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Sex, Sartre & Rock n'Roll

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Kultur

Wer sich zur Pariser Premiere des Stücks Geschlossene Gesellschaft (Huis clos) von Jean Paul Sartre (1944) letzten Mittwoch im Theater Lucernaire auf einen langwierigen, steifen und geschichtsbezogen Abend eingestellt hatte, war an der falschen Adresse.

Der französische Regisseur Vladimir Steyaert überrascht das durchaus junge Publikum mit einer zeitbezogenen, ironisch-ernsten Version des Klassikers, bei der eine internationale Besetzung natürlich nicht fehlen darf.

Comédie Saint Etienne mit dem Regisseur Vladimir SteyaertMit 200 Sachen auf geradem Weg in die Hölle. An den 'Highway to hell' denkt man beim Betreten der obersten Etage des Theaters Lucernaire sicherlich an letzter Stelle. Vor allem, wenn man einen Raum mit 3 weißen Sofas und edlen Kronleuchtern betritt. Ganz klare Sache: der Schein trügt! Denn bekanntlich findet das berühmteste Stück Sartres in der Hölle statt. Garcin, Inès und Estelle finden sich, einer nach dem anderen, in der Hölle wieder. Das ewige Wachbleiben und Zusammen'leben' auf engstem Raum bringt sie an ihre Grenzen, bis sie schließlich ihre Schwächen zugeben und einsehen, dass nicht der Ort, sondern die Mitmenschen die Hölle sind. Soweit so gut.

In der Pariser Inszenierung wird die Verwirrung des Zuschauers durch den Auftritt des Teufels in weißem Flanell-Strasssteinchen-Bademantel und stylischer Ray Ban Clubmaster Sonnenbrille auf die Spitze getrieben, unterstrichen mit Rockmusik à la AC/DC und neongrünem Licht. Die Hölle ein Nachtclub? Dann bin ich auch dabei! Doch ob man will oder nicht, man befindet sich nicht nur bereits dort, sondern auch noch mittendrin im Geschehen, sodass dem Zuschauer schonmal der ein oder andere Stofffetzen um die Ohren fliegt.

Sartre - cooler Typ

Tontechniker Fabrice Drevet, Mitglied der Comédie Saint-Etienne (das 1947 in Saint-Etienne gegründete Theater zählt zu einen der ersten nationalen dramaturgischen Zentren Frankreichs),  hinterlegt das komplette Stück mit einem eintönigen Geräusch, welches das Unwohlsein des höllischen Ortes betont. Die sowohl zu Beginn als auch am Ende dröhnenden „Hells bells“ geben einen rockigen und satanischen Touch – dem jungen Theaterpublikum gefällts.

„In dem Theatermilieu, in dem ich mich befinde, ist Sartre echt ‘ne alte Schachtel, einfach aus der Mode gekommen. Die Sprache Sartres ist schlecht gealtert. Wir haben versucht das Problem des Dialogs zu bewältigen, denn 3 weiße Sofas rufen schnell den Eindruck einer Diskussionsrunde hervor, wobei dies überhaupt nicht der Fall ist. Es geht um Theater, es ist ein gesprächiges, wenn nicht sogar erotisches Stück“ , erklärt der Regisseur zu gutem Recht. Sein Sartre ist zeitlos, der Regisseur entfernt sich von der klassischen und formgebundenen Vision Jean Paul Sartres. „In Saint Etienne haben wir einige Male vor Schülern gespielt, um ihre Reaktion zu sehen. Und in der Tat hat sie das Stück angesprochen. Natürlich wurde es lauter, sobald sich die Schauspieler auszogen. Aber sie waren richtig gut dabei, das hätte ich nicht unbedingt erwartet.“ Kein Wunder, denn neben der Hölle werden auch die Szenen immer heißer.

Die Hölle ein Melting-Pot?

Internationale Besetzung aus Rumänien, Tongo, Kroatien, Deutschland. Hier: Garcin, Inès und Estelle.Durch die internationale Besetzung der Schauspieler aus dem Togo, Rumänien, Kroatien und Deutschland und ihren natürlichen Akzent baut der Zuschauer automatisch eine Beziehung zum Geschehen auf. So betritt er auch die gleiche Tür wie die Schauspieler – aber Vorsicht, das ist nichts für Klaustrophobiker. Wie sollte es auch anders sein bei einer „Geschlossenen Gesellschaft“.

„Die französische Sprache ist nicht einfach. Ich hab es in der Schule gelernt, habe aber nie in Frankreich gewohnt. Seit September bin ich nun hier“

Vladimir Streyaert hat bereits mit Roger Atikpo, diesmal Darsteller des Garcin, gearbeitet und gibt zu, dass die internationale Zusammenstellung nicht unbedingt geplant war. Die Schauspieler sind ihm von der Comédie Saint-Etienne zugeteilt worden, was sich - trotz anfänglicher Sprachbarrieren - als sehr vorteilhaft herausstellte. „Die französische Sprache ist nicht einfach. Ich habe sie in der Schule gelernt, aber nie in Frankreich gewohnt. Seit September bin ich nun hier“, gibt die rumänische Schauspielerin Adela Minae, Darstellerin der Estelle, ganz offen zu. Hut ab, denn die Rollen sind nicht nur sprachlich, sondern auch physisch eine Herausforderung. Die gute Stimmung im Team ist auch auf der Bühne bemerkbar. Die Harmonie unter den Darstellern trotz der verschiedenen Ursprünge wird nicht der einzige Grund sein, warum Minae beteuert das Stück „für immer“ spielen zu wollen.

Zeitweilige Ausraster und Einwürfe in Originalsprache der Schauspieler zeigen die Authentizität der Darbietung und projizieren den Zuschauer in eine andere Welt, Lacher inklusive. Mit der steigenden Temperatur, das fast einzige Indiz des klassischen Höllenbildes, entblößen sich die Schauspieler im wahrsten Sinne des Wortes. Mit verschmierter Schminke, heruntergerissenen Klamotten und zerzaustem Haar kommt schließlich auch ihr wahres Ich zum Vorschein. Der Schein des Ortes trügt,„die Hölle, das sind die anderen“ !

Fotos: Titelbild (cc)lord marmalade/flickr; Im Text ©Pôle Presse