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Schengenstress zwischen Deutschland und Türkei – Wer zieht die Trennlinie?

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Katha Kloss

ORIENT EXPRESS REPORTER tripled

Nachdem ich das Team von cafebabel.com in Istanbul zu Gast hatte, brach ich nun selbst auf, um einer Geschichte in Hamburg nachzugehen. Durch mein bescheidenes akademisches Fachwissen angespornt, wollte ich den Stand der journalistischen Vielfalt in einer der Medienmetropolen Deutschlands untersuchen.

Jeder gern reisende Türke weiß, wie es sich anfühlt, so dicht an Europa zu sein und doch jedes Mal, wenn er oder sie reisen will, so schrecklich weit davon entfernt zu sein. Die Geschichten des zermürbenden Visa-Prozesses, nur um in ein Flugzeug steigen und für ein paar Stunden fliegen zu können, sind immer noch Realität. Aber : kein Problem für mich, da ich schon ein für zwei Monate gültiges Visum hatte und sich das cafebabel.com-Team auf meine Situation einstellte.

Mein Problem startete mit dem fragenden Blick des Grenzkontrollbeamten, als er meinen Reisepass begutachtete und sagte „Ich kann Sie nicht einreisen lassen“. Ich hatte zwar ein gültiges Visum, aber ich hatte die maximale Aufenthaltszeit im Schengen-Raum überschritten. „Das ist für viele Leute ziemlich verzwickt“, sagte der nette Beamte, „viele Leute missverstehen das“. Ein Freund von mir meinte, „selber schuld“, da ich die Details nicht genau genug gecheckt hätte. Auf der einen Seite hat er Recht. Ich, als türkische Staatsangehörige, die viel verreist, hätte vorbereitet ein müssen, bevor ich in ein Flugzeug steige. Trotzdem fühlt es sich nicht richtig an.

Cafebabel.com-Team am Flughafen in Istanbul : Ironischerweise brauchen deutsche und französische Staatsbürger kein Visum, um in die Türkei einzureisen, während Spanier, Polen und Briten am Flughafen ein Visum für 10-15 Euro beantragen können.

Die Schengener Visa-Regelung ist eines der berühmtesten Projekte in der Geschichte der EU, denn sie symbolisiert die Solidarität und das Vertrauen unter den Mitgliedstaaten. Für Ausgeschlossene bedeutet es ein Privileg, das es sich erst zu verdienen gilt, denn man ist erst dann vertrauenswürdig, wenn man ein Visum erhalten hat. Ich will jetzt hier keine Zweigroschenphilosophie betreiben, inwiefern Visa und Grenzkontrollen dem Recht auf Bewegungsfreiheit widersprechen, das einst für alle galt, die reisen und die Welt entdecken wollten. Aber obwohl eins der Ziele des Schengen-Abkommens lautet, die Grenzen in Europa abzuschaffen und die Bewegungsfreiheit von Waren, Menschen und Ideen zu ermöglichen, stand Gleichheit nie oben auf der Liste. Egal ob es sich um Beitrittskandidaten handelt oder um Nicht-EU-Staaten, die Schengen-Visa-Regelung und das Antragsverfahren sagen eine Menge darüber aus, welche Länder als zahlungsfähig angesehen werden und gegenüber welchen die Angst besteht, dass sie Europa überfluten.

Die Türkei beispielsweise ist das einzige Land, das EU-Beitrittsverhandlungen führt, ohne von Visa-Erleichterungen profitieren zu können. Bulgarien und Rumänien sind die beiden anderen Länder, welche bisher noch keine Personenfreizügigkeit genießen konnten, obgleich sie schon seit 2007 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind. Bei allen drei Ländern scheint das Problem im möglichen Zustrom von illegalen Immigranten zu liegen. Trotzdem existiert insgesamt immer noch ein immenses Ungleichgewicht im Visaverfahren, abhängig davon, aus welchem Land man kommt und in welchem Land der Antrag bearbeitet wird. Angefangen von der Anzahl der benötigten Dokumente bis hin zur Länge des Antragsverfahrens werden diese Regeln gegenüber den Ländern, welche bedeutendes Touristengeld bringen könnten, flexibler gehandhabt, als gegenüber denjenigen, die nicht das gleiche Potenzial versprechen.

Um die Schwierigkeiten, die Türkinnen und Türken im Visa-Prozess erleben, zu veranschaulichen, hat der türkische Künstler Devrim Kadirbeyoglu im letzten Jahr die öffentliche Kunstausstellung Who Draws the Line ? (Wer zieht die Trennlinie ? ) gestartet. Er interpretierte darin künstlerisch Auszüge aus Beschwerdeschreiben von Staatsbürgern an die Visa-Hotline. Kadirbeyoglu zielte mit diesem Projekt darauf ab, die menschlichen Geschichten zu vermitteln, welche hinter den Schengen-Visa-Anforderungen stecken.

Sarp Yeletaysi kreierte 2011 einen Song mit dem Titel « Schengen Macht Frei «, in welchem er Humor und Protest miteinander verband, um auf das, was er ‘Verletzung der grundlegenden Menschenrechte’nennt, aufmerksam zu machen. Auf seinem letzten Album mit dem Namen 36mm Biometric betont auch der türkische Jazz-Gitarrist Önder Focan die bürokratischen Hürden eines nicht standardisierten Schengen-Visa-Prozesses. Auch wenn meine Reaktion auf das ungerechte Visa-System nicht so kreativ ist wie die von anderen, so stimmen wir doch alle in einer Aussage überein : wir wollen keine zufälligen Grenzlinien, die uns sowohl räumlich abgrenzen als auch unsere Glaubwürdigkeit in Frage stellen.

Andererseits kann genau dieser Umstand auch dazu führen, dass sich Rapper wie Zoxea zunehmend politisch engagieren : „Seit 30 Jahren haben wir keinen geeigneten Politiker an der Macht. Deswegen nähere ich mich bei jeder Wahl durch meine Musik an den Kandidaten an, der uns am besten repräsentiert”, schreibt er per E-Mail. “Ein Rapper kann seine Message mit seiner Musik viel leichter an einen Jugendlichen weitergeben – und die Musik macht doch alles etwas einfacher und schöner, oder ? “

Dieser Artikel ist Teil des Reportageprojekts Orient Express Reporter Tripled, unterstützt vom deutsch-französischen Jugendwerk DFJW.

(Text : Burcu Baykurt ; Übersetzung ins Deutsche : Momo88)

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