Schweizer Balairatt-Kampagne: Nach den Minaretten, italienische Ratten
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Katha KlossWir wussten es schon immer, die Schweiz ist der demokratischste Staat par excellence. Welches andere Land hätte sonst die Finesse, per Referendum eine religiöse Minderheit zu stigmatisieren, indem sie Minarette verbietet? Als wir also die aktuellen 60 anti-europäischen Plakatmotive gefunden haben, die neuerdings überall im Kanton Tessin hängen (allerdings ganz ohne Referendum) kamen uns Zweifel.
Nein, der Inhalt der Plakate hat keine wirkliche Welle der Entrüstung ausgelöst. Drei Mäuse knabbern in der aktuellen Kampagne des Schweizer Kantons Tessin an einem Stück Käse. Das Schema ist altbekannt. Die Mäuse sollen die 45.000 italienischen, wahlweise auch rumänischen Arbeiter darstellen, die in dem grenznahen Schweizer Kanton arbeiten und scheinbar die Arbeitsplätze der Schweizer stehlen. Es handelt sich um das Phänomen « balairatt », kurzum, den 'Tanz der Ratten'. Das Wort aus dem Tessiner Dialekt geht auf die italienische Redensart quando il gatto non c’e’, i topi ballano! ('wenn die Katze nicht da ist, tanzen die Mäuse') zurück. In Anklang an die Kampagne wurde zudem eine Schweizer Internetseite gegen das Phänomen balairatt lanciert, um die italienische Plage, die im Tourismus, auf dem Bau oder im Gesundheitswesen arbeitet und den Schweizern ihre Jobs klaut, darzustellen. Auch der italienische Fiskus, der die Steuerflüchtlinge begünstige, kommt bei den Tessinern nicht gut weg.
Das französischsprachige Schweizer Magazin L’hebdo hatte am 28. September behauptet, dass der „Name des Auftraggebers der umstrittenen Plakate im Schatten bleibe“. Laut New York Times vom 12. Oktober 2010 sei der Autor der rassistischen Illustration im Sinne des polnischen kota nie ma, myszy harcują ('wenn die Katze nichjt im Haus ist, tanzen die Mäuse') jedoch kein geringerer als Pierre Rusconi, der Vorsitzende der rechtspopulistischen SVP-Sektion Tessin (Schweizerische Volkspartei). Die drei Ratten des Sprichworts While the cat’s away, the mice will play repräsentierten ihm zufolge “eine öffentliche Debatte, die sehr stark wahrgenommen wird im Schweizer Kanton Tessin”.
Bingo! Die Kampagne, welche die Redensart Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch in einen neuen Fokus rückt, basiert ursprünglich auf einer demokratischen Initiative. Hört her: Ein Referendum wurde 2002 auf Basis der Abkommen zwischen EU und Schweiz, welche die Personenfreizügigkeit und den Austausch von Arbeitskräften beiderseitig festlegten, veranstaltet. 60% der Schweizer sprechen sich noch immer dafür aus, während in Tessin mittlerweile 66% dagegen sind. Die Balairatt-Kampagne ist demnach, um es nochmal deutlich zu sagen, durchaus demokratisch. Und die Reaktion der Italiener? Um sich zu rächen, hat ein Italiener aus dem lombardischen Varese seinerseits eine Webseite namens bailavacc (tanzende Kühe) kreiert - eine Kontra-Hommage an alle Schweizer, die in Italien leben und arbeiten!
Illustration: Cartoon ©Henning Studte; Balairatt-Plakat: (cc)balairatt.ch
Translated from Suisse : après les minarets, les rats italiens