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Semesterferien auf Guatemaltekisch
Published on October 9, 2009
Bevor der Prüfungsstress und weitere Ernst des Lebens losgehen sollte, macht sich eine deutsche Studentin mit Fernweh und ein paar Brocken Spanisch auf den Weg nach Guatemala. Bericht in Bildern.
Nach 13 Hausarbeiten, mehreren HiWi-Jobs und sieben Semestern Musikwissenschaft in stickigen Hörsälen kam im Winter die Befreiung: Endlich scheinfrei! Ich brauchte dringend Abstand.
Ein Bekannter sprach zufällig von einer katholischen Glaubensgemeinschaft namens Institut St. Bonifatius . Sie bereitet regelmäßig junge Menschen - keineswegs nur Katholiken - auf Freiwilligendienste in 16 europäischen Ländern, in Ruanda, der Demokratischen Republik Kongo und Guatemala vor.
Der persönliche Bericht von Mechthild Annegret Laumann, Leiterin der Gemeinschaft, zum Reichtum der dortigen Maya-Kultur sowie auch zu 36 Jahren Bürgerkrieg, bis heute massiv unterernährten Kindern, der Analphabetenrate von rund 40%, Korruption und täglich bewaffneten Überfällen, war genauso schockierend wie fesselnd.
Südlich von Mexiko gelegen gilt Guatemala als einer der gefährlichsten Drogenumschlagspunkte zwischen den USA und Südamerika.
Ohne zu wissen, was mich im Detail erwartete, sagte ich an diesem Tag einfach zu, meine nächsten Semesterferien in Guatemala zu verbringen, einem Land, das ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal geographisch präzise verorten konnte. Lediglich um den Flug und die - für europäische Verhältnisse - nötigste medizinische Vorsorge durch Impfungen gegen Hepatitis A, Tetanus und Diphtherie musste ich mich im Vorfeld kümmern.
Bei freier Kost und Logis konnte ich in der guatemaltekischen Glaubensgemeinschaft wohnen. Also kratzte ich mein Erspartes zusammen und flog für rund 900 Euro und knapp drei Monate nach Guatemala. Mein letztes spanisches Wort lag damals vier Jahre zurück.
Die erste Nacht blieb ich in der Hauptstation der Glaubensgemeinschaft in Guatemala Stadt, die sich direkt in der Gefahrenzone Nr. 1 befindet. Alle Fenster sind dort vergittert, ab 18 Uhr verlassen nur noch Kriminelle oder Leichtsinnige das Haus, vor als Taxifahrer getarnten Verbrechern sollte man sich hüten.
Das Haus der Gemeinschaft ist groß und besitzt einen kleinen Garten mit saftigem Grün im Inneren, den man von außen nicht erwarten würde. Nur das Schild „busca la paz y corre tras ella“ an der Außenwand deutet darauf hin: „Suche den Frieden und jage ihm nach.“ Oft genug wird dieses Haus zum Zufluchtsort für junge misshandelte Mädchen, die einmal hoffnungsvoll aus der Provinz in die Hauptstadt kamen, um ihre Familien vom Lohn als Dienstmädchen in Guatemala Stadt zu ernähren.
Die durchsichtige Kaffeebrühe, die es am nächsten Morgen zum Frühstück gab, wird aus den Resten der ins Ausland exportierten Kaffeebohnen aufgegossen - und von Guatemalteken normalerweise mit geschätzten fünf Suppenlöffeln Zucker pro Tasse gesüßt.
Gegen Mittag ging es mit Schwester Rutila Hernández, extra im Jeep der Gemeinschaft angereist, in eine Zweigstelle der Gemeinschaft ins östliche Hochland, wo ich bei sieben Schwestern leben sollte. Schon nach zehn Minuten dieser Fahrt durch die Serpentinen Guatemalas musste ich mich übergeben - ein grandioser Auftakt! Rutila lachte mich herzlich aus.
Mein Tag begann um 5 Uhr 30 und endete um 22 Uhr. Morgens, mittags und abends wurde gebetet. Den Tag über packte ich überall dort mit an, wo gerade Hilfe gebraucht wurde.
Haushaltsarbeiten gehörten genauso dazu wie der Empfang Hilfe suchender Menschen. Oft waren sie stundenlang zu Fuß gelaufen, um mit jemandem aus der Gemeinschaft sprechen zu können.
Besonders bewegend waren die wöchentlichen Besuche der ärmsten Bergdörfer Guatemalas. Oft luden uns die Bewohner zum Essen ein, das sie über offenen Feuerstellen kochten.
Ich schwor mir, angesichts der überwältigenden Gastfreundschaft der Menschen keinerlei Ausnahmewünsche für meinen „europäischen Magen“ zu äußern, und tatsächlich bereiteten mir Tortillas, Reis und frijol, schwarze Bohnen, erstaunlich selten Probleme.
Ohnehin wog das Zusammensein mit den Menschen vieles wieder auf. Manchmal rührte ich im Kreis der Dorfbewohner in großen Bottichen Shampoo an, dessen Zutaten gesammelte Blüten und eine aus Spendengeldern der Glaubensgemeinschaft finanzierte Seifenbasis waren.
Dann bastelte ich in Windeseile 80 Osterkerzen, die eine Freudenwelle nach sich zogen, wie ich sie bis dahin nie erlebt hatte.
Schwer war es, die Sorgen allein stehender Mütter mit bis zu zehn hungrigen Kindern zu hören. Sie gehen meistens nicht zur Schule, mehrfach waren die Väter vor den Augen ihrer Familie getötet worden.
Und was sollte ich, 22 Jahre alt und bisher weitestgehend auf der sonnigen Seite des Lebens, dazu überhaupt sagen? Meistens konnte ich nur zuhören und schweigen.
Einmal besuchten wir ein Bergdorf, in dem die Kinder verängstigt vor mir wegliefen. Später erfuhr ich, dass dort schon mehrfach Weiße angehalten und einfach Kinder mitgenommen hatten.
Umso mehr schien es mitten unter den Menschen darum zu gehen, solidarisch miteinander zu leben. Die Osterwoche verbrachte ich darum in einem Bergdorf ohne fließendes Wasser.
Nachts wurde mein Schlafplatz von guatemaltekischen Familienvätern bewacht. Als sie amüsiert feststellten, dass ich für ihr aus Holz und Bindfäden gebautes Bett zu groß sei, holten sie kurzerhand eine Hängematte herbei, die sie in ihrer Kirche, einem Gebetsraum aus Holz, Lehm und Ziegeln, aufhängten.
Duschen konnten wir bei einer gastfreundlichen Familie morgens zwischen fünf und halb sechs, nur dann sprudelte zwischen einem Pferd und ein paar Hühnern eiskaltes Wasser aus einem kleinen Hahn.
Meistens wollten die Menschen, deren Leben ich für ein paar Wochen teilen durfte, wissen, wie weit „mein Land“ entfernt sei, welche Sprache man dort spreche, ob alle dort so groß gewachsen seien wie ich. Selbst auf das Wort „Musikwissenschaft“ reagierte in Guatemala niemand mit gerümpfter Nase, sondern man brachte mir offenes Interesse entgegen.
„Was für ein Luxus, sowas würde ich auch gerne machen“, sagte mir Señor López. Er hatte sein Dorf Huisiltepeque noch nie verlassen, besaß keine Schuhe und saß in seinem Klappstuhl vor seinem Haus, wo er die Flugzeuge am Himmel beobachtete. Als ich vorbeiging, rief er mir zu, ich solle ihm doch eine Weile von meinem Leben außerhalb Guatemalas erzählen.
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