Sevilla, Europas Capital del Hip Hop
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Sevilla und Flamenco, das gehört zusammen wie Don Quijote und Sancho Pansa. Aber die andalusische Stadt hat sich auch den Ruf als Hip-Hop-Hauptstadt erworben, als sich in den neunziger Jahren mit Bands wie SFDK das neue Genre des spanischsprachigen Hip Hops in Hochhausvierteln wie Pino Montano etablierte. Heute ist das Viertel, das einst als „die Bronx Sevillas“ galt, eher gediegen.
Hip Hop findet mittlerweile woanders statt und ist weit mehr, als nur Musik und Rap.
Sara hat Feierabend, doch während ihre Kollegen sich auf einen Aperitif treffen, hat die Italienerin anderes im Sinn. Schnell in ein bequemeres T-Shirt geschlüpft, das lilafarbene Käppi aufgesetzt und keine halbe Stunde später kann man sie in einer zugigen Geschäftspassage dabei beobachten, wie sie Breakdancefiguren wie die Windmill, den Chair Freeze oder den 6-Step übt.
In einer losen Gruppe von ungefähr zwanzig Tänzern trifft sie sich mehrmals in der Woche, um zu breakdancen - nach dem gleichen Ritual wie zu den Entstehungszeiten in den späten siebziger Jahren in New York. Sara ist die einzige Frau in der Crew. Zudem ist sie gerade erst vor kurzem aus Mailand hierhergezogen. Trotzdem hat sie sich sofort gut aufgenommen gefühlt. „Überall wohin ich gehe, mache ich Breakdance. Es ist egal, woher Du kommst, Du wirst hier akzeptiert.“ In einer kurzen Verschnaufpause redet sie mit ihrer ungarischen Freundin Dori, die gerade zu Besuch ist auf Russisch, denn kennen gelernt haben sich beide bei einem Praktikum in Moskau.
Zusammen mit Cristina aus Portugal bewundert sie die Powermoves, wie zum Beispiel von Yobani, dem Halbkubaner, der sich so wahnsinnig schnell dreht, dass alle Fotos von ihm verwackelt sind. Aus den Youngstern heraus sticht Bboy Fini, der eigentlich Finizio heißt, einen italienischen Vater und eine andalusische Mutter hat und von sich selbst sagt: „Ich bin der Opa für die Boys“. Dass er über 40 sein soll, mag man dennoch kaum glauben, wenn man sieht, wie geschmeidig er sich bewegt und mit welcher Hingabe er sich dem Tanzen widmet.
DU bist Hip Hop
Er ist tatsächlich sowas wie der Pate der Sevillaner Hip-Hop Bewegung, hat er doch das erste Grafitti Sevillas gesprayt. Das „erschte“ sagt Fini, denn als Jugendlicher hat er mit seiner Familie ein paar Jahre in Augsburg gelebt, und seit damals spricht er deutsch mit bayerischem Akzent. Seit er 14 ist, widmet er sein Leben dem Hip Hop. In seiner Wohnung hat er ein Zimmer, das mit Platten, Filmen, Postern und sonstigen Memorabilia vollgestopft ist. „Ein richtiges kleines Hip-Hop-Museum,“ wie er nicht ohne Stolz erzählt.
Zehn Jahre lang hatte er mit dem Tanzen ausgesetzt, weil er sich mit seiner Veranstaltungsfirma etablieren wollte, doch dann hat es ihn wieder gepackt. „Ich hatte etwas Sorge, was meine Frau wohl sagen würde, wenn ich ihr erzähle, dass ich wieder tanzen will.“ Elisabeth hatte kein Problem damit - zum Dank hat sich Fini ein Tattoo mit ihrem Namen auf seinem Unterarm stechen lassen. Wenn Fini an der Uni Vorträge zum Thema Hip-Hop-Kultur hält, muss er die falsche Vorstellung, dass Hip Hop nur Musik ist, aus dem Weg räumen. „Hip Hop ist viel mehr, Hip Hop ist Breakdance, ist Graffitti, ist DJing und so weiter...“ „DU bist Hip Hop!“ sagt Sara, und da grinst Fini zufrieden.
No-Go-Area Torreblanca: Besser als ihr Ruf
Ortswechsel. Eine halbe Stunde muss man mit dem Bus Richtung Nordosten fahren, um zum Kongresszentrum zu kommen. Eine etwas trostlose Gegend mit ein paar Schnellrestaurants, einem Supermarkt und einem Café, wo ich mit dem Rapper Rabem verabredet bin. Iván González, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, bringt seinen Kollegen K-PO mit, und beide erzählen, ganz rapperuntypisch bei einer Cola light und einem Milchkaffee, von ihrem Werdegang in Torreblanca, einem berühmt-berüchtigten Hochhausviertel Sevillas.
Angefangen hat alles im Jahr 2002, als der 14-jährige Iván die amerikanischen Hip-Hop-Superstars LL Cool J, 50 Cent und Eminem auf dem Musiksender MTV entdeckt. Er fängt an, selber zu schreiben, um seine Erfahrungen in einer Gegend, die unter Sevillanern als marginal und gefährlich beschrieben wird, zu verarbeiten. „Das war wie eine Therapie für mich. In meinen Lyrics reflektiere ich das, was ich jeden Tag erlebe. Klar gibt es hier Drogen und Gewalt, aber nicht überall. Das Viertel ist viel besser als sein Ruf“.
Tatsächlich wird seitens der Stadt einiges unternommen, um Torreblanca etwas von seinem zweifelhaften Ruhm als No-Go-Area zu nehmen. Beim Stadtteilfest Torrerock war es auch, wo Rabem seinen ersten Live-Auftritt hatte. Spätestens ab da war auch seine Mutter zufrieden, als sie merkte, dass ihr Sohn eben nicht nur Flausen im Kopf, sondern auch Talent hatte und es viele Leute gab, die ihm beim Rappen zuhören wollten.
Mama und Lyrics mit jeder Menge Wut
Neben den amerikanischen Hip-Hop-Vorbildern hat es Rabem vor allem Vico C, ein Rapper mit puertorikanischen Wurzeln, angetan. „Der lateinamerikanische Hip Hop ist anders,“ stimmt ihm K-PO zu, da fließt vieles zusammen: Reggaeton, Jazz, Funk und Salsa. Diesen interkulturellen Dialog wollen auch die beiden Nachwuchsrapper nutzen, sie haben erst vor kurzem beschlossen, sich unter dem Namen 9 milimetros zusammenzutun und von nun an gemeinsam Musik zu machen.
Wie das klingt, das zeigen sie mir beim anschließenden Cruisen durch Sevillas Randviertel. Das kurze, mulmige Gefühl beim Einsteigen in das Auto eines (Gangster-?)Rappers vergeht schnell und spätestens ab dann, als Rabem mir den Song vorspielt, den er seiner Mutter gewidmet hat. In seinen Texten ist viel von „lucha“ („Kampf“) die Rede; es wird klar, dass er es nicht immer einfach hatte und dass die Musik ihm geholfen hat, nicht so zu enden wie einige andere aus Torreblanca: „No tengo dinero, solo letras con furia“ („Ich habe kein Geld, nur Lyrics mit jeder Menge Wut“). Seine Mama hat er trotzdem lieb.
Freundlich winken wir uns zum Abschied, als ich am Ufer des Guadalquivir die vielen Graffitis erblicke, die Sevilla, neben der Musik, den Ruf als „Hauptstadt des Hip Hop“ eingebracht haben. Der amerikanische Fotograf Brian Miller ist ein Bewunderer der gesprayten Kunstwerke und präsentiert sie in seinem Blog. „Eigentlich sind diese Graffitis nicht legal, aber ich habe oft die Polizei vorbeilaufen sehen, ohne dass es sie gekümmert hätte, wenn jemand gesprayt hat“. Die Stadt scheint ein recht positives Verhältnis zur Hip Hop-Kultur zu haben. Das sieht man auch an den vielen Glascontainern, die, ganz offiziell, mit der Sprühdose verschönert werden durften. Ganz schön phät, dieses Sevilla!
Dieser Artikel ist Teil der cafebabel.com Reportagereihe MULTIKULTI on the ground 2012. Vielen Dank an das cafebabel.com Localteam in Sevilla.
Illustrationen: Teaserbild (cc)Rohan Reid/flickr; Sara ©SW; 1985 Freeze Rockers ©Mit freundlicher Genehmigung von Bboy Fini; Video (cc)AbismoRecords/YouTube