Seenotrettung auf der Sea Watch: Flüchtlinge voraus!
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587 Menschen hat die Sea Watch bis heute in Eigenregie aus dem Mittelmeer retten können. Nach Startschwierigkeiten war es der Crew letzte Woche gelungen, mit ihrem Privatboot Flüchtlinge sicher nach Europa zu bringen. Ruben Neugebauer war selbst 2 Wochen lang an Bord. Zurück in Berlin, kommentiert der Journalist die ersten Rettungsaktionen und die Untätigkeit der EU in der Migrationspolitik.
cafébabel: Was geht einem durch den Kopf, wenn man seine Mission tatsächlich umgesetzt hat, mit einem zivilen Boot Menschen aus dem Mittelmeer zu fischen?
Zum Einen ist da natürlich die große Freude. Am 8. Juli haben wir das erste Boot mit Flüchtlingen aufgespürt. 98 Personen konnten gerettet werden. Mittlerweile sind wir 6 erfolgreiche Einsätze gefahren. Es ist eine Erleichterung zu sehen, dass das Einsatzkonzept der Sea Watch aufgeht. Es war ja im Prinzip auch ein Stück weit ein Experiment. Die Boote, die wir gefunden haben, hatten kein Satellitentelefon an Bord. Wir haben sie nur durch unsere Patrouillenfahrt aufspüren können. Zeitweise sind wir das einzige zivile Schiff in der Gegend. Die Anderen, etwa MOAS oder Ärzte ohne Grenzen, waren zu dem Zeitpunkt gerade voll und auf dem Weg nach Sizilien. Für manches Boot ist es Glück, dass die Sea Watch vor Ort war. Gleichzeitig stimmt es einen nachdenklich. Denn es bedeutet natürlich, dass sich Menschen dort ständig in Lebensgefahr befinden. Wir können als Sea Watch zwar Leute retten, aber wir können nicht die Situation dort lösen.
cafébabel: Und wer kann die Situation dort lösen?
Eigentlich bräuchte man legale Einreisewege für diese Menschen. Wir haben bisher alle Boote knapp 24 Meilen vor Libyen gefunden. Sie waren in einem desolaten Zustand. Libyen ist Bürgerkriegsland. Was innerhalb der 24 Meilen abgeht, weiß keiner von uns. Wir sind sehr froh über die Rettungsaktionen, die stattgefunden haben. Aber gleichzeitig zeigt jeder dieser Fälle, dass dringender Handlungsbedarf seitens der EU besteht. Es kann jedes Mal zur Tragödie kommen. Das Boot, das wir heute gefunden haben, war schon 2 Tage auf See. Bei dem ersten Boot, das wir gefunden haben, hatte sich eine Person an Bord das Bein gebrochen. Das ist wahrscheinlich beim Einsteigen passiert. Es sind oft viele Menschen an Bord, die nicht schwimmen können. Jedes dieser Boote ist voll mit Menschen, die sich in akuter Lebensgefahr befinden. Das rüttelt uns auf. Und wir hoffen, dass es auch andere aufrütteln kann.
cafébabel: Wie steckt ihr solche Erlebnisse menschlich weg?
Sea Watch ist zwar ein ehrenamtliches Privatprojekt, an Bord befinden sich aber durchaus Profis. Beim aktuellen Einsatz wird die medizinische Crew von Frank Dörner geleitet, dem ehemaligen Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen. Viele Crewmitglieder waren schon in Krisen- oder Katastropheneinsätzen tätig. Und auch der Rest ist entsprechend geschult. Wir haben einen Rettungssanitäter dabei, der sonst eigentlich Einsätze auf der Nordsee fährt. Wir sind nicht der Haufen Chaoten, wie das teilweise dargestellt wurde. Die Einsätze sind natürlich bewegend. Aber ich persönlich würde es schlechter wegstecken nichts zu tun. Die Bilder sind ja bekannt. In 20 Jahren wird niemand sagen können, wir hätten nicht gewusst, was da auf dem Mittelmeer passiert.
cafébabel: Wie bist du zu dem Projekt gestoßen?
Ich bin Journalist und habe teilweise in den Herkunftsländern der Flüchtlinge gearbeitet. Ich war 2013 in Syrien. Wenn man weiß, was dort los ist, will man etwas tun. Es ist purer Zufall, dass ich das Glück hatte, in Deutschland geboren zu sein; dass ich nicht fliehen muss. Wenn ich nichts tue, dann bin ich mitverantwortlich für das, was da passiert. Die EU-Politik zwingt die Leute ja förmlich auf die Boote. Ich habe dann durch Zufall Anfang des Jahres von dem Projekt erfahren und habe mich dann einfach bei Harald [Höppner, dem Initiator der Sea Watch; Red.] gemeldet.
cafébabel: Kann jeder Bürger, der helfen möchte, mit auf die Sea Watch?
Nein, auf keinen Fall. Auf dem Schiff gibt es eine medizinische Crew, eine nautische Crew und einen Platz für Journalisten, weil wir auch wollen, dass das Projekt öffentlichkeitswirksam ist. Im Zweifel müssen die aber auch mit anpacken können.
cafébabel: Der Gründer der Initiative, Harald Höppner, war vorher nicht in der Flüchtlingshilfe tätig. Er betreibt eigentlich einen Onlineshop für Klamotten und hat sein Privatvermögen investiert.
Harald kommt selbst aus der DDR. Er hat erlebt, was es bedeutet, nicht frei reisen zu können. Zum Mauerfalljubiläum am 9. November letztes Jahr ist ihm nochmal bewusst geworden, dass es auch heute noch Grenzen gibt, die die Reisefreiheit einschränken. Das Recht auf Asyl, das die EU ja prinzipiell in ihrer Grundrechte-Charta festlegt, ist eine Farce. Für die Menschen ist es völlig unmöglich, das Asylrecht in Anspruch zu nehmen, ohne vorher ihr Leben zu riskieren. Deshalb finde ich es beeindruckend, dass er gesagt hat, er haut mal eben kurz sein Privatvermögen in die Pfanne [120 000 Euro; Red.], um die NGO zu gründen.
cafébabel: Es gab auch Kritik eines polnischen Crew-Mitglieds, der gesagt hat, die Sea Watch-Crew mache kostenlos Ferien auf Lampedusa. Was war da los?
Ich habe keine Lust, eine öffentliche Schlammschlacht auszutragen. Die Vorwürfe sind haltlos. Das haben die letzten Tage gezeigt. Er wirft uns vor, dass wir keine Flüchtlinge retten würden. Wir reagieren auf diese Kritik mit Taten.
cafébabel: Wie spürt ihr die Flüchtlingsboote auf?
Wir haben mit Watch the Med einen sehr guten Kooperationspartner. Sie erhalten Notrufe und kontaktieren uns und die Küstenwache. Wir kriegen dann die Position mitgeteilt und fahren in diese Richtung. Dann setzen wir unser Schnellboot aus, das bis zu 30 Knoten fahren kann, um schneller vor Ort zu sein. Das war beim ersten Einsatz der Fall. Die andere Möglichkeit ist, dass wir die Leute tatsächlich über Radar oder Fernglas entdecken. So wurden auch die letzten Boote gefunden.
cafébabel: Die Weichen stehen auf Festung Europa: Es werden Zäune hochgezogen, Deutschland hat gerade sein Asylrecht verschärft. Warum macht ihr trotzdem weiter?
Alle sicheren Wege werden von der EU abgeschnitten. Das zwingt die Leute in diese völlig seeuntauglichen Boote. Das einzige, was denen einfällt, ist, die Schlepperboote zu versenken. Ich konnte den Vorschlag erstmal gar nicht ernst nehmen. Dabei gibt es eigentlich eine ganz einfache Lösung, mit der man das Sterben auf dem Mittelmeer von heute auf morgen verhindern könnte. Und zwar, indem man den Menschen die Möglichkeit gibt, sich ganz einfach ein Fährticket zu kaufen. Von Tunesien nach Sizilien kostet ein Ticket 80 Euro, da müsste niemand sterben. Die EU hat das Problem an die Fähranbieter und Fluggesellschaften weitergereicht. Die müssen nämlich [laut EU-Richtlinie 2001/51/EG; Red.] die Rückführungskosten selbst übernehmen. Deswegen nehmen die einfach pauschal niemanden mit. Für eine Union, die den Friedensnobelpreis trägt, ist es eine Schande, dass sie dabei zuschaut. Wir jedenfalls machen solange weiter, wie die Situation dort besteht. Leider sieht es momentan so aus, als würden wir noch eine Weile bleiben.