Schulz ist neuer EP-Präsident: Martin wer?
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Eins, zwei, drei im Sauseschritt – Martin Schulz, neuer Präsident des EU-Parlaments, scheut keine Auseinandersetzung.
Martin Schulz hat einen neuen Job: Gestern noch Vorsitzender der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten (S&D) im Europäischen Parlament, heute schon Präsident von letzterem. Silvio Berlusconi allerdings fand, dass der Deutsche sich auch in einem anderen Beruf prima machen würde: «Herr Schulz, in Italien gibt es einen Produzenten, der einen Film über Nazi-Konzentrationslager dreht. Ich werde Sie für die Rolle des Kapo [ein KZ-Häftling, der andere Häftlinge beaufsichtigt; A. d. R.] empfehlen. Sie sind perfekt», bellte er Schulz 2003 an – dieser hatte zuvor Berlusconis Allmacht im italienischen Politik- und Medienbereich hart kritisiert. Klar, der gute Silvio meinte das natürlich alles gar nicht böse, nur ein Scherz Leute, regt euch nicht auf.
Der britische Europaabgeordnete Godfrey Bloom versuchte nicht einmal den Eindruck zu erwecken, er sei falsch verstanden worden. Als Martin Schulz im November 2010 wie üblich einen wortgewaltigen Redebeitrag ablieferte, unterbrach Bloom ihn mit «Ein Volk, ein Reich, ein Führer». Dieser Spruch, im Dritten Reich Teil der nationalsozialistischen Propaganda, brachte dem Briten einen Saalverweis ein.
Alles außer langweilig
Die zwei Szenen zeigen: Nationale Klischees werden im buntgemischten Europaparlament immer wieder gerne bemüht. Und: Martin Schulz ist eine umstrittene Persönlichkeit. Er gefällt sich in der Rolle, denn «unumstritten» würde unauffällig bedeuten, langweilig geradezu. Man kann vieles sagen über den Deutschen, der 1955 in Hehlrath (heute: Eschweiler) geboren wurde – langweilig ist er mit Sicherheit nicht. Kaum eine Parlamentsdebatte, bei der Schulz‘ dröhnende Stimme nicht ertönt, bei der er nicht ausgiebig seine Meinung kundtut. Nicht wenige finden das arrogant und polemisch.
Bevor er in die Politik ging, machte Martin Schulz ganz solide eine Ausbildung zum Buchhändler und gründete sogar eine eigene Buchhandlung. In der wird der frisch gebackene Präsident jetzt gerne gefilmt, wie er mit Kunden spricht, hier und da ein Buch in die Hand nimmt. Die deutschen Medien haben Schulz als Thema entdeckt, jetzt, wo es endlich wieder ein Deutscher in eine der höchsten Positionen geschafft hat, die es in Europa so gibt. Was der Präsident des Europäischen Parlaments genau macht, das weiß der Großteil der Bundesbürger allerdings gar nicht so genau – gleiches gilt für das Europaparlament selbst. Martin Schulz ist seit 1994 EU-Parlamentarier und das offensichtlich gerne. Das unterscheidet ihn vom Gros der Politiker (egal, in welchem Land), denn das Europaparlament wird von den jeweiligen Regierungen gerne genutzt, um unliebsame Politiker dort zu entsorgen. Die ehemalige französische Justizministerin Rachida Dati kann davon ein Lied singen.
«Offene Konfrontation mit Merkel und Sarkozy»
Martin Schulz ist nicht nur freiwillig ins Europaparlament eingezogen, er hat dort auch ambitionierte politische Ziele. Die Rolle des Parlaments-Präsidenten war bisher eher repräsentativer Natur und ein guter Posten für Politiker, die ihre Karriere entspannt ausklingen lassen wollten. Auftritt Schulz: «Wer glaubt, man könne ein Mehr an Europa mit einem Weniger an Parlamentarismus schaffen, dem sage ich hier und heute den Kampf an.» Des weiteren müsse man «den Mut aufbringen, die offene Konfrontation mit Merkel und Sarkozy zu suchen.» Eine Kampfansage.
Schulz, der sich selbst als «Rampensau» bezeichnet, möchte dem Europaparlament endlich die Macht geben, die ihm laut Verträgen längst zusteht. Die Euro-Krise allerdings hat die intergouvernementalen (also zwischenstaatlichen) Komponenten der EU gestärkt, quasi im Alleingang retten Merkozy, Juncker & Co den Euro. Ein Krisengipfel jagt den nächsten. Und das Parlament? Wird außen vorgelassen. «Vergipfelung» nennt Martin Schulz das und hat gleich einen Plan parat, wie er das Machtverhältnis wieder zugunsten des Parlaments verlagern will: Zu jedem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs wird Schulz anreisen und – teilnehmen.
Klingt zunächst nicht spektakulär. Aber man muss wissen, dass dem Präsidenten des EU-Parlaments bei solchen Anlässen laut Regelwerk nur eine Eröffnungsrede zusteht, danach machen die «Großen» alles weitere unter sich aus – geschlossene Gesellschaft! Schulz will also teilnehmen und befindet sich damit seiner Meinung nach in einer Win-Win-Situation. Entweder, die Staats- und Regierungschefs verweigern ihm die Teilnahme und düpieren damit öffentlich das Europaparlament, die einzige EU-Institution, die von den EU-Bürgern direkt gewählt wird. Oder Schulz darf teilnehmen und kann so Einfluss auf Diskussion und Ergebnisse nehmen.
Nächste Station: Kommissionspräsident?
Die Erwartungen an Schulz sind hoch, er selbst hat dafür gesorgt, dass seinen Amtsantritt ein Wind des Aufbruchs umweht. Zweieinhalb Jahre lang kann der Deutsche (laut Wikipedia Fan des 1. FC Köln) beweisen, dass es ihm mit seinen Ansprüchen ernst ist. Eines ist sicher: Die Karriere des Martin Schulz, sie geht dann vermutlich erst richtig los – der 56-Jährige soll bereits Interesse am Job des EU-Kommissionspräsidenten Barroso bekundet haben.
Illustrationen: Homepage (cc)EP/flickr; Im Text (cc)EP/flickr; Videos: Bloom/Schulz (cc)euractiv/YouTube