Sexuelle Belästigung in Edinburgh: Raubtiere auf dem Campus
Published on
Translation by:
Andrea SchindelEnde 2013 wurde die Universität Edinburgh „offiziell feministisch“. Doch über welche Mittel verfügt sie im Kampf gegen sexuelle Belästigungen unter den Studenten. Zwischen lad culture, Robin Thicke und großem Unverständnis: wir waren auf dem Campus. Der Kampf ist noch nicht gewonnen.
Ende 2013 stimmte die Studentenvereinigung der Universität Edinburgh (EUSA) einstimmig für einen Antrag namens female society. Nachvollziehbar, wie einige Monate später eine Umfrage zeigte. Eine von drei befragten Studentinnen waren bereits Opfer sexueller Belästigung geworden. Die Umfrage ergab auch, dass 61% der 781 befragten Studentinnen ihr Verhalten in der Stadt geändert hätten, da sie sich nicht sicher fühlten. Diese Zahlen lassen es einem kalt den Rücken herunterlaufen. Aber warum sind die Studentinnen der Uni Edinburgh besonders betroffen? Auch wenn diese Zahlen ein grundlegendes Problem aufdecken, ist es schwer für die Frauenrechtler eine klare Ursache zu identifizieren und ihre Kommilitonen zu mobilisieren.
„Ich denke ich hatte großes Glück noch nicht Opfer sexueller Belästigung gewesen zu sein, doch es wäre naiv zu sagen, es gäbe da kein Problem“, gibt Cathrine, die 21 Jahre alt ist, zu. Sie studiert Linguistik in Edinburgh. Auf einer Couch in der Haupthalle der Universität sitzend, kommen trotzdem einige Erfahrungen hoch, die sie als Kellnerin in einem Pub um die Ecke namens „The Hive“ (dt. ‚Bienenstock‘) machte. Sie wurde dort nicht gerade wie eine Königin behandelt. „Ich kriegte anzügliche Kommentare von der anderen Seite der Theke ab. Banden von Kerlen, die sich über dein Aussehen unterhalten und sexuelle Kommentare ablassen.“ Auch von Kunden gab es bereits mehrere Beschwerden wegen Belästigungen, eine davon gab es sogar auf der Facebook-Seite des Pubs zu lesen, aber die Äußerung wurde inzwischen gelöscht.
LAD-KULTUR IN Reinform
Für die Feministinnen und Feministen, die gegen sexuelle Belästigung ankämpfen, lässt sich dieses Verhalten in zwei Worten zusammenfassen: lad culture. Ein hyper-maskulines Verhalten, das geprägt ist durch Sexismus, Homophobie und viel Alkohol. Es ist besonders verbreitet unter den jungen Studenten, insbesondere im sportlichen Umfeld von Fußball- oder Rugbyteams. Der Ausdruck lad steht für Jungs, die es für cool halten, das andere Geschlecht als Objekt zu betrachten. Ein Stereotyp, der sich leicht unter den Studenten ausmachen lässt. Natalia ist 22 Jahre alt und studiert Philosophie und Politik. Sie beschreibt diese Kultur als ein Verlangen nach „Macht“, „als ein Druck männlich aufzutreten“ der „es Männern erlaubt, sich für ihr Verhalten nicht verantwortlich zu fühlen und Missbrauch zu legitimieren“.
„Der Begriff bezeichnet ein bestimmtes Verhalten“, sagt Stacey Devine von der NUS Scotland (National Union of Students), die sich selbst als „massive Feministin“ bezeichnet. Sie bedauert die Banalisierung des „lad“- Denkens, das mehr und mehr in Facebook-Gruppen wie Uni Lad zu finden ist. Die Seite ist überschwemmt von explizit sexistischen Fotos und Witzen. „Diese Kommentare werden als harmlose Späße gesehen. Die niedrige Hemmschwelle, solche Meinungen zu vertreten zeigt, dass diese Kultur normalisiert wird. Es beeinflusst die Männer.“ Sarah Moffat gehört dem feministischen Zweig der EUSA. Sie gibt zu, dass die lad-Kultur schwer zu definieren ist. Es ist jedoch ein Verhalten, das bei den meisten gut ankommt. „Wir Feministinnen benutzen den Begriff des Patriachats, wenn wir über Sexismus reden. Wenn es allerdings um Studenten geht, ist der Begriff des lads besser geeignet und wird auf dem Campus auch sofort verstanden“, erklärt sie. Sie fügt hinzu: „Die Zahlen zeigen, dass sexuelle Belästigung besonders stark unter den Studenten auf dem Campus verbreitet ist und das liegt an dieser Kultur, die zur sexuellen Aggressivität ermuntert.“
Vor Ort während der nights out, sprechen die Fakten für sich. An einem Freitagabend wird eine große Party organisiert. Um das Ende der Klausuren zu feiern, versammeln sich Tausende. David, Organisator und Verantwortlicher für einen reibungslosen Ablauf, erzählt uns, dass jede Woche drei Beschwerden über sexuelle Belästigung aufgenommen werden. Er deutet an, dass es vor allem an den Fußball-lads liege, die „glauben sie dürften alles“.
Ernste Feministinnen, aber auch Ernstgenommene?
Die EUSA war die erste feministische Vereinigung, die das Lied Blurred Lines von Robin Thicke von einer Uni verbannte. Der Text dieses Hits aus dem Jahr 2013 stellt für Stacey Devine eine „Vergewaltigungshymne“ dar. Darin heißt es, Frauen seien „zu zähmende Tiere“, für die der Interpret etwas ausreichend Großes hätte, um „ihren Arsch in zwei zu reißen“. Obendrein steht für die Interpreten und Autoren des Songs fest: Sie „wissen, dass sie [die Frauen, Anm. d. Red.] es so wollten“. Die Ächtung des Liedes war für die EUSE, die erste feministische Studentenvereinigung im Vereinten Königreich, ein logischer Schritt, der bei den StudentInnen jedoch auf Unverständnis stieß. Ihre Meinungen zu dem Thema gehen auseinander.
„Niemand auf dem Campus hat dem viel Beachtung geschenkt“, erzählt Amy (20) Medizinstudentin, „es gibt gegenüber Frauen echt noch andere schlimmere Lieder“. Ihr Freund Oscar teilt ihre Meinung: „Alle möglichen Lieder, die auf Studentenfeiern gespielt werden, haben dieselben Texte. Das ist viel Lärm um Nichts.“ Ines (19) studiert Wirtschaftswissenschaften und denkt: „Die Studenten sind doch nicht dumm. Sie sehen, dass da was mit dem Lied nicht stimmt.“ Natalia meint dazu verärgert: „Ja, für das Verbot hätte vielleicht die Uni konsultiert werden müssen, aber es erlaubt den Studenten sich dem Ernst des Textes bewusst zu werden. Das Lied propagiert die Idee ein Nein wäre nicht wirklich ein Nein. Einfach anzunehmen, die Studenten würden da von selbst drauf kommen, wäre zu passiv. Die Gesinnung des Textes sollte ernstgenommen werden!“ Aber obwohl sie die Ideale der Feministinnen der EUSA gut findet, hält sie die Art wie sie agieren für problematisch. „Sie schlagen einen zu aggressiven Ton an, zu unpädagogisch. Das untermauert das verbreitete Bild bissiger Feministinnen.“ Sie geht daher nicht mehr zu ihren Veranstaltungen. „Ich sah darin keinen Sinn mehr.“ Auch Amy gab zu, sich nicht bei den Feministinnen engagieren zu wollen. „Sie würden mir vorwerfen, dass ich mich nicht genug einbringe, da bin ich mir sicher.“
Die Leute bilden
Dennoch denken die Feministinnen der Studentenorganisationen, dass man nur mit konkreten Aktionen gegen sexuelle Belästigung vorgehen kann. Stacey Devine (NUS Scotland) hält Bildung für die Basis aller gesellschaftlichen Veränderung. Zusammen mit der NUS Scotland bietet sie Kurse innerhalb von Universitäten an, um die Mentalität zu ändern, damit Studenten zukünftig ermutigt werden einzuschreiten, wenn sie Zeugen sexueller Belästigung werden. Außerdem soll für die Gleichwertigkeit zwischen Männern und Frauen geworben werden. Ihr Programm heißt „Get Savvy“ (dt. ‚Hab’s drauf‘) und richtet sich an beide Geschlechter. Im letzten Jahr kamen 150 Teilnehmer zu ihrem Kurs, ein Drittel davon Männer. Ihr Ziel ist, solche Kurse verpflichtend für Studienanfänger zu machen. Bis jetzt dient sie vor allem als Maßnahme bei Fehlverhalten der Studenten, wie auch Abwertungen der Noten oder Einlassverbote bei Studentenpartys.
Sahra Moffat (EUSA) ist davon überzeugt, dass diese Maßnahmen, „die effizientesten sind“, auch wenn es schwer ist „die Fortschritte zu bewerten, die es beim Thema der sexuellen Belästigung gibt“. „Seitdem die Umfrage veröffentlich wurde, ist die Zahl der Beschwerden gestiegen. Aber wir hoffen, dass das daran liegt, dass sich mehr Frauen trauen, was zu sagen und nicht an häufiger stattfindenden sexuellen Belästigungen“, erklärt sie. Für die Feministinnen kristallisiert sich das Problem der sexuellen Belästigung in der hyper-maskulinen Kultur der lads. Stacey betont: „Wir müssen deren Ansichten und die patriarchische Gesellschaft, in der wir leben, ändern“, denn „die Wahrheit ist, dass Männer mit Privilegien zur Welt kommen, die ihnen das Recht geben Frauen zu sagen, wie sie sich verhalten sollten“. Große Ambitionen, für die sie jedoch nur wenig Unterstützung von den Studierenden kriegen. Bevor die Feministinnen etwas bewegen können, müssen sie wohl erst einmal ihr Image auf dem Campus verbessern.
Dieser Artikel Über Edinburgh gehört zu einer Spezial-Reihe, die im rahmen des Projekts "Eu in Motion" MIT UNTERSTÜTZUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DER HIPPOCRÈNE-STIFTUNG von Cafebabel realisiert wurde. Demnächst werden alle Artikel der Reihe auf der Titelseite von Cafebabel erscheinen.
Translated from Harcèlement sexuel à Édimbourg : le loup sur le campus