Die Bewohner Londons scheinen sich an Gormleys Statuen wenig zu stören. Scotland Yard haben die Bronzemänner jedoch reichlich Kopfschmerzen bereitet. Nicht alle Londoner "erkennen" Gormleys künstlerische Botschaft und rufen in Panik versetzt den Polizeinotruf an, um einen angeblichen Selbstmord zu melden. Zum Glück der genervten Polizisten werden die Bronzeskulpturen ab dem 19. August, zusammen mit der Ausstellung, schon zu neuen Horizonten aufbrechen.
(Foto: David Tett/www.davidtett.com)
Prag auf den Kopf gestellt
David Cerny, Enfant Terrible aus Tschechien, provoziert mit seinen Werken sowohl Gelächter als auch Empörung. Seien es die riesigen Babies, die am Fernsehturm Prags gen Himmel klettern, ein rosafarben gestrichener Panzer oder ein über Kopf hängendes Pferd, auf dem ein hoheitlicher Reiter verkehrt herum Platz nimmt: bei dieser Auswahl fällt es schwer zu entscheiden, welche von Cernys Arbeiten die provokativste ist.
Erstaunlich ist, dass seine Werke bis vor kurzem auf wenig öffentliche Empörung gestoßen sind. Ganz im Gegenteil: die Stadtverwaltung, das Magistrat, unterstützte den Künstler gar in seinem Vorhaben eine seiner Guerilla-Kunstaktionen dauerhaft in das Prager Stadtbild zu integrieren. Im Jahre 1991 hatte Cerny in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Monument eines Sowietischen Panzers rosafarben angepinselt, um den einstigen Befreier Tschechiens im zweiten Weltkrieg als eigentlichen Unterdrücker des Landes zu entlarven. Als das Militär anrückte und dem Panzer seinen ursprünglichen Farbton zurückgab, ordnete die Stadt in Windeseile an, den Panzer wieder rosa zu bemalen.
Nur als Cerny dann 2002 einen masturbierenden Mann auf dem Nationaltheater in Szene setzen wollte, war aller Spaß vorbei: die Stadt entzog ihm jedwede Finanzmittel.