Silent Disco in Sarajevo: Allein unter Freunden
Published on
Translation by:
Delia Di CanosaIn Sarajevo gibt es einen Club ohne wummernde Musik. Im Kriterion in Sarajevo kann man sich sogar in Zimmerlautstärke auf der Tanzfläche unterhalten. Was passiert, wenn alle einen anderen Track auf den Ohren haben? Ein Tanzversuch.
Das Prinzip der Silent-Disco fand ich am Anfang sehr merkwürdig. Wozu sollte man mit Freunden in die Disco gehen, wenn jeder in seiner eigenen Parallelwelt tanzt? Können akustisch abgeschottete Menschen zusammenkommen? Zweifelnd ging ich mit meinen Freunden ins Kriterion, das direkt am Miljacka liegt, der still durch die Stadt fließt. Ein Discoabend stellte für mich immer die Möglichkeit dar, Musik mit anderen Menschen zu teilen. Ich lag aber falsch.
KOPFHÖRER AN
Direkt am Eingang bekommen wir einen schallgedämmten Drahtloskopfhörer: Das ist alles was man braucht. „Jetzt ist der Spaß ist vorbei“, denke ich. Das Kennenlernen wird nun in den Hintergrund treten, denke ich.
Doch die Interaktion spielt sich in einer Silent-Disco auf einer ganz anderen, irgendwie intensiveren, Ebene, ab. Kopfhörer auf den Schultern gehen wir auf die Bar zu, um etwas zu trinken zu holen. Wir können in normaler Lautstärke weiterplaudern. Anbrüllen, wie in einer normalen Disco, ist hier gar nicht nötig. Wir setzen die Kopfhörer wieder auf, die sich automatisch einschalten und gehen auf die Tanzfläche.
KOPFHÖRER AUS
Auf dem größten Floor legen fünf DJs gleichzeitig auf, die alle einen eigenen Kanal haben. Die Musik ist bunt gemischt und wer will kann sich in einer Gruppe dieselbe Musik anmachen. Wenn man den Kopfhörer in den Nacken rutschen lässt, herrscht dann plötzlich eine erstaunliche Ruhe. Ich drücke einfach das Ohr an den Kopfhörer meines Nachbarn, um zu hören, was er laufen hat.
Anders als in einer „normalen“ Veranstaltung, kann hier jeder für sich die Lautstärke selbst bestimmen und nicht nur passiv die laute Musik miterleben. Wer in der Silent Disco tanzende Leute sieht, ohne zu wissen, welche Musik sie gerade hören, verspürt einen starken Reiz. Arglos kann man ins Innere seiner Mitmenschen blicken.
Sobald es mir bewusst wird, dass wir alle dasselbe Gefühl teilen, fühle ich mich frei und bewege mich, als ob ich allein zu Hause in meinem Zimmer wäre.
Besser ins Kriterion
Das Kriterion unterstützt Veranstaltungen vom „Rand der Gesellschaft“. Neuerdings wird dort das Festival LGBT veranstaltet. Rechtsextreme haben bei diesem Festival drei Menschen verletzt. Das Kriterion stellt seine Räume für unabhängige Filmproduktionen zur Verfügung, organisiert Tagungen für studentische- sowie zivile Organisationen, und setzt sich für aus der Region stammende Künstlern ein.
Solche Veranstaltungen sprechen ein alternatives, urbanes und offenes Publikum an, das sich in der etablierten Welt nicht wiedererkennt. Das Programm des Kriterion zielt darauf ab, das Teamwork zu fördern, neue Arbeitserfahrung zu machen, und nicht zuletzt das Selbstwertgefühl bei jungen Bosniern zu stärken. Im Kriterion finden nicht wenige junge Leute Arbeit.
Nach Angaben der Weltbank, sind fast 58% der 15 bis 24jährigen Bosnier arbeitslos. Seinen Mitarbeitern, die ausschließlich Studenten sind, bietet das Kriterion immerhin eine vorübergehende Beschäftigung bis zum Uniabschluss an. Jeder Mitarbeiter hilft bei der Organisation mit und trägt somit zum Erfolg der Veranstaltungen bei. Im besten Fall zur Silent-Disco.
Translated from Silent Disco: la prima volta, a Sarajevo