Sexismus: „Süße Mäuse“ zeigen spitze Zähne
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Die 26-jährige Jenna Behrends wehrt sich in einem offenen Brief gegen Sexismus in der eigenen Partei (CDU) - und erfährt auch von Frauen aus den eigenen Reihen viel Gegenwind. Behrends ist nur eine von vielen Frauen, die Sexismus erleben. Wir sprachen mit einem anderen Sexismus-Opfer der Jungen Union - und schauen nach Frankreich wie Sexismus-Anklagen auch verlaufen können.
Die CDU hat ein Sexismusproblem. Das machte die junge Politikerin Jenna Behrends kürzlich in ihrem offenen Brief an die CDU bekannt, den sie im Onlinemagazin edition f veröffentlichte. Die 26-Jährige will mit ihrer Aktion auf festgefahrene sexistische Einstellungen von Politikern der Berliner CDU aufmerksam machen.
Der bekannteste Aspekt des Briefes: Behrends Beschuldigung des Berliner Innensenators Frank Henkel. Der CDU-Politiker habe sie als „süße Maus“ bezeichnet und einen Kollegen vor ihrer Nominierung gefragt: „Fickst du die?“ Dabei ist das nur ein Beispiel, das die junge Mutter in ihrem Brief liefert, um die Atmosphäre in der Partei zu verdeutlichen. Sie klagt darüber, dass „Verleumdungen, Gerüchte, Sexismus gegenüber Frauen und teilweise auch durch Frauen“ das Klima vergiften. Männer machten sie an, Frauen traten ihr misstrauisch gegenüber, bezeichneten sie als „karrieregeil“. Hinter ihren Erfolgen innerhalb der Partei vermutete man sofort, sie habe sich „hochgeschlafen“.
Anonyme Stimme
„Der Brief war richtig mutig“ findet eine Bekannte, die drei Jahre lang Mitglied der CDU und der Jungen Union, dem Jugendverband der CDU, war. Nennen wir sie Jasmin. Jasmin studiert und lebt in Süddeutschland, will aber weder ihren Wohnort noch das Studienfach in der Zeitung erwähnt sehen: Sie soll auf keinen Fall erkannt werden. Dabei hat sie keinerlei Konsequenzen zu befürchten. Sie ist schon vor einem Jahr aus der CDU ausgetreten, unter Anderem aufgrund des anhaltenden Sexismus und der schlechter Umgangsformen innerhalb der Partei.
Natürlich hat sie den Artikel gelesen, die Medienberichterstattung und die Reaktionen der CDU verfolgt. Momente, wie sie Jenna Behrends schilderte, hat sie auch erlebt: „Ich hatte dort [in der CDU und der Jungen Union, Anm. der Red.] große Probleme, habe immer darauf geachtet, was ich anziehe und musste mir viel anhören.“
Sexismus: fühlt sich erst schön an
Sexismus sei überall zu finden: Neuzugänge zur Jungen Union würden in ihrer Abwesenheit von den männlichen Mitgliedern sofort nach dem Aussehen bewertet, erzählt Jasmin. Und auf Veranstaltungen, die mit der CDU gemeinsam stattfinden „stehen die älteren männlichen Mitglieder da, zwinkern einem zu, flirten, machen Komplimente.“ Sie hat auch beobachtet und erfahren, wie Abgeordnete - „auch verheiratete Abgeordnete“, schiebt sie ein - junge Frauen anmachen und ihnen eindeutige Angebote machen.
Selbstkritisch bemerkt Jasmin, dass sie die Masche anfangs nicht bemerkte, sogar mit ihrem Verhalten dazu beitrug: „Wenn du in die Junge Union kommst, dann wirst du auf all den Wein- und Bierfesten erstmal von etwa 50 Männern belagert. Es herrscht gute Stimmung, sie machen Witze. Und wenn du 16 Jahre alt bist und unerfahren, dann freust du dich darüber, dass alle auf dich stehen und machst mit. Ich habe anfangs gar nicht bemerkt, dass die Witze voll sexistisch und moralisch nicht richtig sind.“
… und zeigt dann seine hässlichen Seiten
Selbst wenn dieser Reflexionsprozess einsetzt, fällt es dennoch schwer, Abstand zu halten und Grenzen zu ziehen: „Es ist halt so, dass du als prüde und langweilig giltst, wenn du über solche Witze nicht mitlachst.“
Bekleidet eine Frau aber einen Posten, oder kandidiert sie für ein Amt, „dann wird sie schnell als Schlampe abgetan, oder man sagt ihr nach und es fallen so Sprüche wie `die hat ja schon den halben Kreisverband durch'“, erzählt Jasmin. Darüber schrieb auch Behrends in ihrem Brief: Es werden „aktiv Gerüchte über meine angeblichen Affären verbreitetet“.
Öffentliche Reaktionen
Dem Brief von Jenna Behrends wurde viel Aufmerksamkeit entgegen gebracht. Der beschuldigte Innensenator schrieb: „Ich bin verwundert und auch ein bisschen enttäuscht über Inhalt und Stil dieses offenen Briefes.“ Er dementiert die Vorwürfe nicht und schiebt ein Angebot hinterher, das von Transparenz und Offenheit zeugen soll: „Wenn sich Frau Behrends mit mir austauschen will, dann steht ihr meine Tür wie jedem anderen Mitglied meines Kreisverbandes für ein Gespräch offen.“ Die CDU- Bezirksstadträtin von Berlin, Cerstin Richter-Kotowski nahm Henkel in Schutz: „Ich bin seit meinem sechzehnten Lebensjahr in der CDU und ich habe so etwas noch nie erlebt. Auch von Frank Henkel habe ich solche Sprüche nie gehört.“
Während CDU-Frauen wie Richter-Kotowski noch am selben Tag steif und fest vor laufender Kamera behaupteten, Sexismus nie angetroffen zu haben, war der CDU-Generalsekräter Peter Tauber einen Schritt weiter: „Geschichten wie diese bekomme ich immer wieder geschildert.“ Aber gerade auch gegen Tauber werden Mobbing- und Sexismusvorwürfe erhoben.
Am Besten spiegeln die Situation wohl ein paar Kommentare wieder, die unter einem Beitrag des Berliner Radios rbb über Jenna Behrends zu finden sind. Was Sexismus genau bedeutet scheinen sie nicht zu verstehen – oder nicht wahr haben zu wollen:
Keine Hilfe von Seiten der Frauen
Dass es vor allem auch die Frauen waren, die Behrends in den Rücken fielen, verwundert Jasmin nicht. Innerhalb der Frauenunion gäbe es „viel mehr Stress als in der Partei selbst“. Das erklärt Jasmin wieder über den Sexismus: Tritt eine junge Frau in die Partei ein, fällt sie erst auf das Verhalten der Männer rein und freut sich, „dass sie mit ihren Reizen viel erreichen kann“. Frauen, die schon länger dabei sind, und das Spiel durchschauen, sehen das Verhalten der Neuzugänge kritisch und verpassen ihnen schnell mal den Titel 'Schlampe'.
Ich bin schockiert von „den persönlichen Angriffen, die mit der ganzen Sachfrage nichts mehr zu tun haben und nur dem dienen, mich unglaubwürdig erscheinen zu lassen - und, man kann es so hart formulieren - mich zu vernichten“, sagte Behrends dem rbb. „Das Jenna Behrends jetzt so hart angegriffen wird, war klar“, schätzt Jasmin die Lage ein: „Jemand, der in einer Position war wie sie, hat sicher noch viel mehr erlebt. Die soll jetzt mundtot gemacht werden, damit sie nichts mehr sagt.“
Zusammenhalt gegen Sexismus in Frankreich
Während sich im Fall von Jenna Behrends die Frauen zerstreiten, hielten sie bei einem ähnlichen Fall in Frankreich zusammen: Im Mai dieses Jahres protestierten Politikerinnen gegen anzügliche Bemerkungen und sexuelle Belästigungen des Grünen-Abgeordneten Denis Baupin. Baupin, der auch Vizepräsident der französischen Nationalversammlung war, soll tagtäglich SMS an Abgeordnete geschickt haben, mit Inhalten wie „Ich mag es, wenn du deine Beine so übereinander schlägst“ bis hin zu „Es turnt mich an, wenn du dich mir widersetzt“, und den Frauen bei Treffen des Öfteren vorgeschlagen haben, mit ihm in eine Sexbeziehung einzugehen. Die Grünen-Politikerin Elen Debost soll etwa 100 solcher SMS empfangen haben. Ihre Parteikollegin Sandrine Rousseau, eine 44-jährige Wirtschaftswissenschaftlern, berichtete, dass er sie nach einem Treffen im Gang in die Ecke gedrängt habe, ihre Brüste berührte und sie nötigte, ihn zu küssen.
Als Baupin auf Twitter ein Selfie gepostet hatte, auf dem er mit rotem Lippenstift posierte, das er mit der Behauptung betitelte, er setze sich so für die Rechte der Frauen ein, setzte Rousseau dem Schweigen ein Ende: Sie machte ihren Fall publik - und erhielt sofort Unterstützung von sieben weiteren Frauen, die den Politiker ebenfalls des Sexismus beschuldigten. Baupin trieb es weiter auf die Spitze: Er sprach von einem „Verführungsspiel“. Den Frauen platzte der Kragen: Sie reichten Klage vor Gericht ein.
Zähne zeigen und beißen
Jasmin glaubt nicht, dass die Diskussion in der CDU nun etwas ändern wird. Zu tiefgreifend seien die Strukturen und zu konservativ und zutiefst sexistisch eingestellt selbst die pubertierenden 16-Jährigen, die in die Junge Union aufgenommen werden. Aber Jenna hat Recht, wenn sie schreibt: „Politik ist zu wichtig, um sie hauptsächlich alten Männern zu überlassen.“ So bleibt nur zu hoffen, dass es noch viele „süße Mäuse“ geben wird, die von spitzen Zähnen oder scharfen Zungen Gebrauch machen. Vor allem aber müssen sie sich zusammenreißen und beim nächsten Mal dem französischen Beispiel folgen.