Schuldenschnitt für Griechenland: Ist der Euro über den Berg?
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Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich in der Nacht zu Donnerstag in Brüssel unter anderem auf einen Schuldenschnitt und ein neues Hilfspaket für Griechenland geeinigt. Das ist Athens letzte Chance, meinen Kommentatoren und fordern außerdem eine stärkere finanzpolitische Integration der EU.
Imerisia: Ab heute müssen wir uns alle ändern; Griechenland
Der EU-Gipfel hat sich mit den privaten Gläubigern auf einen Schuldenschnitt für Griechenland von 50 Prozent geeinigt. Doch der Kampf um die griechische Haushaltskonsolidierung hat damit erst begonnen, warnt die linksliberale Wirtschaftszeitung Imerisia: "Ab heute muss klar sein, dass es keine neue Hilfe aus Europa mehr geben wird. Falls wir wieder anfangen, Schulden zu machen, wird niemand kommen, um uns zu helfen. Im Gegenteil: Wir müssen lernen, mit dem zu leben, was wir produzieren. [...] Griechenland muss endlich anfangen, Überschüsse zu produzieren, um die Schulden zurückzahlen zu können. Das Land muss ein attraktives Ziel für Investoren werden. [...] Die griechische Wirtschaft muss produktiver und wettbewerbsfähiger werden. Und diese neue nationale Anstrengung kann nicht durch die Maximalforderungen der Gewerkschaften und mit Unternehmen, die vom Staat abhängig sind, verwirklicht werden. [...] Ab heute müssen wir uns alle ändern!" (Artikel vom 27.10.2011)
Les Echos: Wollen wir überhaupt weiterhin zusammenleben?; Frankreich
Die auf dem EU-Gipfel beschlossenen Maßnahmen zur Rettung von Schuldenstaaten gehen an der fundamentalen Frage vorbei, wie viel Gemeinschaft die Europäer in Zukunft haben wollen, kritisiert die Wirtschaftszeitung Les Echos: "Die Beschlüsse über die für die Lösung der Krise notwendigen Instrumente sind keine Antwort auf die Grundfrage, die an der EU nagt: Wollen wir überhaupt weiterhin zusammenleben? [...] Das europäische Projekt schien gerade sinnlos zu werden und sogar zunehmend das Misstrauen der Bürger zu erregen - man denke an das Nein der Franzosen und Niederländer zur Verfassung 2005 - als uns die Angst vor einem Zusammenbruch der Euro-Zone einen heilsamen Schock verpasste. [...] Unter akutem Druck hat man sich auf eine neue Rolle für die EZB und mit dem Euro-Rettungsschirm auf Ansätze zu einem föderalen Haushalt verständigt. Das sind nie dagewesene Fortschritte. […] Doch daraus ergibt sich kein Projekt, denn diese Fortschritte wurden halbherzig und oft hinter dem Rücken der Bürger erzielt. Das Risiko ist groß, dass der europäische Geist wieder schwindet, sobald keine Not mehr besteht." (Artikel vom 27.10.2011)
Die Presse: Eine europäische Fiskalunion schaffen; Österreich
Angesichts der Beschlüsse zur Euro-Rettung auf dem Krisengipfel in Brüssel fordert die liberal-konservative Zeitung Die Presse weitere Reformen: "In einem zweiten Schritt muss eine Fiskalunion geschaffen werden - zumindest teilweise. Wie wäre es, die Finanztransaktionssteuer, die Linke wie Rechte gleichermaßen fordern, als Europäische Steuer einzuführen - gegen Minderung der nationalen EU-Mitgliedsbeiträge? Und wie wäre es, dasselbe mit einem Teil der Mehrwertsteuer zu tun (einen Teil davon überweisen die Staaten ohnehin schon nach Brüssel) - im Gegenzug für die überfällige demokratische Legitimierung der Kommission? Bei den Europawahlen würden die Bürger ihren Kommissionspräsidenten direkt wählen. Er müsste ihnen erklären, was er mit dieser Steuer zu tun gedenkt - gemeinsam mit seinem Kandidaten für den europäischen Finanzminister." (Artikel vom 27.10.2011)
Cinco Días: Kapitalerhöhung ist in Spanien sinnlos; Spanien
Europas Banken sollen ihr Eigenkapital aufstocken und künftig neun Prozent Kernkapital halten, um den Ausfall von Anleihen aus Euro-Schuldenländern abfedern zu können. Die Kapitalerhöhung ist in Spanien in dieser Form sinnlos, befürchtet die Wirtschaftszeitung Cinco Días: "Die Regierungen der EU hoffen, dass sie dem europäischen Finanzsystem die Glaubwürdigkeit wiedergeben können. Für den Fall, dass Staaten zahlungsunfähig werden, müssen die Kredit gewährenden Banken ihr Kapital aufstocken. Aber das Problem der spanischen Banken ist der Ausfall der Kredite, die sie an Bauunternehmen vergeben haben, nicht an Staaten. [...] Theoretisch gesehen hilft jeder Euro an weiterem Kapital den Banken bei ihrer zukünftigen Gesundung. Doch die Rekapitalisierung schafft keine Anreize für die Lösung des Problems der Kredite, die an die Bauindustrie vergeben wurden." (Artikel vom 27.10.2011)
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