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Schwabylon: Berliner Spätzle-Blues

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GesellschaftLifestyle

Wenn schon die spießigen Spätzle-Könige, die wie die Heuschrecken in Berlin einfallen, nicht willkommen sind, wie soll das dann erst auf Europaniveau funktionieren? Berliner Kopfzerbrechen über die Zukunft des alten Kontinents und mehr soziale Gerechtigkeit.

Wer mit dem niedlichen Ausdruck "Fuddel" etwas anfangen kann, der sollte sich in diesen Tagen auf die Frage "Wo kommst Du'n her?" eine wasserdichte Herkunftslüge zurechtlegen, zumindest wenn er in Berlin lebt. Stammt doch "Fuddel", als Kosewort für die gute Freundin, aus dem Schwäbischen und das Völkchen aus dem Südwesten Deutschlands hat es in diesen Tagen schwer in der deutschen Hauptstadt.

Die Spätzle-Könige gelten als fleißig und sauber, als sparsam und spießig. Böse Zungen aber behaupten, sie seien in Berlin eingefallen wie hungrige Heuschrecken. Seit der Wiedervereinigung kamen sie, angezogen vom Charme der verruchten, aufregenden, unkonventionellen Spree-Metropole. Sie siedelten sich mit Vorliebe in einem fast zerfallenen, von Rentnern, Studenten, Künstlern und Arbeitern bewohnten Bezirk namens Prenzlauer Berg an. Sie kauften und modernisierten Häuser und Wohnungen. Für sie eröffneten stylische Lokale, Boutiquen, Galerien und zuletzt Frozen-Yoghurt-Läden. Bald schon war "Szene"- vor -bezirk nicht mehr wegzudenken. Nur die alten Bewohner verschwanden ebenso wie Außenklos und Kohleöfen. Alle? Nein! Einige Hartgesottene haben den horrenden Mietpreisen und der Babyccino-Invasion getrotzt.

Schwabylon-Spätzle für Käthe Kollwitz

Absolutely. Kollwitz Square is our Tahrir Square.”So wie Wolfgang Thierse, seines Zeichens SPD- Bundestagsabgeordneter, Bundestagsvizepräsident und einer der letzten Urberliner im "P-Berg". Er schimpfte über die Schwabenschwemme und den damit einhergehenden kulturellen Wandel. Besonders der Einzug sprachlicher Unsitten machen ihn wütend: da hatte eine Bäckerei im Kiez ihre Schrippen kurzerhand als Wecken angepriesen. Es schwäbelt in Berliner Backstuben. Für seine Bemerkungen hagelte es spitzzüngige Kritik aus dem Ländle und dann entlud sich der Zorn der Berliner Schwaben-Community in einer perfiden, nächtlichen Spätzle-Attacke. Unbekannte warfen das schwäbische Nationalgericht aufs Käthe-Kollwitz Denkmal, ihres Zeichens von den Nazis verfolgte Bildhauerin und Ikone der Berliner Arbeiterschaft. Zu dem Anschlag bekannte sich die Gruppierung Free Schwabylon. Die Krieger dieser nudelfeuernden Stadt-Guerilla kämpft nach eigener Aussage für die Befreiung des Prenzlauer Berges, um dort einen eigenen Staat namens Schwabylon zu errichten. 

Das possenhafte Geplänkel zwischen Schwaben und Berlinern wurde in den Feuilletons der Nation schnell zum innerdeutschen Identitätskampf hochgeschrieben, zum Aufkeimen eines neuen Lokalpatriotismus. Natürlich, eine Portion Heimatliebe, lokal gewürzt, gehörte in der Bundesrepublik schon immer in den föderalen Kuchen. Aber so leid es einem tut um die Schwaben, sie sind zum Synonym geworden für die immer größer werdende soziale Kluft in einer Stadt, in der die Mieten ganz im Gegensatz zu den Löhnen in atemberaubender Geschwindigkeit steigen.

Eine Maultaschenmauer wird Schwaben vor den Dämpfen der autoritären Berliner Minderheit schützen (cit. tumblr)

Sie werden zur negativen Projektionsfläche für jene Menschen, die trotz ihrer guten Ausbildung, trotz Mehrsprachigkeit und Auslandsaufenthalten, trotz der Bereitschaft, prekäre Arbeitsbedingungen hinzunehmen, Angst haben, ins Abseits zu geraten. Für Menschen, die zu Lohnkürzungen und Teilzeitarbeit bereit waren, um ihre Firmen über die Finanzkrise zu retten. Für Menschen, die sich über Erbschafts- und Vermögenssteuer keine Gedanken machen brauchen, weil sie weder Erben noch vermögend sind. Bei all jenen löst ein Spaziergang durch den heutigen Prenzlauer Berg in der Tat keine Jubelstürme aus. Genauso wenig wie ein Besuch der Bundeskanzlerin in Zeiten der Euro-Krise bei zornigen Portugiesen oder Griechen. Natürlich sind "Schwaben-Raus-Sticker", ebenso wie Poster von Angela Merkel mit Hitlerbärtchen und Hakenkreuz, eine unangemessene, irrationale und verurteilenswerte Reaktion.

Ferner Traum von Erasmus-Spinnern

Umso größer die sozialen Unterschiede, desto stärker werden sich die Menschen an bestimmte Identitäten klammern.

Doch dieses Verhalten verweist schlicht auf ein weit größeres Problem: umso größer die sozialen Unterschiede werden, ob nun in Berlin, in Deutschland in Europa oder weltweit, desto stärker ist der Zusammenhalt in unseren Gesellschaften bedroht und desto stärker werden sich die Menschen an bestimmte Identitäten klammern, ob nun die nationale Identität (Südeuropäer gegen böse Deutsche, Deutsche gegen faule Griechen), die regionale (Schwabylon, Flandern, Katalanen) oder die lokale Identität (Stadtbezirk, Arrondissement bis hin zu bestimmten U-Bahnstationen).

Vor diesem Hintergrund scheint eine gemeinsame europäische Identität in der Tat ins Reich der Utopie zu gehören, ein ferner Traum von ein paar Erasmus-Spinnern, die jetzt ein paar Freunde in Rom, Krakau oder Marseille vorzuweisen haben. Ihre gemeinsame europäische Identität aber geht auf geteilte Erfahrungen und Erlebnisse zurück. Und auf gemeinsame Erfahrungen, auf eine gemeinsame Geschichte können doch im Prinzip alle Europäer zurückblicken. Häufig war diese Geschichte nicht ganz so amüsant wie ein Erasmus-Jahr und die Euro-Krise hat es noch schwerer gemacht, sich auf unsere Gemeinsamkeiten zu besinnen. Vielmehr hat sie die Bewohner des alten Kontinents auseinandergetrieben und alte Ressentiments befördert.

Eine gemeinsame europäische Identität wird erst dann eine reale Chance haben, in den Herzen und Köpfen der Menschen anzukommen, wenn es gelingt, für mehr soziale Gerechtigkeit, für mehr Austausch und mehr Verständnis für die Probleme der Anderen zu sorgen. Wenn Menschen frei von Angst vorm sozialen Abstieg, frei von Neid und von Vorbehalten in einer europäischen Gemeinschaft leben können, die sie beflügelt. Dann, ja dann klappt's auch mit den Nachbarn, auch mit der lieben Fuddel-Schwäbin.

Illustrationen: Teaserbild (cc)flibflOb/flickr; Im Text ©offizielle Facebook-Seite von Free Schwabylon